Herr Bosch, was ist denn das Besondere an den Opernfestspielen Heidenheim?
Ich denke, es gibt nur wenige Festivals auf diesem Niveau, die ausschließlich selber produzieren und wie in diesem Jahr vier Eigenproduktionen auf die Bühne bringen, darunter Wagners „Tannhäuser“ und Verdis „I due Foscari“. Das ist dann bei uns so aufgeteilt, dass die großen romantischen Opern mit den Stuttgarter Philharmonikern open air im Rittersaal von Schloss Hellenstein aufgeführt werden, die, ich sage mal, kleineren Opern im Festspielhaus, dies mit der Cappella Aquileia. Seit einigen Jahren führen wir hier mit großem Erfolg die frühen Verdi-Opern auf, die auch für CD mitgeschnitten wurden. Open air birgt natürlich immer das Wetterrisiko. Aber wir sind in Heidenheim so aufgestellt, dass wir problemlos vom Rittersaal in das etwa 100 m weiter entfernte Festspielhaus innerhalb kürzester Zeit umziehen können. Die Vorstellungen fallen also bei Starkregen oder niedrigen Temperaturen nicht aus. Ein wichtiger Fixpunkt der OH ist der Tschechische Philharmonische Chor Brünn, der während sechs Wochen sozusagen in Residenz bei uns arbeitet und bei mehreren Produktionen eingesetzt wird.
Ich nehme an, eine Open-Air-Aufführung stellt schon akustisch eine besondere Herausforderung dar.
Generell schon, aber der Rittersaal ist akustisch hervorragend, sodass man fast die gleichen Bedingungen wie in einem Opernhaus vorfindet. Der Tannhäuser funktioniert jedenfalls wunderbar. Man braucht ungefähr 10 Minuten, um sich reinzuhören, danach hat sich das Ohr an die Umstände gewohnt. Der Rittersaal bietet zudem andere Möglichkeiten; der Fernchor kann beispielsweise unter der Bühne singen, oder die Elisabeth singt mitten im Publikum. Das Orchester klingt sehr präsent, überdeckt aber nie die Sänger, sodass sie nicht zu forcieren brauchen.
Die OH gibt es bereits seit 1964. Wie hat sich das Festival im Laufe der Jahre verändert?
Nun, am Anfang wurden kleine Spielopern aufgeführt, wie „Bastien und Bastienne“ von Mozart, „La serva padrona“ von Pergolesi oder der „Schauspieldirektor“ von Mozart, dann etwas anspruchsvollere Werke wie Mozarts „Entführung“ und „Don Giovanni“, Rossinis „Barbiere“, „Fidelio“ von Beethoven und viele Opern von Verdi. Damals wie heute gilt es, junge, vielversprechende Sänger zu verpflichten, die dann meistens auch internationale Karrieren machen. Das Budget hat sich vervielfacht. Als ich 2009 angefangen habe, lag unser Budget bei 580.000 €, heute haben wir über 2,5 Millionen zu Verfügung. Ich denke, ein Großteil des Erfolges der OH rührt daher, dass wir immer auf Qualität setzen. Alle Künstler, die wir verpflichten, besitzen ein hohes Niveau und auch bei den Regisseuren geben wir uns Mühe, Künstler zu finden, die die Open-Air-Idee ernst nehmen und anspruchsvolle Regiearbeit leisten. Die Wunschliste, die wir uns vor 12 Jahren aufgestellt hatten, hat sich jedenfalls erfüllt.
Alle Künstler, die wir verpflichten, besitzen ein hohes Niveau und auch bei den Regisseuren geben wir uns Mühe, Künstler zu finden, die die Open-Air-Idee ernst nehmen und anspruchsvolle Regiearbeit leisten
Das sieht dann auch nach konsequenter Kontinuität aus.
Ganz sicher, man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Konsequenz in der künstlerischen Auswahl ist für uns ein Must. Sehen Sie, wir haben mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Cappella Aquileia zwei sehr unterschiedliche, aber hochmotivierte Orchester, die jedes Jahr dabei sind. Und welches Festival hat schon den Luxus, während sechs Wochen auf den gleichen, hochkarätigen Chor zurückgreifen zu können. Kontinuität bedeutet aber auch Weiterentwicklung. So gibt es natürlich neue Ideen, die wir in Zukunft gerne umsetzen möchten – beispielsweise in Heidenheim ein Forum für freie Kammerorchester wie das Basler Kammerorchester oder das Freiburger Barockorchester schaffen.
Und in Sachen Opernrepertoire?
Das wollen wir uns auch nicht auf die Top 20 der Opernszene begrenzen. Ich bin überzeugt, man muss auch manchmal wagemutig sein. In der Zwischenzeit haben wir ein treues Publikum, das uns vertraut und mitgeht. So hatten wir vor vier Jahren Tschaikowskys „Pique Dame“ auf dem Programm, bei Gott keine leichte Oper und eher etwas für Eingeweihte. Doch wir waren in jeder Vorstellung ausverkauft, und die „Pique Dame“ kannte einen riesigen Erfolg. In diesem Sinne reizt es mich natürlich auch, Richard Strauss‘ „Elektra“ im Rittersaal von Schloss Hellenstein aufzuführen. Mit der Cappella Aquileia, die ja mit ihren rund 55 Musikern ein klassisches Orchester ist und im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis musiziert, werden wir weiter an dem frühen Verdi arbeiten und den Zyklus wahrscheinlich mit „Luisa Miller“ abschließen. Aber jetzt freue ich mich auf 2023, mit Verdis „Don Carlos“ auf der Freilichtbühne und „Giovanna d’Arco“ im Festspielhaus
Die OH setzen sich auch sehr für Kinderprogramme ein.
Ja, hier spielen wir in einem Zelt als Spielstätte und bieten auch in diesem Bereich immer wieder neue Produktionen an. Oft versuchen wir einen thematischen Brückenschlag zu einem der Hauptthemen des Festivals. Früher waren die OH etwas für die oberen Zehntausend. Davon sind wir glücklicherweise jetzt weg. Wir wollen Musik für jedermann machen und insbesondere die Kinder in den Prozess mit einbinden. Sie werden zu Opern-Vorproben, zu richtigen Proben und zu der Premiere eingeladen, damit sie hautnah miterleben können, was Oper eigentlich ist. Ich bin immer wieder erstaunt von der Offenheit und der Unvoreingenommenheit der Jüngsten. Immerhin ist Heidenheim lange eine Arbeiterstadt gewesen, wo die Kultur nicht unbedingt tägliches Thema war. Trotzdem funktioniert es sehr gut. Wir arbeiten sowohl mit der Stadt als auch dem Land und verschiedenen Landkreisen zusammen, sodass wir in einem Umkreis von 50- 60 km doch sehr viele Menschen erreichen.
www.opernfestspiele.de
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