Plötzlich Profi: Das turbulente Jahr des Luxemburger Radsportlers Kevin Geniets

Plötzlich Profi: Das turbulente Jahr des Luxemburger Radsportlers Kevin Geniets

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Radsportler Kevin Geniets hat im März den Sprung ins Profigeschäft geschafft. Seine ersten Einsätze für Groupama-FDJ waren vielversprechend. Dabei stand der 22-Jährige vor genau einem Jahr noch am Scheideweg seiner Karriere.

Zeitfahren zum Auftakt

Heute (28.6.) beginnen die Landesmeisterschaften im Straßenradsport. In diesem Jahr werden die Titelkämpfe von gleich fünf Vereinen organisiert: dem LG Beles, CCI Differdingen, LC Kayl, CC Monnerich und LP Schifflingen.

Zunächst steht das Zeitfahren im Fokus. Bei der Elite ist die Favoritenrolle klar verteilt: Christine Majerus und Bob Jungels werden wohl nichts anbrennen lassen. Bei den Herren fehlen mit Alex Kirsch und Jempy Drucker die beiden Hauptkonkurrenten.

Der Kampf gegen die Uhr wird in Differdingen auf dem Plateau Col de l’Europe auf einem Rundkurs von 5,73 km ausgetragen. Los geht es um 15.30 Uhr mit den Débutants, die eine Runde zurücklegen, genau wie die Masters. Junioren und Damen legen zwei Runden zurück, während die Männer drei Runden absolvieren müssen.

Christine Majerus startet um 17.59 Uhr. Als Letzter geht Bob Jungels um 21.06 Uhr auf die Strecke.

Die Karriere von Kevin Geniets wäre beinahe beendet gewesen, bevor sie richtig begonnen hatte. Es war heute auf den Tag genau vor einem Jahr. Geniets saß nach dem Zeitfahren der Landesmeisterschaften niedergeschlagen im Wohnwagen. Er wollte in dem Moment allein sein. Es war nicht die Enttäuschung über Platz sechs im Rennen der Espoirs. Es stellte sich für ihn vielmehr die Frage, ob die ganze Schinderei der letzten Jahre umsonst war, ob es noch Sinn macht, tagtäglich auf sein Rad zu steigen.

Dann ist Romain Gastauer, sein Trainer und Vertrauter, in den Wohnwagen gestiegen und hat ein langes Gespräch mit seinem Schützling geführt. «Ich habe ihm gesagt, dass er sich klar werden muss, was er will. Dass er, wenn er sich nicht zusammenreißt, gleich mit dem Radsport aufhören könnte. Mit der Profikarriere würde es so ohnehin nicht klappen», erzählt der Vater von Radprofi Ben Gastauer.

Ein Jahr voller Hürden

2018 war ein Seuchenjahr für Kevin Geniets. Eine zu spät diagnostizierte Mononukleose, Stürze und eine schwierige Zeit auf persönlicher Ebene sorgten dafür, dass das Nachwuchstalent hinter seinen Möglichkeiten herfuhr. Ein Jahr später ist Geniets gerade von der Tour de Suisse, seinem ersten WorldTour-Rennen, zurückgekehrt. Eine Sportlerkarriere hängt manchmal an ganz dünnen Fäden.

Nach dem Gespräch im Wohnwagen wurde Geniets klar, dass er das «Centre de formation» in Chambéry verlassen müsse. Er hatte drei Jahre im Ausbildungszentrum des Profi-Rennstalls Ag2r-La Mondiale verbracht. In seinem zweiten Jahr durfte er sogar schon als «Stagiaire» Profi-Luft schnuppern. Der Weg schien vorgezeichnet, bis eben zur vergangenen Saison.

Plötzlich Profi

Beim Kontinental-Team von Groupama-FDJ, dem anderen großen französischen Profirennstall, hat Geniets in diesem Jahr einen Neuanfang gewagt. Mit der klaren Zielsetzung, bis spätestens Ende 2019 einen Profivertrag in der Tasche zu haben. «Ansonsten hätte ich mit dem Radsport aufgehört. Ich wollte nicht mit 26 dastehen und noch nichts in meinem Leben erreicht haben.» Dass es auf einmal so schnell gehen würde, damit hatte keiner gerechnet. Anfang März, unmittelbar nach den Doping-Razzien bei der nordischen Ski-Weltmeisterschaft, hat der österreichische FDJ-Fahrer Georg Preidler gestanden, Kunde des in die Razzien involvierten Arztes gewesen zu sein. Sein Vertrag wurde aufgelöst und Groupama-FDJ war auf der Suche nach einem Ersatz.

Die sportliche Leitung hörte sich beim eigenen Development-Team um. «Die haben uns gleich gesagt, dass sie einen Kandidaten haben, der in Frage kommt, und das war Kevin», sagt Yvon Madiot, sportlicher Leiter und zuständig für die Rekrutierung beim WorldTour-Team. Geniets selbst wusste da noch nichts von seinem Glück. Die Gespräche liefen zwischen Development-Team, Profi-Mannschaft und dem Agenten von Geniets. «Ich war quasi der Letzte, der darüber informiert wurde. Man wollte mir keinen zusätzlichen Druck machen», erklärt der 22-Jährige. Erst als sämtliche Details geklärt waren, wurde der Nachwuchshoffnung die freudige Botschaft per Telefon übermittelt.

