Diese Unsichtbarkeit hat viele Gründe, die von Renée Wagener gut beschrieben wurden. 1. Sie erklärt sich durch die untergeordnete rechtliche Stellung der Frau im Code civil von 1803, der verheiratete Frauen nicht als autonome Bürgerinnen anerkannte und ihnen also das Betreiben eines Berufs oder Gewerbes ohne Erlaubnis ihres Ehemannes verbot. 2. Im öffentlichen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts stand zudem das Ideal der Hausfrau in der Ehe im Mittelpunkt. Sie sollte sich ausschließlich um das Wohl ihrer Familie kümmern. Frauenarbeit wurde als Problem angesehen und deswegen im öffentlichen Raum ausgeblendet. 3. In Luxemburg steht in der Geschichtsschreibung die Eisen- und Stahlindustrie im Vordergrund, wo Frauenarbeit nur am Rande vorkommt. 4. Eine wesentliche Dimension der Frauenarbeit wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts methodisch aus den staatlichen Statistiken entfernt: die Heim- und Saisonarbeit. Wie Renée Wagener zeigt, verschwinden in der Berufs- und Gewerbezählung von 1907 auf diese Weise allein im Sektor der Gerberei und der Handschuhfertigung 1.000 erwerbstätige Frauen aus den offiziellen Zählungen.
Verzerrende Statistiken
Und doch bleibt die Unsichtbarkeit der Frauenarbeit erstaunlich und unverständlich, wenn man bedenkt wie weit diese Unsichtbarmachung von der historischen Realität entfernt ist. Nehmen wir als Beispiel die vorhin erwähnten staatlichen Zählungen. Trotz einer Methodik, die Heimarbeit und Saisonarbeit, also oft weibliche Erwerbsarbeit, ausblendete, erscheint weibliche Erwerbstätigkeit in den Berufszählungen von 1907 und 1935 als massives Phänomen.
Laut der Berufs- und Gewerbezählung vom 12. Juni 1907 waren 90.710 Männer und 41.994 Frauen beruflich aktiv („individus actifs“ und „services domestiques en famille“). In der Landwirtschaft arbeiteten 22.386 Frauen (42%) gegenüber 31.002 Männern (58%). Im Handel und im Horesca-Bereich waren 4.410 Frauen (48%) und 4.775 Männer (52%) beschäftigt. Im Staats- und Gemeindedienst sowie als Freiberufler arbeiteten 2.838 Frauen (45%) und 3.428 Männer (55%). In den Haushaltsdiensten waren die Frauen in der Mehrheit: 732 (71%) gegen 302 Männer (29%). Lediglich in Industrie, Bauwesen, Handwerk und Transport waren die Männer in dieser offiziellen Statistik stark überrepräsentiert, wobei die Ausblendung von Heim- und Saisonarbeit die Realität verzerrt: 46.912 Männer (89%) gegen 5.814 Frauen (11%). Auch hier ist weibliche Erwerbsarbeit jedoch stark präsent in verschiedenen Bereichen: Textil- und Bekleidungsindustrie, Fayencerie, Lebensmittel- und Tabakindustrie, Reinigungs- und Waschbranche.
Laut der Volkszählung vom 31. Dezember 1935 übten 96.321 Männer und 38.526 Frauen eine Erwerbstätigkeit aus (kategorisiert als „individus actifs“). In relativen Zahlen hat die weibliche Erwerbstätigkeit in der Zwischenkriegszeit leicht abgenommen, doch in vielen Bereichen sind Männer weiterhin nur schwach übervertreten. In der Landwirtschaft arbeiteten 24.216 Männer und 16.550 Frauen. Frauen stellten also immer noch 41% der Beschäftigten dar. Im Dienstleistungsbereich (öffentlich und privat, aber ohne Haushaltsdienste) arbeiteten 6.795 Männer und 3.944 Frauen. Im Handel und im Horesca-Bereich waren 10.505 Männer, aber auch 7.740 Frauen aktiv. In den Haushaltsdiensten waren vorwiegend Frauen beschäftigt: 5.868 gegenüber nur 265 Männern. Nur in der Industrie, im Handwerk und im Transportwesen waren hingegen die Männer stark überrepräsentiert: 54.540 gegenüber 4.424, wobei die Ausblendung der Heimarbeit das Bild, wie schon 1907, verfälschte. Trotzdem arbeiteten in Bereichen wie der Textilindustrie 189 Frauen neben 208 Männern und in der Lebensmittel-, Getränke- und Tabakindustrie 1.105 Frauen neben 3.895 Männern.
