Er war bereits ein klassischer Fall für die berüchtigte Rubrik „Was macht eigentlich …?“. Einer aus längst vergangenen Zeiten, ein fast Vergessener der 1970er Jahre. Damals hatte sich Gilbert O’Sullivan dank Welthits wie „Alone Again (Naturally)“, „Clair“ und „Get Down“ auf Augenhöhe mit Elton John, Rod Stewart oder Paul McCartney bewegt. Aber der Singer-Songwriter und Pianist verschwand dann auch genauso plötzlich, wie er in der Popszene aufgetaucht war. Doch nun gibt es ein Happy-End zu erzählen.
Nicht nur, dass seine typische Wuschelkopf-Frisur immer noch so üppig wuchert wie vor 50 Jahren (lediglich leicht ergraut), der Ire ist auch kreativ-künstlerisch noch (oder wieder) auf Topniveau. Mit dem aktuellen Album „Driven“ bestätigt O’Sullivan Comeback-Qualitäten, die er schon 2018 mit einem weithin bejubelten selbstbetitelten Top-20-Werk voller frischer Songjuwelen nachgewiesen hatte.
Der früher von manchen Kritikern als quäkig empfundene Gesang ist würdevoll gereift und nachgedunkelt. Was inzwischen an Stimmvolumen fehlt, macht der 75-Jährige mit Charme und Charisma wett. Und zum Niederknien schöne Lieder zaubert O’Sullivan immer noch mühelos aus dem Ärmel. Ein Pop-Magier, der kaum Vergleiche scheuen muss.
Man muss nur „Blue Anchor Bay“, „What are you waiting for?“ oder „You and me babe“ hören, um sich sofort wieder an O’Sullivans große Zeiten von 1971 bis 1975 zu erinnern, als er prächtige Pianopop-Melodien mit teils erschütternd traurigen Texten verband. Die Einsamkeitshymne „Alone Again (Naturally)“ etwa nannte der Guardian kürzlich „einen der düstersten Nummer-eins-Hits der Popmusik“.
Melancholische Töne
Auf dem neuen Alben ist erneut Melancholie zu spüren. Aber O’Sullivan feiert in den Duetten „Let bygones Be bygones“ (mit Mick Hucknall von Simply Red) und „Take Love“ (mit der tollen schottischen Sängerin KT Tunstall) eben auch das Leben und die Liebe in mal mitreißenden, mal gemütlichen Pop-, Country- und Soul-Stücken. „If only love had ears“, mit einem zärtlichen Piano-Streicher-Arrangement, und das nostalgische Sixties-Pop-Stück „Don’t get under each other’s skin“ zum Abschluss sind weitere Albumhöhepunkte.
Seit Mitte der 70er sei er bei der Musikpresse unten durch gewesen, erzählte O’Sullivan dem Guardian ohne Bitterkeit. Hinzu kamen künstlerische Fehlentscheidungen und rechtliche Auseinandersetzungen mit seinem Ex-Manager Gordon Mills, über dessen kleine Tochter er zuvor noch das anrührende Lied „Clair“ geschrieben hatte.
Aber, so sagt O’Sullivan heute: „Ich habe nie den Glauben verloren an das, was ich mache. Für mich war Erfolg immer, einen guten Song zu schreiben. Ich habe seit dem Alter von 14 Jahren immer Songs geschrieben und nie die Freude daran verloren.“ Dies merkt man den 13 sorgfältig komponierten und stilsicher produzierten Liedern seines 20. Studioalbums auf wunderbare Weise an.
Gilbert O’Sullivan und seine Seventies-Hits sind in den vergangenen zehn Jahren auch durch feine Best-of-Sammlungen wiederentdeckt worden. Die Pet Shop Boys, Elton John und Neil Diamond verehren den mit seiner Familie auf der britischen Kanalinsel Jersey lebenden Singer-Songwriter ebenso wie Paul Weller oder Kim Wilde. Mit „Driven“ beweist der Ire erneut, dass er zu früh abgeschrieben wurde. Jetzt freut er sich auf eine ausgedehnte Tournee: „Ich habe immer gedacht: Wenn man vom Laufband steigt, ist man verloren. Daher bin ich nie vom Laufband runtergegangen.“ (dpa)
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