LuxemburgViren-Experte Claude Muller über das  Coronavirus: „Zu Beginn des Ausbruchs war ich noch optimistischer“

Luxemburg / Viren-Experte Claude Muller über das  Coronavirus: „Zu Beginn des Ausbruchs war ich noch optimistischer“
Touristen schlendern am Montag durch Venedig: Die letzten beiden Tage des Karnevals wurden wegen des Coronavirus-Ausbruches in Italien abgesagt Foto: AFP/Andrea Pattaro

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Das Coronavirus breitet sich in immer mehr Ländern aus. In Italien wurde am Montag das siebte Todesopfer gemeldet. Auch in Luxemburg stieg zu Wochenbeginn die Anspannung. An der Zeit demnach für ein Gespräch mit Claude Muller vom „Luxembourg Institute of Health – Department of Infection and Immunity“, der kurz nach unserem Gespräch nach Brüssel aufbrechen musste, um dort europäische Projekte gegen das Virus auszuwerten. Was eine Eindämmung des neuen Coronavirus angeht, zeigt sich Luxemburgs bekanntester Virenexperte wenig hoffnungsfroh. Bei allem, was man mittlerweile über das neuartige SARS-CoV-2 wisse, falle Optimismus schwer.

Tageblatt: Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus ein?

Claude Muller: Kurz gesagt: Es breitet sich aus, betrifft immer mehr Länder und die Todeszahlen steigen. Alles nicht wirklich beruhigend demnach. Zu Beginn des Ausbruches war ich noch optimistischer und dachte, das Virus ließe sich vielleicht leichter eindämmen.

Aber wir haben vor vier Wochen bereits einmal miteinander darüber gesprochen – besonders optimistisch klangen Sie auch da nicht. Was hat die Lage denn verschlimmert? Hat sich das Virus verändert?

Wir wissen jetzt mehr über das Virus, haben demnach eher neue Erkenntnisse, als dass sich das Virus verändert hätte. Anfangs gingen wir davon aus, dass sich das Virus vor allem in der Lunge einnistet. Das war sozusagen unsere Hoffnung, dann wäre es weniger ansteckend gewesen. Der Weg aus der Lunge wieder heraus ist nun einmal weiter als der aus der Nase. Inzwischen zeigen Studien, dass sich das Virus mit hoher Affinität an einen Rezeptor der Nasenschleimhaut bindet. Das führt zu zwei Sachen: In der Nase produzierte Viren gelangen zum einen schnell nach draußen und zum anderen reichen auch geringere Virus-Mengen, um die Nasenschleimhaut zu infizieren. Wir haben es demnach mit einem hochansteckenden Virus zu tun. Zudem scheinen auch Viren in der Nasenschleimhaut produziert zu werden bei Patienten, die (erst noch) wenige oder keine Symptome einer Erkrankung zeigen, aber trotzdem ansteckend sind.

Wo sehen Sie denn noch Hoffnung, was die Eindämmung des Virus angeht?

Ich bin erstaunt darüber, wie jetzt auch Italien drastische Maßnahmen ergreift und ganze Gemeinden abriegelt. Das gibt eine gewisse Hoffnung. Aus vielen anderen Ländern haben wir aber noch gar nichts gehört. Was ist in Afrika los? Keiner weiß es, man hört nichts von Verdachtsfällen. Was ein schlechtes Zeichen ist und auf eine mangelnde Überwachung hindeutet. Und in Afrika gibt es viele chinesische Arbeiter, von denen wiederum zahlreiche über das chinesische Neujahrsfest in ihre Heimat reisten und nachher wieder zurückkamen. Wir hören auch viel zu wenig aus verschiedenen asiatischen Staaten wie Laos, Kambodscha oder Nordkorea. Staaten, die auch aus politischen Gründen meinen, wenn sie nicht genau hinschauen und folglich nichts entdecken, dass dann auch alles gut sei. Letztlich wird sich die Ausbreitung des neuen Coronavirus aber genau in diesen Ländern entscheiden. Sogar dann, wenn wir in Europa oder Amerika das Virus eindämmen können, werden die Länder mit weniger effizienten Gesundheitssystemen am Ende ausschlaggebend sein dafür, ob das Virus als zusätzlicher respiratorischer Virus bleibt – oder eben nicht.

In den betroffenen Gebieten in Italien machen die Menschen aus der Sorge vor Engpässen Hamsterkäufe in den Supermärkten 
In den betroffenen Gebieten in Italien machen die Menschen aus der Sorge vor Engpässen Hamsterkäufe in den Supermärkten  Foto: AFP/Miguel Medina

Nach dem Ausbruch in Italien wird jetzt fieberhaft nach Patient Null gesucht, also jenem, der am Anfang der Ansteckungswelle steht. Erschwert wird die Suche wegen der Ansteckungsgefahr durch Menschen, die keine Symptome zeigen. Ist das ein ungewöhnliches Verhalten bei Viren?

