Kaunas, Esch/Alzette und Novi Sad – so heißen die drei diesjährigen Kulturhauptstädte. Den Titel zu tragen bedeutet für die gekürten Städte auch, ein umfangreiches Kulturprogramm auf die Beine zu stellen, das lokalen und internationalen Künstlern eine Plattform bietet und ein grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten zwischen den Kreativen ermöglicht. So entsteht ein Strauß von Veranstaltungen und neuen Projekten, die die Handschrift vieler Menschen und Nationalitäten tragen.
Diesen Gedanken macht die künstlerische DNA der Open-Air-Ausstellung „MigrArt“ in der nordserbischen Universitätsstadt Novi Sad aus. Was dort gezeigt wird? 49 Fahnen von sieben verschiedenen Künstlern aus fünf aktuellen oder zukünftigen Kulturhauptstädten. Im thematischen Mittelpunkt der Ausstellung steht ein Schlagwort unserer Zeit: Migration. Die beteiligten Künstler sollten einen persönlichen Zugang zur Thematik wählen. Heißt: Sie sollen mit ihrer Kunst zeigen, was ihnen der Begriff persönlich bedeutet.
Eine Kostprobe vielleicht?
Jeder Künstler durfte sieben Fahnen gestalten. Sie wehen seit dem 20. März am Eingang des Stadtparks Liman. Darunter befinden sich auch die Designs des Luxemburger Malers Alain Welter, der insbesondere für seine großflächigen und farbenprächtigen Illustrationen auf Häuserfassaden bekannt ist. Er sei von den Organisatoren von Esch2022 gefragt worden, ob er an dem Projekt teilnehmen wolle, erzählt der 28-Jährige. Die Gelegenheit ließ er sich nicht entgehen.
So wie Liebe durch den Magen geht, spielt auch bei dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen die kulinarische Dimension eine Rolle. Zwar vermischten sich die verschiedenen Küchen normalerweise nicht, hält der junge Mann fest, jedoch könne man anhand der Kochkunst symbolisch durchspielen, was passiere, wenn zwei Kulturen sich zusammentäten und etwas Neues entstehen ließen. „Ich habe versucht, Mischungen zu schaffen, die es so noch nicht gibt“, sagt Welter, der seinen Werken gerne eine witzige oder ironische Note verleiht. „Die dürfen auch gerne ganz skurril sein – ich habe da ein wenig herumexperimentiert.“
Wenig appetitlich, dafür aber umso fantasievoller erscheinen die Gerichte, die er sich ausgedacht hat: „Pizza Kachformaggio“, „Wäinzossis Curry King“ oder auch „Tortilla con Judd“ steht auf den Fahnen. Vermischt werden ein typisch luxemburgisches Gericht oder Nahrungsmittel und eine Spezialität aus einem Land, das eine wichtige Rolle für die multikulturelle Gemeinschaft in Luxemburg spielt. Normalerweise würde er mit Illustrationen arbeiten, hier habe er aber auf grafische Elemente gesetzt und Schriftzüge designt, sagt Welter. „Was die Farbenpalette angeht, habe ich die Flaggen jedes Landes als Basis genommen“, steht im Begleitschreiben zur Ausstellung, in dem Welter sein Konzept vorstellt. „Aber da es sich um einen kulinarischen Mix handelt, habe ich mich dazu entschieden, die Farben des Hintergrunds oder der Typografie auszutauschen.“
Künstler als Zugvögel
Ausgefeilt ist die Idee allemal, doch läuft sie dem Thema der Migration nicht ein wenig zuwider? Immerhin werden hier keine abstrakte Kunst oder klare Symbole benutzt, die über nationale Grenzen hinaus verständlich sind, sondern Sprachkenntnisse und kulturelles Vorwissen vorausgesetzt, die vielen Menschen ihr Verständnis erschweren? „Ich würde das mit abstrakten Bildern gleichsetzen, weil für diese auch nicht jeder ein Verständnis hat“, sagt der Luxemburger. Auch abstrakte Kunst erfordere eine Auseinandersetzung mit dem, was sie zeige.
„Weil ich aus Luxemburg komme, wollte ich den Menschen die Geschichte unsere Landes näherbringen“, erklärt der Maler. „Ich beziehe mich nicht auf die weltweite Migration, aber das war eine bewusste Wahl, dass ich mich auf die Luxemburger Migration fokussiere.“ Oft würde Migration als ein schwieriges Thema angesehen, aber es könne auch sehr ausgelassen sein. Vor der Ausstellung habe er bei einem Freund in Belgrad übernachtet und da hätten sie sich noch einmal über das Thema unterhalten. Sein Gesprächspartner, ebenfalls Maler, habe gesagt: „Wenn wir wegen unseres Berufs ins Ausland reisen, um dort zu malen, werden wir automatisch auch zeitweise zu Migranten – wir migrieren eigentlich die ganze Zeit.“ Dieser Gedanke habe ihm gefallen, sagt Welter. Er habe davor nie so über Migration nachgedacht.
Neues Projekt in Lissabon
Die Kunst des Luxemburgers ziert meistens Hauswände oder Mauern. Deswegen habe es ihm Freude bereitet, seine Motive einmal auf Stoff zu sehen. Nur ungefähr 20 Prozent von seiner Arbeit habe nichts mit Fassadenmalerei zu tun, schätzt der Illustrator, dessen Karriere vor zwölf Jahren mit dem Graffiti-Sprayen begann. Sein aktuelles Projekt entspricht dann wieder seiner Kerntätigkeit: In Lissabon fertigt Welter zurzeit ein Fresko an einer Hauswand an der Ecke der Rua de São Paulo und der Rua da Boavista an. Das Projekt resultiert aus einer Zusammenarbeit zwischen der Kulturfabrik in Esch/Alzette, der Galeria de Arte Urbana de la Câmara Municipal de Lisboa und der luxemburgischen Botschaft in der portugiesischen Hauptstadt. Unterstützt wird es von Esch2022 und der Post Luxembourg.
„Während Alain Welter in Lissabon ist, wird die portugiesische Künstlerin Mariana Duarte Santos in Esch/Alzette im Stadtteil Lallange sein, um ein Fresko zu malen“, teilt die Kulturfabrik per Presseschreiben mit. Und das Thema der Fresken? „Die Verbindung zwischen Luxemburg und Portugal“, erzählt Welter. „Witzigerweise hat das also wieder direkt mit dem Thema Migration zu tun.“
Der Künstler
Alain Welter, geboren und aufgewachsen in Luxemburg, ist Wandmaler und Illustrator. Nach seinem Abschluss in Illustrationsdesign an der BTK in Berlin kehrte er nach Luxemburg zurück, um als Künstler Fuß zu fassen. Er bemalt Mauern, Scheunen, Brücken, Fassaden, Kühltürme, Busse oder Geschäftsräume, illustriert aber auch Zeitschriften und stellte schon in Kunstgalerien aus.
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