Mobilität / Die Einführung von Luxemburgs Gratistransport als großes Theaterstück

Die beiden Hauptdarsteller des Stücks #freemobility: François Bausch und Lydie Polfer (Foto: Editpress/Julien Garroy)
Serge Tonnar. Es gibt nichts, was er nicht kann. Singen, Schreiben, Schauspielern – und die Moderation einer Pressekonferenz des Transportministeriums übernehmen. Während er singt. Und schauspielert. Verkleidet als Fahrkartenkontrolleur der CFL geleitet der Luxemburger Tausendsassa die Pressevertreter aus aller Welt durch das Spektakel, das Verkehrsminister François Bausch („déi gréng“) als große Propagandaschau für seine Verkehrswende inszenieren lässt. Viel Neues erfährt man bei dem ganzen Theater nicht, unterhaltsam aber ist die Veranstaltung allemal.
Im „Tramschapp“ (nicht die Kneipe auf dem Limpertsberg, sondern tatsächlich das Lager der Luxtram auf dem Kirchberg) stehen ein Dutzend Stuhlreihen für die Pressevertreter, rechts davon eine stille Tram in den bekannten, kosmischen Farben, die das futuristische Fahrgestell zu einem derart ikonischen Blickfang machen. Die Bühne selbst ganz in Schwarz, obenauf ein einsames Rednerpult, das auf seine Sprecher wartet. Dahinter eine große Leinwand. Das minimalistische Bühnenbild soll wohl nicht von der Handlung ablenken.
Mit einem Aufleuchten kündigt sich der Beginn der Konferenz an: Über die Leinwand flackern die ersten Bilder, ein Musikvideo des luxemburgischen R’n’B-Künstlers Edsun. Selbiger tritt dann höchstpersönlich aus der Tram, ein Mikrofon in der Hand und zwei Tänzer an seiner Seite. Die anwesenden Journalisten verharren in einer Mischung aus Überraschung und Unverständnis, während der Künstler sich im Laufe seiner Performance auf die Bühne bewegt und dabei seinen Hit zum Besten gibt. Ist das jetzt Kunst oder kommt auch noch ein Minister?
Nicht mehr automatisch zum Autoschlüssel greifen
Auf den Minister Bausch muss man tatsächlich noch warten. Zunächst scheucht Serge Tonnar in stilechter Verkleidung den Künstler mit einer angedrohten Fahrkartenkontrolle von der Bühne, bevor er zur Eröffnung ansetzt. Er spricht dann auch in einem Anflug kritischer Selbstreferenz von dem luxemburgischen Minderwertigkeitskomplex und der kompensatorischen Megalomanie: Ist die Einführung des kostenfreien Nahverkehrs wirklich vergleichbar mit der Erfindung des Rads? Mit der Mondlandung? Mit der ersten Weltumrundung? Bevor die Sezierung des aufgebauschten Mythos überhandnehmen kann, präsentiert der falsche Ticketkontrolleur den ehemals richtigen Ticketkontrolleur und Mann der Stunde: François Bausch.
Der Verkehrsminister erzählt wenig Neues – hier hätte die Dramaturgin noch mal den Text aufbessern können. Bausch resümiert das Vorhaben der Mobilitätsstrategie Modu 2.0. Da sind die Probleme des luxemburgischen Verkehrsnetzes, die durch Wirtschaftswachstum und Grenzpendler entstehen. Und dann sind da die anstehenden und bereits getätigten Investitionen von annähernd 4 Milliarden Euro bis 2023, neben denen die 41 Millionen für die Abschaffung von Fahrscheinen wie Peanuts wirken. Interessant ist auch der Umstand, dass Luxemburg inzwischen die Schweiz bei den Ausgaben pro Kopf überholt hat, die das Land in sein Transportwesen investiert. Dann schließlich erklärt Bausch auch die Idee, die hinter der Inszenierung steckt: Es wird über die Mobilität geredet – mehr als je zuvor in Luxemburg. Wenn eine Trendwende gelingen soll, muss sie auch in den Köpfen der Leute gelingen. „Ich möchte, dass die Menschen nicht mehr automatisch zum Autoschlüssel in der Tasche greifen, wenn sie irgendwo hinwollen.“ Die PR-Strategie scheint aufzugehen.
Dichter und Verdichtung
Serge Tonnar hat auch Familie mitgebracht: In der nächsten Szene des Stücks tritt sein Sohn Turnup Tun aus der Tram, als Teil des Luxemburger Hip-Hop-Kollektivs Stayfou zusammen mit Skinny J. Die betont hippe Jugendlichkeit und „Freshness“ der Pressekonferenz schlägt für einen Moment ins Unangenehme, gedenkt man dem Umstand, dass die Hälfte der anwesenden Journalisten die auf Luxemburgisch gerappten Peinlichkeiten nicht verstehen. Vielleicht auch zum Glück. Die plakative Selbstironie des vorgetragenen Sprechgesangs erzeugt beim Zuhören in erster Linie Fremdscham. Gewisse Dichter werden nicht gelesen und sollten auch ungehört bleiben.
Davon profitiert natürlich die Bürgermeisterin von Luxemburg-Stadt, Lydie Polfer (DP), die den zweiten Akt des Theaterstücks konkludiert und eigentlich nicht unbedingt für ihr sicheres Auftreten auf Bühnen bekannt ist. Sie bringt den Vortrag zurück zu den Fakten: „Luxemburg-Stadt macht nur zwei Prozent der Landesfläche aus, vereint auf sich aber 20 Prozent der Einwohner und 40 Prozent der Arbeitsplätze.“ Diese räumliche Verdichtung führe naturgemäß zu Problemen, die Schaffung neuer Transportkonzepte sei notwendig, um diesen vorzubeugen. Nicht neu, aber wahr.
