BildungEscher Bibliothek will Bildungsauftrag ausbauen: Die Ausstellung „Bittere Orangen“ macht den Anfang

Bildung / Escher Bibliothek will Bildungsauftrag ausbauen: Die Ausstellung „Bittere Orangen“ macht den Anfang
Die Schüler konnten ihre Fragen auf Post-its niederschreiben und auf die entsprechenden Bilder der Ausstellung kleben. Buchautor Prof. Dr. Gilles Reckinger lieferte während der anschließenden Diskussionsrunde die Antworten. Foto: Editpress/Julien Garroy

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60 Schüler aus den Escher Lyzeen LGE, LGK und EPMC besuchten Anfang der Woche die Ausstellung „Bittere Orangen“ des Escher Ethnologen Prof. Dr. Gilles Reckinger in der Escher Bibliothek. Den Jugendlichen wurde dabei ein Beispiel moderner Sklaverei in Europa näher gebracht.

Wieso verkaufen luxemburgische Supermärkte eigentlich Fairtrade-Bananen, aber keine Fairtrade-Orangen? Das ist eine der Fragen, die sich die rund 60 Escher Lyzeumsschüler stellen, nachdem sie sich die Ausstellung angesehen haben.

Der Ethnologe Prof. Dr. Gilles Reckinger hat das Buch „Bittere Orangen“ geschrieben, das als Basis für die gleichnamige Ausstellung dient. Am Montag-, Dienstag- und Mittwochmorgen hat er Jugendlichen zwischen 16 und 20 die Thematik der Flucht sowie die Arbeits- und Lebensverhältnisse von Arbeitern auf Italiens Orangenplantagen näher gebracht.

Prof. Dr. Gilles Reckinger war selbst mehrmals in Italien, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Der Escher erzählt den Schülerinnen von seinen Beobachtungen.
Prof. Dr. Gilles Reckinger war selbst mehrmals in Italien, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Der Escher erzählt den Schülerinnen von seinen Beobachtungen. Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Zusammenarbeit mit der Escher Bibliothek ist kein Zufall. Der hauseigene Erzieher Jan Guth ist seit 2017 Teil der Arbeitsgruppe „Flüchtlinge“ in der Stadtbibliothek, wo zudem regelmäßig Aktivitäten für diese organisiert werden. Die Ausstellung und der dazugehörige Austausch mit den Schülern bezeichnet Guth als Auftakt der pädagogischen Arbeit, die er jetzt nach dem Abschluss des „Centenaire“ in den Fokus stellen will. „Die Bibliothek hat einen Bildungsauftrag, und den gilt es auszubauen“, sagt er.

Hoffnung auf ein freies Leben

Die Ausstellung dreht sich um Menschen aus afrikanischen Ländern, die in der Hoffnung auf ein freies Leben nach Europa gekommen sind. Dort stecken sie in der Sackgasse der süditalienischen Orangenplantagen fest. Bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist, stehen sie ohne Papiere und ohne Rechte auf der Straße.

Die Plantagen sind für viele von ihnen die einzige Chance auf ein Einkommen – wenn auch nur ein sehr geringes und unsicheres: Wenn sie das Glück haben, morgens auf dem „Arbeitsstrich“ ausgewählt zu werden, verdienen sie 150 Euro im Monat. Die Flüchtlinge leben zu Tausenden in einer Zeltstadt, in der es nicht einmal für die Hälfte von ihnen Betten gibt. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und pflücken zwölf Stunden am Tag Orangen. Orangen, die später auch in den Obstkörben und auf den Frühstückstischen der Luxemburger landen.

Auf 78 Fotos und den dazugehörigen Texten hat Gilles Reckinger das Leben der Erntehelfer dokumentiert. Mit bunten Post-its konnten die jungen Mädchen der „Ecole privée Marie-Consolatrice“ ihre Fragen am Mittwochmorgen auf die Fotos kleben. In einer Diskussionsrunde versuchte Reckinger diese dann so gut wie möglich zu beantworten.

„Wir tragen eine Mitschuld“

Ob die Polizei die Arbeitsbedingungen der Flüchtlinge kenne, wollte eine Schülerin wissen. „Die Bauern arbeiten unter dem Schutz der Mafia“, antwortet der Ethnologe, der die Plantagen mehrmals besucht hat. „Wer nicht bezahlt, dessen Obstwiese wird von der Mafia abgebrannt.“ Als Konsumenten würden wir eine Mitschuld tragen, weil wir die günstigen Orangen kaufen.

Die jungen Mädchen aus der „Ecole privée Marie-Consolatrice“ hörten dem Ethnologen am Mittwochmorgen gebannt zu
Die jungen Mädchen aus der „Ecole privée Marie-Consolatrice“ hörten dem Ethnologen am Mittwochmorgen gebannt zu Foto: Editpress/Julien Garroy

Was die medizinische Versorgung angeht, sieht es für die geflüchteten Arbeiter schlecht aus: Ambulanzen holen sie nicht ab, weil sie keine Adresse haben. In der Mädchenrunde wurde auch angesprochen, dass jede Frau auf ihrer mühsamen Flucht übers Mittelmeer mindestens einmal vergewaltigt wurde. Reckinger ermutigte die Schülerinnen dazu, ihr Stimmrecht bei den Wahlen zu nutzen, um klar zu sagen: „So geht das nicht.“

Die Klassenlehrerin schlug zum Schluss vor, die Europaabgeordnete Tilly Metz zu sich einzuladen, um diese Themen mit ihr zu besprechen und um nachzuhaken, was die EU unternimmt, um diesen Menschen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Auf die Frage, wieso es Fairtrade-Schokolade, -Kaffee, -Bananen, -Ananas und -Orangensaft, aber keine Fairtrade-Orangen gibt, wusste Reckinger keine richtige Antwort. Das sei verpasst worden und die Mafia mache den Bauern den Übergang nicht leicht. In Italien gebe es jedoch inzwischen fair gehandelte Orangen in den Supermärkten zu kaufen. Das sei zumindest ein Anfang und ein Hoffnungsschimmer.