Das gute Europa? Über die Zukunft einer großartigen Idee

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Während unsere Vorfahren noch gegeneinander in den Krieg zogen, können wir in dem Luxus leben, den europäischen Nachbarn vertrauen zu können. Ein Krieg innerhalb der EU ist glücklicherweise schon mal unvorstellbar, Ost- und Westeuropa sind vereint. Das gemeinsame Haus Europa sichert den Frieden. Welch ein glückliches Geschenk eigentlich!

Ein Forumsbeitrag von Frank Bertemes

Der Autor ist CFL-Angestellter und verfasst regelmäßig Beiträge für das Tageblatt-Forum.

Was uns heutzutage auf den ersten Blick als normal erscheint, für uns alle demnach eine völlige Selbstverständlichkeit darstellt, musste jedoch erst erarbeitet werden. Dieses bis heute abgesicherte Friedensprojekt, das „gute“ Europa, das Gute an Europa, wie man zugeben muss, ist das eigentlich Gelungene an ebendieser Europäischen Union!

Ein Europa, das jedoch von eben jenen politischen, völlig überflüssigen Kräften in Frage gestellt wird, die, historisch gesehen, für das verantwortlich waren, das wir, die wir das Privileg genießen dürfen, in permanenten Friedenszeiten auf unserem Kontinent leben zu dürfen, dezidiert aktiv bekämpfen wollen, nämlich Kriege!

Rückkehr zu Faschismus und Naziterror?

Diese Rechtskräfte, für die Kriege, historisch gesehen, praktisch ihre erklärte Existenzberechtigung darstellten und die nun tatsächlich das Wort „Sicherheit“ wahlkampftechnisch in ihren Absichten demagogisch einzusetzen sich nicht schämen, wollen europaweit wieder an Machtpositionen kommen. Und die sollen wir auch noch in der Wahlkabine mittels unserer Stimmen unterstützen?

Überspitzt gefragt: die Rückkehr zu Faschismus und Naziterror? Im 21. Jahrhundert? Man erspare uns das doch bitte definitiv! Am 26. Mai stehen bekanntlich die Wahlen zum Europäischen Parlament an und man fragt sich, wohin geht es mit diesem Europa angesichts der Gefahren, die von populistischen Rechtskräften und ihren diversen „Parteien“ so ausgehen?

Immerhin grassiert erneut das Ressentiment, Nationalismen feiern bedenkliche Urstände, Mauern sollen wieder hochgezogen, Grenzen wieder eingeführt und Flüchtlinge abgewehrt werden. Fehlt nur noch, dass wir wieder mit Waffen (die wir in Europa ja massiv produzieren, doch davon spricht man am liebsten nicht!) aufeinander losgehen sollen.

Frieden, Versöhnung und Demokratie

Denn über Jahrhunderte gehörten Kriege zu Europa dazu. Noch im 20. Jahrhundert starben im Zweiten Weltkrieg über 55 Millionen Menschen, das alte Europa brach zusammen. Da war die Zeit gekommen für die Idee eines vereinten Europas, eine jahrhundertealte Utopie, die sich seit der Zeit der Griechen und Römer bis in die Neuzeit zieht. Über eine halbe Milliarde Europäer leben heute in Frieden und Freiheit – dank der EU. „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle“, sagte der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer bereits 1954.

Am 9. Mai 1950 formulierte der französische Außenminister Robert Schuman die europäische Idee. Die europäischen Staaten sollten wirtschaftlich so stark zu einer Gemeinschaft im Dienste des Friedens verbunden werden, dass Kriege zwischen ihnen nicht mehr möglich sind.

Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1952 war der erste Schritt, es folgten die Römischen Verträge 1957, die den eigentlichen Beginn des Friedensprojektes Europa darstellen. Blickt man zurück, so gab es noch nie in der Geschichte Europas so lange Frieden am Stück, jetzt bereits seit über 70 Jahren. Und das in einer Welt, in der rings um uns herum über 40 bewaffnete Konflikte diverser Form schwelen, die jedes Jahr viele Menschenleben fordern.

Für die Verbreitung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten hat die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Natürlich haben sich viele gefragt, ob die EU diese renommierte Auszeichnung verdient – obwohl Flüchtlinge auf dem Mittelmeer sterben und viele EU-Länder Waffen exportieren. Ja, hat sie, muss man trotz aller Kritik bestätigen. Denn ihre Verdienste für den Frieden sind unbestreitbar. Streit wird heute glücklicherweise anders gelöst, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Manchmal streiten wir. Aber wir streiten mit Worten. Und wir lösen unsere Konflikte am Verhandlungstisch, nicht in Schützengräben.“ Und das ist gut so! Dieses Europa darf keine Festung werden, in der wir uns vor den anderen abschotten.

Unbestreitbare Verdienste für den Frieden

Im Gegenteil: Es muss offen sein. Denn die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zwingen uns alle auch in Zukunft zur Zusammenarbeit. Sie können nicht im Sinne des alten nationalstaatlichen Denkens von den einzelnen Ländern allein bewältigt werden. Auch wenn einige Rechtslastigen das Gegenteil propagieren und in vollmundigen Parolen dementsprechende Sprüche von sich geben.

