Manchmal ist ein Unfall nichts anderes als das: ein Unfall. Eine Verkettung unglücklicher Umstände mit tragischen Folgen für Einzelpersonen, ihre Familie, ihr ganzes Umfeld. Wie etwa der Unfall zwischen zwei Polizeiwagen in der Nacht zum 14. April 2018 in Lausdorn. Ein Polizist kommt bei dem Zusammenstoß ums Leben, eine Beamtin ist für ihr Leben gezeichnet. Im Anschluss an eine Verfolgungsjagd, die von einem Fahrer ausgelöst wird, der „im Affekt“ vor einer Polizeikontrolle flüchtet.
Brisant wird es, wenn sich die Justiz einschaltet. Dann handelt es sich nicht mehr um einen traurigen Unfall, sondern um eine potenzielle Tat, die möglicherweise hätte vermieden werden können. Darüber müssen die Richter am Bezirksgericht Diekirch nun befinden. In einer delikaten Gratwanderung zwischen Luxemburger Recht und Fingerspitzengefühl müssen sie nun entscheiden, ob es sich „nur“ um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt oder die Ereignisse jener Nacht wirklich hätten vermieden werden können.
Was wäre, wenn: Eine Frage, die sich nicht nur die Angeklagten in den letzten vier Jahren unzählige Male gestellt haben. Was wäre passiert, wenn der Polizeitransporter mit 80 km/h in den Streifenwagen gefahren wäre? Wenn der Fahrer im Transporter geradeaus gefahren wäre, anstatt – den natürlichen Reflexen entsprechend – nach links auszuweichen? Wenn sich die Insassen über Funk besser angesprochen hätten? Wenn sie die Verfolgungsjagd abgebrochen hätten? Wenn der Fahrer nicht die Flucht ergriffen hätte?
Diskussionen über verpasste Chancen oder schlechte Entscheidungen sind nicht immer sinnvoll, da die Entscheidung in den meisten Fällen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die spekulative Diskussion darüber, wie die Vergangenheit bei anderer Entscheidung verlaufen wäre, ist in vielen Hinsichten überflüssig. Allerdings kann die Diskussion über schlechte Entscheidungen auch sinnvoll sein. Nämlich dann, wenn erörtert werden muss, wie diese zustande kamen, um ähnliche Ereignisse in Zukunft zu vermeiden.
Genau diese Herausforderung macht die Gratwanderung der Richter in Diekirch so delikat, so brenzlig. Ihre Aufgabe ist es, im Einklang mit einer rigiden Gesetzgebung Fingerspitzengefühl zu zeigen. Besonders viel Spielraum wird ihnen dabei nicht eingeräumt, wie bereits im Vorfeld der Verhandlung deutlich wurde. So wurde der flüchtige Fahrer nur mit Trunkenheit am Steuer belangt, während sich der Polizist am Steuer des Transporters unter anderem wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss.
Was Laien nur schwer nachvollziehen können, muss im Fahrtlicht der Luxemburger Gesetzgebung Sinn ergeben: Ähnliche Vorwürfe gegenüber dem flüchtigen Fahrer hatte die Ratskammer des Berufungsgerichts im Vorfeld fallen gelassen. Der Betroffene hätte zwar davon ausgehen müssen, dass die Polizisten nach seiner Flucht die Verfolgung aufnehmen würden. Den Unfall zwischen zwei Polizeifahrzeugen habe der Fahrer aber nicht vorhersehen können, so das Argument. Während des Prozesses wurde wiederum deutlich, dass der Mann nicht so betrunken war, wie es die Staatsanwaltschaft zunächst angenommen hatte.
Im Endeffekt kann es in diesem Prozess nur Verlierer geben. Die Opfer und ihr Umfeld. Die Justiz, die sich an die Grenzen der Jurisprudenz halten muss. Und der Polizist – das wurde während der Verhandlung mehr als deutlich –, den Schuldgefühle plagen, an denen auch die Entscheidung des Gerichts nichts ändern wird. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Polizeileitung die nötigen Lehren aus jener Nacht zieht und Beamte künftig besser auf Verfolgungsjagden vorbereitet.
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