SpanienEin Luxemburger berichtet vom Alltag rund um ein abgesperrtes Dorf

Spanien / Ein Luxemburger berichtet vom Alltag rund um ein abgesperrtes Dorf
Diszipliniert und solidarisch: Die Spanier passen sich den Umständen an Foto: AFP/Josep Lago

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In der vergangenen Woche haben sich in Spanien mit den Fallzahlen die Ereignisse in der Coronavirus-Krise überschlagen. Mit dem italienischen Beispiel vor Augen ergreift die Regierung drastische Maßnahmen. Für die Menschen im und um den abgeriegelten Ort Igualada ändert sich der Alltag – aber sie bleiben ruhig.

Am Montag schreckt zwar eine Meldung von gleich fünf positiven Fällen das beschauliche Igualada im Hinterland von Barcelona auf. Doch einzelne Coronafälle gibt es in Spanien seit einigen Wochen, Madrid ist längst stärker betroffen. Collbató, wo ich wohne, liegt keine zehn Autominuten von Igualada entfernt. Und obwohl weitere, beunruhigende Meldungen von dort eintreffen, feiern wir am Mittwoch Kindergeburtstag.

Sicher ist die Epidemie ein dominantes Gesprächsthema, aber nicht das einzige. Der Vater einer Fünfjährigen erzählt, dass er als Krebsforscher in zwei Monaten in Belval vortragen soll. Er zeigt sich beunruhigt und erklärt geduldig virologische Hintergründe von SARS-CoV-2. Doch auch seine Tochter spielt mit rund 50 anderen Kindern im Indoor-Spielparadies. Sie springen auf den Hüpfburgen wild durcheinander, wälzen sich im Bällebad, eigentlich ein epidemiologischer Albtraum.

Am Donnerstag wird die Pandemie plötzlich für alle greifbar. Als erste Gegend in Spanien wird Igualada mit drei umliegenden ruralen Gemeinden ab 21 Uhr abgeriegelt. Rund 70.000 Einwohner sind betroffen. Sie wissen nicht, ob sie am nächsten Tag zur Arbeit können. Andere nicht, ob sie noch ins Sperrgebiet arbeiten gehen können oder sollen.

Erst Laxheit, jetzt großer Respekt

Kurzfristig wurden bereits am Morgen die Schulen geschlossen, mit einer Notversorgung für arbeitende Eltern. Auf die Großeltern als klare Risikogruppe soll man verzichten, diese schützen. Trotz der drastischen Maßnahmen bildet sich keine Panik. Vereinzelt wird gehamstert, teils gibt es an den polizeilich abgesperrten Zufahrten etwas Stau und Diskussionen. Die zahlreichen Meldungen der letzten beiden Monate und wohl auch Furcht haben ein Bewusstsein und Verständnis für den Ausnahmezustand geschaffen.

Die Probleme liegen eher im Einzelnen, werden an Ausnahmefällen ersichtlich. Dolors García ist in ihren Fünfzigern, Mutter eines behinderten Kindes und Präsidentin des im ebenfalls abgeriegelten Òdena liegenden Tierasyls APAN. Zwar hat die katalanische Regionalregierung ein Merkblatt zeitnah und weitläufig verteilt, was und wie möglich ist, doch Dolors klagt: „Trotz einer Odyssee durch die Ämter und der generellen Erlaubnis für Tiernahrung und -pflege kommen die freiwilligen Mitarbeiter kaum rein oder raus, ist es chaotisch. Die Schwächsten, in diesem Fall die 200 Tiere, leiden in solch einer Krise am meisten und interessieren auf offizieller Seite gerade niemanden.“

Am Freitag beschließt die katalanische Regionalregierung den Ausnahmezustand für die ganze Region. Mit einem 180-prozentigen Anstieg des wöchentlichen Konsumverhaltens sind Wasser, Klopapier, (Hühnchen-)Fleisch und Reis meist vergriffen, doch alles ohne dramatische Szenen. Eine Kleiderladenbesitzerin macht sich eher Sorgen über die wirtschaftlichen Konsequenzen für viele Selbstständige und Kleinunternehmer, die oft noch an den Folgen der Weltwirtschaftskrise von 2008 knabbern. Auf direkte Nachfrage will sie weiter verkaufen, doch insgesamt werden die Regeln am Samstag eingehalten, sind Läden, Bars und Restaurants bis auf Lieferservice geschlossen, und nur vereinzelt legt ein Frisör die Regeln großzügig aus. Die Straßen sind ungewohnt leer, aber in den umliegenden Hügeln gehen wie sonst Menschen spazieren, arbeiten auch Ältere in ihren Olivenhainen.

Am Samstagabend geht der angekündigte nationale Alarmzustand jedoch über die katalanische (und italienische) Regelung hinaus. Bis auf Fahrten zur Arbeit, zum Einkaufen von Lebensmitteln oder Medikamenten sowie zur Versorgung von Älteren oder Minderjährigen gilt für die nächsten 15 Tage de facto eine Ausgangssperre, soll jeder in seinen eigenen vier Wänden bleiben. Bei rund 6.000 nationalen Positivfällen, relativ zur luxemburgischen Gesamtbevölkerung wären das 75, will man vor allem eine Überlastung der Krankenhäuser wie in Teilen Italiens vermeiden. Deren Dienste und Bettenanzahl wurden in den letzten zehn Jahren Austeritätspolitik nämlich massiv beschnitten.

Die Regierung will die exponentielle Ausbreitung mit sozialer Distanz und allgemeiner Quarantäne brechen. Und verzichtet mittlerweile auf das Zurückverfolgen jedes einzelnen Falles wie in Singapur oder Südkorea. Bei nur milden Symptomen rät sie nach Möglichkeit zur Selbstquarantäne ohne Rückgriff auf medizinische Dienste oder einen Test. In Igualada sind die nämlich längst am Limit. Mit rund 50 positiven Fällen beim medizinischen Personal und 200 weiteren in vorsorglicher Quarantäne waren bereits Anfang der Woche über ein Fünftel der Belegschaft ausgefallen, hat man Verstärkung aus der Region, von Medizinern im Urlaub oder aus der Rente angefordert und tut einfach alles, was man kann. Von Tag zu Tag.

Das tut auch die Bevölkerung, zumindest aktuell diszipliniert und solidarisch. Doch mehr als die direkte Furcht vor dem Virus fürchten viele, wie und wie lange das mit welchen Folgen weitergehen soll. In einem Land, wo sich ein Großteil des Lebens im öffentlichen Raum abspielt, die meisten vierköpfigen Familien auf weniger als 100 Quadratmetern leben, hat man einen annähernd vergleichbaren Ausnahmezustand seit Kriegszeiten nicht erlebt.