Interessant ist aber der psychologische Effekt, den sie an einem Beispiel erläutert: Die Angestellten der Stadt Luxemburg hatten zunächst eine Vergünstigung ihres Jahrestickets erhalten – statt 440 Euro kostete die rabattierte Version noch 150 Euro. Das Interesse der Beamten war verhalten. Als die Stadt aber 2018 entschied, ihren Angestellten das Ticket kostenlos anzubieten, meldeten sich über 3.000 Mitarbeiter. Die Episode legt nahe: Es reicht nicht, dass ein Angebot günstig ist – manchmal muss es wohl wirklich umsonst sein.
Reisefreiheit
Den letzten Akt des Stücks leitet Serge Tonnar selbst ein – der heimliche Star des Nachmittags. Er singt sein 2015 entstandenes „Mir wëllen ierch ons Heemecht weisen“, das Stück, das im Zuge der Flüchtlingsbewegung nach Europa an die Bereitschaft der Luxemburger appellieren sollte, den Schutzsuchenden nicht mit Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Im Hintergrund läuft das Musikvideo – es spielt in den Zügen der CFL. Tonnar evoziert an dieser Stelle auch ein Versprechen, das von Beginn des Schienenverkehrs an immer mitschwang, wenn ein Zug in den Bahnhof einrollte: die Reisefreiheit, die auch eine soziale Mobilität und eine Teilhabe an den Geschehnissen der Welt beinhaltet. In einer Zeit, in der die Reisefreiheit vieler Menschen an den Außengrenzen Europas endet, ist die Einführung des kostenlosen Nahverkehrs in Luxemburg auch eine Gelegenheit, daran zu erinnern, dass diese Bewegungsfreiheit ein Luxus ist, den nur wenige Menschen auf der Welt genießen.
Tonnars Beschwörung dieser erhabenen Dimension ist es wohl auch, die das journalistische Publikum stumm in die folgende Fragerunde entlässt. Das Durchbrechen der vierten Wand gelingt den Regisseuren nur mäßig, ein einzelner Journalist meldet sich und stellt verschüchtert eine Frage. Die anderen schweigen. Ob die Konferenz sie überwältigt hat oder ob sie auf exklusive O-Töne warten, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen.
Pressestimmen
„Ich hoffe, es inspiriert andere Länder“
„Das ist ein großartiger Tag“, sagt Allan Alaküla. Er ist der Leiter des European Union Office Tallinn, Estland. Nun bekomme nach Tallinn die zweite Hauptstadt, nach Estland das zweite Land in der EU einen kostenlosen öffentlichen Transport. Luxemburg gehe aber noch deutlich weiter als Tallinn. In dem baltischen Land seien in 11 der 15 Landkreise die Busse kostenlos, nicht aber die Züge. Und in der estnischen Hauptstadt dürfen nur Einwohner der Stadt gratis den öffentlichen Transport nutzen – dies, damit die Stadt mehr Steuerzahler bekommt. Was Luxemburg nun mache, sei „viel, viel besser als in Tallinn oder sonst irgendwo“, sagt Allan Alaküla. „Es geht in die richtige Richtung. Ich hoffe, es inspiriert auch andere Länder.“
„Beeindruckt – und auch ein bisschen neidisch“
„Von der Strategie und dem Konzept, das Luxemburg uns hier präsentiert, sind wir als Deutsche beeindruckt – und auch ein bisschen neidisch“, sagt Birgit Reichert von der deutschen Presseagentur (dpa) in Trier. Zwar sei der kostenlose Transport auch gutes Marketing. „Aber das Konzept hört sich bemerkenswert und überzeugend an.“ Und es könne auch als Anregung für andere Länder – wie Deutschland – dienen. Eins zu eins übertragen könne man es aber nicht, findet die Journalistin. „Aber es sind sehr viele gute Ansätze drin, zum Beispiel, wie man die Verkehrsmittel intelligent verknüpfen kann.“
„Dann könnten wir den Umstieg schaffen“
„Ich bin noch Student und finde das eine super Sache“, sagt Bob Boost vom Radio RPR1. „Würde man das auch in Deutschland so machen, dann könnten wir den Umstieg auf den öffentlichen Transport schaffen.“ Doch für übertragbar auf Deutschland hält er das Konzept auch nicht, sei es wegen der Landesgröße, wegen des föderalen Systems oder weil der öffentliche Transport in Deutschland teurer ist. Immerhin senke die deutsche Bahn nun die Mehrwertsteuer auf Tickets. „Aber eine Preisreduktion – das hat ja vorher auch die Bürgermeisterin der Stadt gesagt – wird nicht mehr Leute in die öffentlichen Verkehrsmittel bringen.“
« Let’z(ebuerg) promote the Virus ». Da wollen wir doch Vorbild, Vorreiter in Europa , der Welt sein und schlagen alle Warnungen der Gesundheitsexperten in den Wind . In der Schweiz sind Veranstaltungen ab 1000 Teilnehmer verboten ( Nun ja die Schweiz scheint ähnlich Luxemburg das Inselsyndrom zuhaben, aber nur bis 1000 Menschen, ab 1000 ohne Gewähr für Ansteckung) oder rechnen die politischen Verantwortlichen bei dieser Veranstaltung mit wenig Zulauf. „ Ass et dem Iesel ze wuel, geet hien op d‘Ais danzen “ oder politische Unvernunft, Unverantwortlichkeit.
Das ganze Land ist nur eine Theatertribühne.
Am Samstag wird es gratis Corona Kirschen geben.
Ab Sonntag, wenn die mondänen ministeriellen Festlichkeiten zu Ende sind, dürfen die ersten Corona Fälle dann veröffentlicht werden.