Geniets hat sich bereits im Kontinentalteam von Groupama-FDJ wohlgefühlt und das hat sich mit dem Sprung zu den Profis nicht geändert. Der Traditionsrennstall wird von Manager Marc Madiot, dem zweimaligen Sieger von Paris-Roubaix, geleitet und ist ein Familienbetrieb. Bruder Yvon ist als sportlicher Leiter aktiv und dessen Tochter Elisa kümmert sich um die Pressearbeit. Marc Madiot legt großen Wert auf Vertrauen.

Freundlich und zielstrebig

Die engste Bezugsperson für Kevin Geniets ist Julien Pinot. Der Bruder von Thibaut Pinot, dem Star der Mannschaft, ist einer der Trainer des Rennstalls und eine Instanz in Sachen Trainingswissenschaften. Julien sei sofort beeindruckt gewesen vom Luxemburger, erklärt Yvon Madiot. Und das nicht bloß aufgrund seiner Leistungsdaten. «Kevin ist noch sehr jung und arbeitet bereits sehr strukturiert. Das sieht man nicht bei jedem 22-Jährigen.» Madiot schätzt auch die Persönlichkeit des Luxemburgers. Er beschreibt Geniets als sehr höflich und freundlich, doch wisse er auch ganz genau, was er wolle. Eine gute Voraussetzung für einen Profisportler.

Seit dem freudigen Telefonanruf ging es für Geniets Schlag auf Schlag. Zeit, das Ganze zu verarbeiten, blieb ihm nicht. Am 30. März war er erstmals für seine neue Mannschaft im Einsatz. Bei der Classique Loire Atlantique musste er vorzeitig aussteigen, einen Tag später fuhr er bei Cholet – Pays de Loire als 44. ins Ziel und verhalf seinem Teamkollegen Marc Sarreau zum Sieg. So wie fast jeder Neuling musste Geniets in den ersten Rennen gleich zu Beginn im Wind fahren. «Eigentlich sollte er bei den kleineren Rennen in Frankreich zu Beginn seine Arbeit verrichten und etwas Erfahrung sammeln. Doch wir haben schnell gemerkt, dass er in diesen Rennen zwar nicht gleich eine Kapitänsrolle übernehmen kann, aber trotzdem die Möglichkeit hat, um ein gutes Resultat mitzufahren», erklärt Yvon Madiot. So hat sich die Rolle des Luxemburgers innerhalb des Teams schnell verändert. Wenig später folgten die ersten Top-Ten-Platzierungen.

Nächste Haltestelle: Tour de France?

Vergangene Woche durfte Geniets erstmals an den Start eines WorldTour-Wettkampfs gehen. Die Tour de Suisse ist eines der wichtigsten Vorbereitungsrennen auf die Tour de France. Die Klassementfahrer nähern sich ihrer Topform und dementsprechend hoch ist das Niveau bei der Rundfahrt der Eidgenossen.

Was Geniets aber noch mehr beeindruckte als das hohe Niveau, war, wie gut die Sprinter die Berge hochkamen. «Ich hatte das Gefühl, ich würde den Pass richtig schnell hochfahren. Als ich zur Seite blickte, sah ich dann Peter Sagan neben mir fahren.»

Versteckt hatte sich der Luxemburger nicht. Auf der sechsten Etappe war er Teil der Fluchtgruppe, die erst wenige Kilometer vor dem Ziel eingeholt wurde. «Das war schon eine besondere Erfahrung», sagt der Schifflinger.

Behutsames Aufbauen 

Sein Rennstall war mit der Leistung seines neuesten Schützlings sehr zufrieden. Wo der Weg für Geniets als Radfahrer hinführen wird, weiß Madiot noch nicht so genau. «Auch nach der Tour de Suisse können wir noch nicht so recht sagen, welches Potenzial Kevin im Hochgebirge wirklich hat.» Ein klassischer Bergfahrer wird der 1,93 m große und 70 kg schwere Geniets sicher nicht.

Madiot will das 22-jährige Talent behutsam aufbauen, bloß keine Schritte bei der Entwicklung überspringen. In den nächsten Tagen wird sich entscheiden, wie die restliche Saison verlaufen wird. Für das kommende Jahr will die sportliche Leitung Geniets bei den flämischen Rennen testen. Das müsse seinen Qualitäten eigentlich entgegenkommen, meint Madiot.

Jetzt ist Geniets erst einmal bei den Landesmeisterschaften im Einsatz, bevor eine Pause eingelegt und Urlaub gemacht wird. Dann hat er endlich Zeit, sich bewusst zu werden, was in den letzten Monaten so alles passiert ist.