GrenzkriseVon der Leyen warnt die Türkei – und ermahnt Griechenland

Grenzkrise / Von der Leyen warnt die Türkei – und ermahnt Griechenland
 Ursula von der Leyen ist mit ihren ersten 100 Tagen zufrieden Foto: John Thys/AFP

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Hundert Tage nach ihrem Amtsantritt hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den Krisenmodus geschaltet. In einem kurzfristig anberaumten Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan versuchte sie gestern in Brüssel, den Konflikt an der EU-Außengrenze zu entschärfen. Zugleich äußerte sie erstmals Kritik am harten Vorgehen Griechenlands.

„Heute sind wir inmitten eines tiefen Dilemmas“, sagte von der Leyen vor dem Treffen mit Erdogan, der sich nach Angaben aus Kommissionskreisen selbst nach Brüssel eingeladen hatte. Die Ereignisse an der EU-Außengrenze deuteten eindeutig auf politisch motivierten Druck hin. Zugleich bräuchten die Migranten, die seit Tagen an der Grenze zu Griechenland ausharrten, dringend Hilfe. Um eine Lösung zu finden, müsse zunächst der türkische Druck von der Grenze genommen werden, sagte von der Leyen. Außerdem müsse Griechenland das Asylrecht respektieren. Es ist das erste Mal, dass sich die EU-Chefin um Vermittlung bemüht. In der vergangenen Woche war sie an die Grenze geflogen und hatte Griechenland als „Schutzschild“ gelobt. Kritik kam ihr nicht über die Lippen.

Sie stehe in ständigem Kontakt mit der griechischen Regierung, sagte die Präsidentin. Dabei bemühe sie sich auch um eine Lösung der Flüchtlingskrise auf den Inseln. Von der Leyen sagte, es gebe „positive Antworten“ aus Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg und Finnland, der sogenannten „Koalition der Willigen“, um Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. Gleichzeitig dämpfte die Kommissionschefin die Erwartungen an ihr Treffen mit Erdogan, das am Abend nach Redaktionsschluss stattfand. Ein Durchbruch sei nicht zu erwarten. Der türkische Wunsch nach mehr Hilfe für die Flüchtlinge im Land sei verständlich, auch über die Lage in Syrien könne man reden. Zunächst müsse Erdogan aber die Grenzkrise beenden und den „Druck“ abbauen.

Von der Leyen hofft auf eine Verlängerung des Flüchtlings-Deals, den die deutsche Kanzlerin Angela Merkel 2016 mit Erdogan getroffen hatte. Künftig sei aber eine „tragbare Vereinbarung“ nötig, um eine neue Eskalation auszuschließen. Zu möglichen neuen Finanzhilfen wollte sie sich nicht äußern. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn hatte zuvor in einem Welt-Interview erklärt, diese würden – wenn überhaupt – „deutlich geringer“ ausfallen als bisher.

Erdogan will mehr Geld

Die EU hatte für 2016 bis 2020 insgesamt sechs Milliarden Euro zugesagt. Nach Angaben der EU-Kommission sind die Finanzmittel verplant, aber noch nicht vollständig ausgezahlt, da dies erst nach dem erfolgreichen Abschluss von Hilfsprojekten erfolge. Erdogan hat nicht nur mehr Geld, sondern auch eine direkte Überweisung in die türkische Staatskasse gefordert. Brüssel lehnt dies strikt ab.

Demgegenüber hat Angela Merkel bereits Kompromissbereitschaft signalisiert. Sie setze sich „mit ganzer Kraft» dafür ein, „dass das EU-Türkei-Abkommen in eine neue Stufe überführt werden kann“, sagte sie in Berlin. Ziel sei es, „Flucht und Migration zu ordnen, zu steuern und zu reduzieren“, sagte Merkel weiter. Von der Leyen muss nun einen schwierigen Spagat zwischen Erdogan, Merkel und den anderen EU-Staaten versuchen. Doch der könnte am Geldmangel scheitern – denn bisher hat sich die EU nicht einmal auf den nächsten Finanzrahmen für 2021 bis 2027 einigen können. „Ich rufe die Mitgliedstaaten dringend dazu auf, eine Einigung zu finden“, sagte die Kommissionschefin. Wer mehr Europa fordere, müsse auch bereit sein, dafür zu zahlen.

Zufrieden zeigte sich von der Leyen mit ihrer eigenen Arbeit. Seit ihrem Amtsantritt am 1. Dezember habe sie den „European Green Deal“, eine Digitalstrategie und eine Afrika-Strategie auf den Weg gebracht. Kurz nach Ostern soll auch eine Reform der Flüchtlingspolitik hinzukommen. Allerdings sind die EU-Staaten darüber seit Jahren tief zerstritten. Der Türkei-Konflikt und die Flüchtlingskrise auf den griechischen Inseln machen eine Einigung nun noch schwerer.