Eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit

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Zurzeit wird die Wachstumsfrage von politischen Parteien, Organisationen der Zivilgesellschaft und in Zeitungskommentaren auf unterschiedliche Art und Weise thematisiert. Maximales, optimales, nachhaltiges und qualitatives Wachstum sind u.a. Stichwörter die oftmals gebraucht werden, ohne dass irgendjemand bisher die Bedeutung dieser Wachstumsbezeichnungen erklären konnte.

Von Nico Wennmacher*

Zu Person

* Der Autor ist früherer Präsident des Syndikats FNCTTFEL und LSAP-Politiker.

Die aktuelle Hochkonjunktur mit ansehnlichen Wachstumsraten hat nicht nur positive Aspekte wie Rückgang der Arbeitslosigkeit und gut gefüllte Sozialkassen. Es gibt auch viele Wachstumsverlierer. Dies vor allem bei den Gering- und Mittelverdienern, die immer mehr Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Horrende Wohnungspreise, überfüllte öffentliche Transportmittel, immer längere Staus auf Straßen und Autobahnen sowie eine vielfach geringere Lebensqualität sind unliebsame Wachstums-Begleiterscheinungen.

Aufgrund dieser negativen Begleiterscheinungen unseres wirtschaftlichen Erfolges könnte man geneigt sein zu glauben, wie dies auch vielfach propagiert wird, es würde genügen, auf die Wachstumsbremse zu treten, damit alles sich zum Positiven wendet. Dies ist leider nicht der Fall.

Griechenland ist in dieser Hinsicht ein abschreckendes Beispiel, das zeigt, dass jahrelanger wirtschaftlicher Abschwung zu fast unvorstellbarem sozialen Elend führen kann.
Ohne an dieser Stelle auf die unrühmliche und antisoziale Handlungsweise der EU, ihrer Mitgliedstaaten und des internationalen Währungsfonds eingehen zu wollen, die diese soziale Misere mitverschuldet haben, sollte man das griechische Beispiel vor Augen haben, wenn über Wachstum diskutiert wird.

Für Gehalts- und Lohnaufbesserungen

Sicher werden wir uns früher oder später aus sozialen und ökologischen Gründen mit der Wachstumsfrage beschäftigen müssen. Dies setzt aber voraus, dass gleichzeitig eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen anvisiert wird, um eben griechische Verhältnisse zu vermeiden.

Da die primäre Umverteilung des geschaffenen Reichtums mittels Löhnen und Gehältern geschieht, ist es unabdingbar, dass diese mit der Wirtschafts- und Produktivitätsentwicklung Schritt halten. Hier besteht ein erheblicher Nachholbedarf. Denn ähnlich wie in anderen europäischen Ländern hat sich bei uns in den zurückliegenden Jahren die Lohnquote rückläufig entwickelt und die Unternehmensgewinne sind stärker gestiegen als Löhne und Gehälter.

Politische Parteien, die sich deshalb in der aktuellen sozialpolitischen Situation, nicht ohne Wenn und Aber, für eine substanzielle Erhöhung des Mindestlohns aussprechen, die deren Bezieher vom Armutsrisiko befreit, sollten es bitte auch unterlassen, über Wachstumsbegrenzung zu schwafeln.

Ohne hier alle Sektoren zu erwähnen, wo ein eklatanter Nachholbedarf besteht, sei hier nur die neue Trambahngesellschaft genannt, weil die dortigen Lohn-und Arbeitsbedingungen eines öffentlichen Transportbetriebs unwürdig sind.

Dienstleistungen durch gerechtes Steuersystem

Die zuständigen Politiker wären gut beraten, bei der Luxtram-Direktion darauf hinzuwirken, dass die dort begonnenen Kollektivvertragsverhandlungen kurzfristig mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden können.

Eine weitere Umverteilung des geschaffenen Reichtum muss über steuerfinanzierte soziale und öffentliche Dienstleistungen erfolgen. Vor allem Arbeitnehmer und Rentner sind auf diese Dienstleistungen angewiesen, die das Leben angenehmer machen und es allen Menschen ermöglichen, gleichberechtigt am sozialen und öffentlichen Leben teilzunehmen. Diese Dienstleistungen müssen von der öffentlichen Hand erbracht und fortwährend an die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen angepasst werden.

Die Finanzierung der notwendigen öffentlichen Dienstleistungen und der dazu notwendigen Infrastrukturen muss über eine sozial gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen erfolgen. Die rezente Steuerreform von 2017 hat sich positiv auf die Einkommenssituation von vielen Beschäftigten und Rentnern ausgewirkt.

Von einer wirklichen Steuergerechtigkeit, wie wir uns sie vorstellen, sind wir allerdings noch weit entfernt. Neben Verbesserungen in der Steuertabelle, u.a. der Befreiung des Mindestlohnes von der Steuer, Abschaffung oder Verbesserungen bei der Steuerklasse 1a, muss vor allem das Verhältnis in der Besteuerung von Kapital und Arbeit sowie zwischen Betrieben und Haushalten korrigiert werden.

Auch ökologische Elemente, die in dieser Richtung zielführend und sozial gerecht sind, sollten in einer zukünftigen Reform berücksichtigt werden. Die steuerliche Begünstigung von Elektroautos, die bei der rezenten Reform als umweltpolitisches Element verkauft wurde, erfüllt oben genannte Kriterien in keiner Hinsicht. Diese steuerliche Absetzbarkeit dient eher dazu, dass gut situierte Mitbürger ihr Gewissen beruhigen können, wenn sie sonntags mit ihrem Elektroauto ihre Brötchen einkaufen fahren können, bei Verkäufern, die sich niemals ein solches Gefährt leisten können und die praktisch gezwungen sind, rund um die Uhr zu arbeiten.

In unserem aktuellen Gesellschaftssystem, das von der Profitlogik geprägt ist, wird sich die Diskussion um die Wachstumsthematik sehr schwierig gestalten. Als Gewerkschaften müssen wir dabei aufpassen, damit die von uns vertretenen Kollegen nicht sprichwörtlich unter die Räder geraten.