Es ist bekannt, dass Menschen Träger sein können, das Virus ausscheiden, aber selber nicht krank sind. Sehr gefährlich wird es – und auch das ist bekannt von anderen Infektionskrankheiten –, wenn sich das Virus auch länger bei einem asymptomatischen Patienten reproduzieren kann und dieser ansteckend ist. Das kann bis zu ein paar Wochen gehen, im schlimmsten Fall noch länger. Allerdings wäre das für ein respiratorisches Virus eher ungewöhnlich. Und bereits das erste Szenario einer Infektiosität während der Inkubationszeit ist besorgniserregend genug.

Was wir jetzt erleben, ist das schon eine Pandemie?

Pandemie ist ein heikler Begriff. Die Weltgesundheitsorganisation verwendete ihn im Zusammenhang mit hochpatogenen Influenzaviren wie dem H5N1-Virus, diesem Influenza-Virus, das sowohl hochinfektiös war wie eine hohe Sterblichkeitsrate hatte, und gebrauchte ihn 2009 erneut für das pandemische Influenza-Virus H1N1. Das hat eine Reihe Maßnahmen in Gang gesetzt, die sich im Nachhinein als überzogen erwiesen haben, da das Sterblichkeitsrisiko als zu hoch eingeschätzt worden war. Aber im Nachhinein ist man immer klüger. Das Wort Pandemie wurde damals assoziiert mit einer hohen Sterblichkeitsrate – und wird auch deswegen jetzt kaum benutzt, weil die Sterblichkeitsrate zum Glück nicht so hoch ist wie zum Beispiel beim ersten SARS-Virus 2002, als sie bei zehn Prozent der Infizierten lag. Jetzt bewegen wir uns bei zwei Prozent. Das steigert sich bei älteren Menschen oder solchen mit Vorerkrankungen.

Bei einer weiteren Ausbreitung rechnen Epidemiologen mit möglicherweise Hunderttausenden Toten. Wie sind solche Zahlen einzuschätzen?

Eine solche Zahl hört sich natürlich gigantisch an. Aber auch durch das Influenza-Virus sterben Zigtausende. Im globalen Maßstab wäre das demnach nicht so viel, trotzdem natürlich dramatisch. Ich würde nicht mit solchen Zahlen arbeiten, sie vermitteln ein falsches Bild. Die Sterblichkeit beim neuartigen Coronavirus ist im Schnitt zehnmal höher als beim Influenzavirus – das lässt sich behaupten und ist weniger effekthascherisch. Wenn Sie allerdings in der falschen Altersgruppe sind, über 70 oder 80, dann kommen Sie in eine Situation mit einer Sterblichkeitsrate, die bei bis zu 15 Prozent liegt.

Wann ist mit einer Impfung zu rechnen?

Die wird es geben, weltweit wird danach geforscht, viele Gelder wurden freigesetzt, auch von der Europäischen Union – aber bis ein Impfstoff da ist, wird es dauern. Am Dienstag und Mittwoch werde ich in Brüssel die bei der EU eingereichten Projekte mit auswerten, da wird es auch um Impfstoffe gehen. Alles in allem schätze ich, dass wir uns da noch ein Jahr werden gedulden müssen.

Was Luxemburg angeht, frage ich mich, ob man da nicht zu optimistisch ist, sich nicht zu sehr vom eigenen Wunschdenken leiten lässt

Claude Muller, Luxembourg Institute of Health

Damit ist ein Impfstoff etwas für die Zukunft – ist ein solches Mittel demnach keine Hilfe bei den Anstrengungen zur Eindämmung des Virus?

Wenn der Impfstoff bis da ist, wissen wir bereits, ob sich dieses Virus in der Welt festgesetzt hat oder nicht. Wenn wir in einem Jahr einen klinisch getesteten Impfstoff haben, wäre das schon nicht schlecht. Falls wir ein bisschen abkürzen bei den Tests, kann es vielleicht schneller gehen. Das eine ist die Entwicklung, das andere sind die Tests auf Nebenwirkungen – die dauern, doch nur da kann Zeit gewonnen werden. Die Frage wird sein, wie viel Risiko man eingehen will oder muss.

Wann wissen wir mehr? Wann sehen wir klarer, ob sich das Virus wieder verdrängen lässt?

