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ÖsterreichÖVP bringt grünen Koalitionspartner mit hartem Migrationskurs in die Bredouille

Österreich / ÖVP bringt grünen Koalitionspartner mit hartem Migrationskurs in die Bredouille
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP, l.) hält die Grünen mit ihrem Vizekanzler Werner Kogler an der kurzen Leine Foto: Roland Schlager/APA/dpa

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Das Flüchtlingselend an der türkisch-griechischen Grenze zeigt Österreichs Grünen ihre Grenzen an der Seite der ÖVP auf.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Die Corona-Krise hat auch ihre guten Seiten. Dem grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober bescherte sie eine erste große Bewährungsprobe, die er bisher nach allgemeiner Einschätzung gut besteht. Nahezu täglich kann er sich in den Hauptnachrichten als unaufgeregt-sachlicher Krisenmanager präsentieren, der den Menschen an den Bildschirmen zumindest das Gefühl gibt, dass die Regierung alles im Griff hat.

Da meistens auch ein türkises Regierungsmitglied – entweder Kanzler Sebastian Kurz höchstselbst oder Innenminister Karl Nehammer – mit vor die Kameras tritt, bietet die Corona-Krise dieser weltanschaulich inhomogenen Koalition auch eine Gelegenheit, sich als immun gegen ideologische Streitlust zu präsentieren.

Doch seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für eine dramatische Verschärfung der Migrationskrise gesorgt hat, macht sich im grünen Lager Unmut über die Harmoniebedürftigkeit der Parteispitze breit. Denn Bundessprecher Werner Kogler lässt sich vom Kanzler an die kurze Leine legen – und das auch noch vor aller Augen. Der Vizekanzler hatte unter dem Eindruck der dramatischen Bilder auf den griechischen Inseln und an der türkisch-griechischen Grenze gefordert, was sogar der migrationspolitisch auch zur Härte neigende deutsche Innenminister Horst Seehofer verlangte: Zumindest Frauen und Kinder aus dem Elend holen. Wenn Kogler geglaubt hatte, die ÖVP würde sein Einklang mit deren Schwesterpartei CSU beeindrucken, hatte er sich gründlich getäuscht. Auch die offene Sympathiebekundung durch Bundespräsident Alexander van der Bellen für Koglers Forderung blieb ohne Wirkung.

Kurz bleibt Hardliner

Sebastian Kurz denkt nicht daran, auch nur ein Jota von seiner harten Linie in Sachen Flüchtlinge und Migranten abzuweichen. Er vertritt konsequent jene Position, die Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn für eine „Schande“ hält, aber in Österreich mehrheitsfähig ist: „Unsere Linie als Bundesregierung ist klar, nämlich keine zusätzliche freiwillige Aufnahme in Österreich.“ Europa dürfe „nicht denselben Fehler machen wie 2015“, so der ÖVP-Chef am gestrigen Sonntag. Er lehnt damit nicht nur für seine Partei, sondern auch für die Grünen die Aufnahme von Frauen und Kindern aus dem Krisengebiet ab.

Überraschender als diese Bestätigung einer sattsam bekannten Haltung ist die Haltung des grünen Vizekanzlers: Kogler gab klein bei und degradierte seine Forderung zur „persönlichen Meinung“. Einmal mehr ist deutlich zu sehen, wie kurz die Leine ist, an der die Grünen in dieser Regierung hängen.

Der restriktive ÖVP-Kurs erklärt sich zum einen aus dem Erfolg, den Kurz damit seit Jahren hat, zum anderen aus der Angst vor der FPÖ, die zwar noch immer am Ibiza-Virus laboriert, aber Hoffnung aus der neuen Migrationskrise schöpft. Ex-Innenminister Herbert Kickl hat schon das Wort in den Mund genommen, das sein türkiser Nachfolger Nehammer tunlichst vermeidet, wenn er davon spricht, dass man Migranten an der österreichischen Grenze „anhalten“ werde. Zwar ist ein Ansturm wie im Jahr 2015 nicht in Sicht und angesichts der Grenzhindernisse entlang der Balkanroute auch eher unwahrscheinlich, aber Kickl hat sich schon einmal dafür ausgesprochen, gegen an die Grenze drängende Migranten nicht nur Tränengas, sondern „natürlich“ auch Waffen einzusetzen.

Grüne Basis unzufrieden

Rechts ist die FPÖ also kaum noch zu überholen. Da die ÖVP aber ihren Wahlerfolg im vergangenen Herbst auch ehemaligen, vom Ibiza-Skandal abgestoßenen FPÖ-Wählern verdankt, ist nicht zu erwarten, dass Kurz in Sachen Migration nachgiebiger wird, auch wenn es in der ÖVP vereinzelt Stimmen für einen christlicheren Umgang mit diesem Thema gibt. Eine am Wochenende vom Nachrichtenmagazin profil veröffentlichte Umfrage bestätigt Kurz: 61 Prozent der Österreicher sind demnach dagegen, gemeinsam mit anderen EU-Ländern Flüchtlinge aus Griechenland zu holen, nur 31 Prozent sind dafür. Bei FPÖ-Wählern ist die Ablehnung mit 94 Prozent wenig überraschend am stärksten ausgeprägt, aber auch drei Viertel der ÖVP-Wähler wollen keine humanitäre Geste setzen.

Genau das wollen aber 83 Prozent der Grün-Wähler. Und je länger von der griechisch-türkischen Grenze unschöne Bilder von leidenden Frauen und Kindern übermittelt werden, desto größer wird der Druck der grünen Basis auf die Parteispitze, sich der eigenen humanitären Tradition zu besinnen. Noch stellt niemand die Koalition mit der ÖVP infrage, aber in den sozialen Medien macht sich der Unmut schon Luft. Die liberalen Neos werden die Grünen in der nächsten Parlamentssitzung zum Offenbarungseid zwingen, indem sie die Aufnahme von 500 Menschen aus griechischen Lagern beantragen werden.