Denn trotz aller bekannten Probleme, die diese neoliberal entgleiste EU leider mitzuverantworten hat, gibt es keine Alternative zur EU! Das muss uns allen klar sein und wenn dem so ist, dann werden die Rechtskräfte auf EU-Ebene kein politisches Terrain mehr haben. Dies trotz des Verlustes der ursprünglich angedachten sozialen Marktwirtschaft aufgrund der Interessen, meint der Profitgelüste der Banken und Konzerne, dieses bösen Dschungelkapitalismus, der heuer von ebendiesen Akteuren des Großkapitals zweifellos mit den modernen Mitteln der Digitalisierung auch noch weitergetrieben werden soll.

Nennen wir in diesem Kontext ein Beispiel, ein Stichwort: FinTech. Freundlich ausgedrückt sind FinTechs jene Unternehmen, die Finanzdienstleistungen durch den Einsatz moderner Technologien verändern. Das National Digital Research Center in Dublin definiert FinTech, von dem gewisse liberale Politiker so fasziniert sind, als (bedenkliche) „Innovation“ im Bereich der Finanzdienste. Genauer: FinTech-Firmen nutzen oftmals Technologie, um etablierte finanzielle Systeme zu erschüttern, meint zu zerstören.

Ganz einfach: Sie glauben an eine Zukunft, in der das Geld digital ist!

Horrorszenario einer kaputten Union

Im gesunden Sinne und in unserem Kontext des „guten Europa“ besteht unter Europäern der breitgefächerte Konsens, die Europäische Union zu erhalten, indem man sie reformiert. Sprich von innen her umbaut.

Das Horrorszenario des Verlustes der EU aufgrund rechtsextremer Tendenzen wünschen wir uns nicht! Im Klartext: Fallen wir doch bitte nicht auf die rechtsradikalen Kräfte herein, man nenne sie nun Populisten oder nicht – wer von denen nun mehr oder weniger gefährlich ist, ist dabei völlig irrelevant.

Jedenfalls rufen die alle bereits dazu auf, die anstehenden Wahlen zum Europaparlament zu einer Völkerabstimmung über die Europäische Union an sich umzufunktionieren und um darüber hinaus dann die von diesen megalomanen Rechtspopulisten erwünschte Abschaffung der EU einzuleiten. Diesen Irrsinn erspare man uns also bitte!

Weiter, steiniger Weg

Um abschließend das Terrain zu wechseln und die Diskussion philosophisch betrachtet, muss der „gute Europäer“ in der Auffassung Nietzsches demzufolge immer kritisch, weil geschichtsbewusst bleiben, und dadurch die Zukunftsperspektive begründen, die ebendieser „gute Europäer“ für das „gute Europa“ ebenso darstellt wie eröffnet. Im Sinne des weit voraus denkenden Nietzsche also eine Art „Übereuropäer“ sein, der einen Zustand fortwährender Öffnung der Union aushalten und zu gestalten helfen kann. Doch bis dahin liegt noch ein weiter, steiniger Weg vor uns, der noch so einiges an innerer Einstellung voraussetzt, die längst noch nicht gegeben ist.

Zitieren wir im Sinne dieser philosophischen Gedankengänge, die dieser Beitrag im Rahmen der EU-Wahlen auch mit einfließen lassen will, abschließend ebendiesen artistischen Denker des Ambivalenten, des Widersprüchlichen und des Instabilen, diesen großen Philosophen Friedrich Nietzsche, der sich selbst als „guten Europäer“ im Sinne eines übergreifenden Wertes sah:

„Über alle diese (…) Kriege, neuen ‹Reiche› und was sonst noch im Vordergrund steht, sehe ich hinweg, was mich angeht. Denn ich sehe es langsam und zögernd sich vorbereiten: das ist das Eine Europa.“

Vielleicht sind wir dieser philosophischen Vorgabe trotz allem schon einige Schritte näher gekommen … Ja hoffen wir’s!

 

Jacques Zeyen
2. Mai 2019 - 17.05

Vorausgesetzt wir sind nicht so konservativ wie jene sturköpfigen Engländer die noch von vergangenen Tagen des Great Empire,des Common Wealth ,träumen und ihrer Jugend die Zukunft durch den Brexit vermauern,müsste eigentlich jeder Bürger in jedem Land wünschen,dass es so weitergeht. Natürlich muss noch viel gearbeitet werden um die kleinen und großen "Nationalismen" auszurotten,aber als Europäer kann man sich doch schon so richtig sicher fühlen. Dass es keinen Weg zurück mehr gibt,müssten sogar die "Gilets Jaunes" verstanden haben. Den Bombenlegern,den Hetzern und Predigern von gestern sollten wir nicht nachgeben.Minderheiten sind dazu verurteilt in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die Kunst der Politik wird es sein,allen Menschen das Gefühl zu geben,dass es sich in der Union besser lebt als in der Isolation. Denn jedes Lebewesen auf der Erde hat eine einzige Frage zu beantworten,die Frage die noch wichtiger ist als die nach dem Sinn des Lebens und diese Frage lautet: " Was gibt es heute abend zu essen."

Grober J-P.
2. Mai 2019 - 11.42

Europa vun den Natiounen schallt es aus dem rechten ADR Winkel, wie soll das gehen? Nationalismus bringt nur Zwietracht und keine Einigkeit. Die Schützengräben sind dann wieder vorprogrammiert. Habe Freunde in Deutschland, Belgien, Frankreich, Portugal, habe Familie aus Italien und Ungarn, alle sehen das genauso.