Das ist schwer zu beantworten. Aber im Prinzip bleibt die Möglichkeit, auch ein etabliertes Virus wieder zu verdrängen. Das haben wir bei den Pocken geschafft, bei der Polio, also bei der Kinderlähmung, fast. Sollte es ein guter Impfstoff werden und die Ansteckungsgefahr nicht noch weiter steigen, könnte sich das Virus auch wieder zurückdrängen lassen. Aber da hängen viele Fragen dran, auch politische. Die Reaktion der Weltgesundheitsorganisation wird wichtig sein. Zudem, das muss man leider sagen, dass gegen respiratorische Viren nicht besonders gut geimpft wird. Die Inanspruchnahme der Influenza-Impfstoffe lässt arg zu wünschen übrig. Da sind einige wenige Länder gut, viele andere aber sehr schlecht. Das sind oft arme Länder, die überlegen müssen, wo und wie sie ihre Mittel einsetzen.

In Italien gibt es jetzt einen großen Ausbruch, zudem waren in Luxemburg Schulferien. Vonseiten des Luxemburger Staats oder seiner Gesundheitsbehörden gab es aber bislang keine betreffenden Mitteilungen – ist das unnötig oder wurde da etwas verpasst?

In der Tat hörte man bis zum Montag nicht besonders viel von offizieller Seite. Mir gegenüber haben sich hingegen Leute gemeldet, die etwa aus Südostasien oder direkt aus China kamen und überrascht waren, überhaupt nicht gescreent, getestet oder auch nur informiert worden zu sein. Ich frage mich, ob man da nicht zu optimistisch ist, sich nicht zu sehr vom eigenen Wunschdenken leiten lässt. Aber vielleicht sind mir auch nicht alle Maßnahmen geläufig.

Das Tageblatt hat sich vor genau vier Wochen bereits einmal mit Claude Muller über das Coronavirus unterhalten und auch da schon viel Interessantes erfahren. Nicht nur über das Coronavirus, sondern auch über Masern, den Menschen vor 12.000 Jahren und die Dummheit des Ebola-Virus. Hier geht es zum Interview.

Kennt sich mit Viren aus: Claude Muller vom „Luxembourg Institute of Health – Department of Infection and Immunity“ hier im Gespräch mit Paulette Lenert, inzwischen Gesundheitsministerin
Kennt sich mit Viren aus: Claude Muller vom „Luxembourg Institute of Health – Department of Infection and Immunity“ hier im Gespräch mit Paulette Lenert, inzwischen Gesundheitsministerin Foto: Editpress/Armand Back
Schmit
27. Februar 2020 - 19.37

Und was sagen die Virenschleudern sprich die leiw Fledermäisercher dozou ????

J.C.Kemp
27. Februar 2020 - 12.25

@winston: Der Pestepidemie des frühen Mittelalters ist immerhin ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung zum Opfer gefallen. Damit wären wir heute mit, sogar einer hypothetischen, Million Toten noch sehr weit entfernt. Übrigens, es sterben bei weitem mehr Menschen durch Hunger, Malaria und Waffenhandel, aber das sind nur lästige Randerscheinungen, oder?

Aender
25. Februar 2020 - 16.16

Ankunft in Singapore (Changi) , Temperaturscan, man hat mich freundlich gebeten meine Kappe aus MACAO ab zu nehmen, ne ich war zuvor nicht in China oder Dependenzien, damit der Scan auch richtig funktioniert, ne gefragt, wo ich her kam, hat man nicht, Rebelotte in Bangkok, (BKK) Auch dort hatte man kein Bedenken über meine Herrkunft. P.S. Menschen mit Masken, auch in den Spitälern, sieht man hier nicht, oder zumindest nicht mehr als sonst. Wir und alle anderen Menschen begegnen dem Virus mit dem nötigen Respekt, aber ansonsten eher cooler als der Hype in EU. Durch Bomben sterben Jährlich mehr Menschen als es voraussichtlich durch diesen Virus sein werden. Die Bomben/Armeen zu verbieten, fällt natürlich keinem Politiker ein.

winston
25. Februar 2020 - 15.26

Wenn der Virus seine DNA jetzt ändert und agressiver wird und die Todesfälle sich häufen,d.h. das jede Altersgruppe daran sterben kann,haben wir ein grosses Problem.Das öffentliche Leben würde zum Stillstand kommen.Es wäre vergleichbar mit der Pestepidemie im 14.Jahrhundert,ausser dass die Krankheit nicht Monate bräuchte,um sich auszubreiten,sondern Tage. Die Epidemie ist längst überfällig.

J.Scholer
25. Februar 2020 - 5.41

Globalisierung und Reisefreiheit tragen dazu bei, dass dieser Virus sich weltweit so schnell verbreitet.