1.928 Betriebe in Luxemburg erfüllten 2021 nicht ihre gesetzliche Pflicht bezüglich der Einstellung von Personen mit einer Behinderung. Obwohl diese Zahl zwar „schon“ ein Jahr alt ist – sie stammt aus einer Antwort auf eine parlamentarische Frage des Abgeordneten Sven Clement (Piraten) – sei sie immer noch aktuell, sagt Andrea Di Ronco, Berater bei Info-Handicap, im Gespräch mit dem Tageblatt. Die Problematik sei noch immer die gleiche. „Was dies betrifft, hat sich seit 20 Jahren überhaupt nichts geändert.“
Die größten Unternehmen sind dabei, wie es scheint, auch die größten Quotenmuffel: Sage und schreibe 98 Prozent der Betriebe mit mehr als 300 Mitarbeitern erfüllen nicht das gesetzliche Minimum, d.h. in ihrem Fall mindestens vier Prozent an behinderten Arbeitnehmern. Bei den mittleren Unternehmen (50-299 Mitarbeiter) sind es 80 Prozent, unter denen mit 25 bis 49 Mitarbeitern sind es 81 Prozent, die ihrer Pflicht nicht nachkommen.
Laut dem Gesetz von 2003 müssten Betriebe, die dieser Regelung nicht nachkommen, eigentlich eine Art Ausgleich in Höhe von 50 Prozent des sozialen Mindestlohns an den Staat zahlen. Bestraft wird – in der Theorie – aber nur die Weigerung, einen Behinderten einzustellen, nicht aber das Nicht-Erfüllen der Quoten. „Strafen können nur in ganz bestimmten Fällen verhängt werden; man muss schon beweisen, dass der Arbeitgeber sich weigert, einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Aber welcher Arbeitgeber wird das schon offen zugeben …“ Bis dato sei in Luxemburg seines Wissens noch keine einzige Strafe wegen nicht erfüllter Quote verhängt worden.
Ohne eine Strafe befürchten zu müssen, kann aber ein Betrieb quasi selbst entscheiden, ob er jemanden mit Behinderung einstellt oder nicht. Aus diesem Grund sei es klar, warum die Quoten nicht erfüllt werden, meint Di Ronco. In ihrer gemeinsamen Antwort auf die Frage von Sven Clement meinten der damalige Arbeitsminister Dan Kersch und der Minister für den öffentlichen Dienst, Marc Hansen, die Tatsache, dass Quoten nicht erfüllt würden, bedeute noch lange nicht, dass die Arbeitgeber sich auch weigerten, jemanden mit Behinderung einzustellen. Dem Arbeitsministerium würden jedenfalls keine dementsprechenden Beschwerden vorliegen.
Es geht nicht darum, Firmen zu bestrafen, es geht darum, den Betroffenen zu helfen
Offiziellen Angaben zufolge erfüllte allein der Staat seine Pflichten diesbezüglich, mit der Betonung auf ‘würde’, denn die Angaben scheinen nicht vollständig: Zahlen gibt es nur, was die Angestellten („employés d’Etat“ und „salariés“) angeht. Anfang 2021 waren den Angaben des Arbeitsministeriums zufolge 914 behinderte Personen beim Staat beschäftigt. Was nun die Beamten betrifft, liegen keine Zahlen vor. „Rein rechnerisch würde dies bedeuten, dass der öffentliche Dienst, ohne sich auf genaue Zahlen zu basieren, ‘wahrscheinlich’ seine Verpflichtung von fünf Prozent erfüllt, da er etwa 20.000 Mitarbeiter beschäftigt“, schreibt Di Ronco in einem Bulletin von Info-Handicap*.
Doch mit einer Einstellung sei es leider auch noch nicht getan, denn nur seine Pflicht erfüllen reiche nicht aus; Oft werde jemand alleine wegen Quotenerfüllung eingestellt, und erst nachher stelle sich der Arbeitgeber die Frage, welche Arbeit man der behinderten Person denn geben soll. „Oft ist die Situation auch abhängig vom jeweiligen Abteilungsleiter: Hat der ein offenes Ohr für die Bedürfnisse des Betroffenen, läuft es in der Regel gut, aber wenn der Vorgesetzte wechselt und dem neuen ist die Problematik egal, gibt es Probleme“, meint Di Ronco.
Quantensprung erfordert politischen Willen
Wenn die Quoten sich auch um zwei, drei Prozent verbessern, so würde das nichts grundsätzlich am Problem ändern, sagt er. „Erst bei einem Rückgang von 90 auf 30 Prozent bei den Betrieben, die die Quotenpflicht nicht erfüllen, wäre das ein Quantensprung, alles andere ist bloß Kosmetik. Es sind grundsätzliche, strukturelle Änderungen notwendig, doch solche können nur durch politischen Willen, also per Gesetz, herbeigeführt werden.“
Der Gesetzgeber hat zwar eine Reihe von Hilfsmaßnahmen vorgesehen, welche die Betriebe in Anspruch nehmen können, die aber ganz offensichtlich nichts bewirken. So übernimmt der Staat zwischen 40 und 100 Prozent des Gehalts, inklusive der Patronatskosten. Des Weiteren beteiligt er sich an den Kosten, falls der Arbeitsplatz angepasst werden muss; spezielle Arbeitsutensilien werden, falls nötig, ebenfalls zur Verfügung gestellt. Sogar bei den Ausbildungskosten gibt es eine Unterstützung von staatlicher Seite.
Ein mangelndes Ausbildungsniveau der behinderten Arbeitssuchenden müsse oft als Grund für eine Nichteinstellung herhalten, sagt Di Ronco, doch das sei nur eine Ausrede, denn normalerweise muss sich ein Betrieb immer anpassen, wenn er einen Mitarbeiter mit Behinderung einstellt. Das Problem sei eben, dass es oft nicht nur darum gehe, eine Tür oder eine Toilette auszuwechseln, sondern um Änderungen in den Unternehmensstrukturen. Und dabei hätten es größere Betriebe doch leichter, da sie ja auch über größere Personalabteilungen verfügten.
Di Ronco weiß, es gibt auch vorbildliche Großunternehmen, aber diese seien leider die Ausnahme. Er fordert ganz klare verbindliche gesetzliche Regeln, und er nennt Beispiele, wo das funktioniert. Er verweist z.B. auf das Gesetz zur beruflichen Wiedereingliederung: „Das ist verbindlich und wird auch so akzeptiert.“ Auch die Praxis im nahen Ausland, wie z.B. in Deutschland, zeige, dass zwingende Vorgaben ihre Früchte tragen: Dort sei die Zahl der Betriebe, die die vorgeschriebenen Quoten erfüllen, wesentlich höher.
„Aber es geht nicht darum, Firmen zu bestrafen, es geht darum, den Betroffenen zu helfen“, betont Di Ronco.
* de Bulletin, N° 2/2021, Info-Handicap
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