In anderen Worten: Die Invisibilisierung der Frauenarbeit hat mit der historischen Realität wenig zu tun. In der Realität begegnen wir Frauenerwerbsarbeit in allen Sektoren des wirtschaftlichen Lebens.
Kein Platz in der Minett-Meistererzählung
Die Unsichtbarmachung der Frauen thematisiert auch eine Installation der Ausstellung „Remixing Industrial Pasts: Constructing the Identity of the Minett“ in der Massenoire auf Esch-Belval (realisiert von C2DH, Tokonoma und 2F Architettura), die noch bis zum 15. Mai zu sehen ist.
Gerade in Quellen und Historiographie über das Minett tritt die Auslassung von Frauen besonders zu Tage. Die Geschichte des Minetts wird schließlich meist als Industriegeschichte erzählt, die sich um technische Entwicklungen sowie industrielle Persönlichkeiten, Politiker und Arbeiter dreht. Diese hätten die Geschichte gestaltet und das Minett zu dem gemacht, was es heute ist. Frauen kommen in dieser Meistererzählung kaum vor. In der Szenografie der Ausstellung symbolisiert die große 20-minütige Videoinstallation des Künstlerkollektivs Tokonoma auf acht freischwebenden Riesenschirmen diese Meistererzählung. Sie basiert auf einem Remix von Bildern aus Spielfilmen, Dokumentarfilmen und Fernsehreportagen.
Klar ist natürlich, dass es aber Frauen gab und dies versuchen wir in der Installation „Leben im Minett“ besonders hervorzuheben. Dabei wollten wir uns nicht nur die tatsächlichen Rollen der Frauen in der Geschichte des Minetts anschauen, sondern auch auf genau diese Auslassungen hinweisen. Die Fotomontagen von Tokonoma, auf der Grundlage von Originalquellen, sowie die Audioaufnahmen verschiedener Textauszüge aus der Luxemburger Presse des 20. Jahrhunderts veranschaulichen die Ausblendung der Frauen.
Die vorhandenen medialen Diskurse über „Frauenfragen“ von 1870 bis in die 1950er Jahre – alles Teil der Hochphase der Industrie – umfassen Themen wie Frauenbildung, die Rolle der Frau im Haushalt, Prostitution, Schönheitsideale, Frauen in der Politik und weibliche Erwerbsarbeit. Schließlich sind spätestens ab den 1920er Jahren auch die Frauen selber in den Zeitungen zu Wort gekommen. So gab es zum Beispiel im Escher Tageblatt die „Page de la Femme“, eine Seite, die wöchentlich vom „Foyer de la Femme“ verfasst wurde, eine der Arbeiterbewegung zugehörigen Frauengruppe, sowie die „Action Féminine“, die Zeitung der gleichnamigen Frauengruppe. Sowohl der „Foyer de la Femme“ als auch die „Action Féminine“ hatten dabei ihren Anfang in Esch/Alzette genommen.
Waren beide Frauengruppen in manchen Punkten für die damalige Zeit radikal – beide waren zum Beispiel der Überzeugung, dass Frauen einen fixen Platz in der Politik haben sollten –, so spiegelten sie doch das gängige Frauenbild der Zeit wider: Die Hauptaufgabe der Frau sei im Haushalt zu finden. Das bürgerliche Ideal der Frau, die zuhause blieb, war schließlich ab 1900 diskursiv auch auf Arbeiterfamilien übertragen worden, auch wenn das in den meisten Fällen nicht der Realität entsprach. Die meisten Frauen des Minetts mussten durch Erwerbsarbeit zum Familieneinkommen beitragen. Dies taten sie zum einen in Berufen, die in den oben erwähnten Statistiken aufschienen, wie in einer der Zementfabriken des Minetts oder der Mineralwasserfabrik der Quelle Bel-Val. Frauen arbeiteten als Schneiderinnen, Dienstmädchen und Verkäuferinnen.
Sie fertigten aber auch Kleidungsstücke in Heimarbeit an, wuschen Wäsche für andere Haushalte, bereiteten gegen Geld Mittagessen für Arbeiter zu oder stellten ihnen ein Bett zur Verfügung. Viele der letztgenannten Berufe erscheinen in keiner Statistik und lassen sich lediglich in Berichten zu anderen Kontexten finden.
Hausarbeit und Lohnarbeit
Doch selbst wenn sich ein Großteil der Gesellschaft einig war, dass die Frauen alleine für den Haushalt verantwortlich seien, war auch dieser ein Feld, an dem sich die Meinungen spalteten. So unterstrichen beide Frauengruppen Anfang des 20. Jahrhunderts die Wichtigkeit der Hausarbeit für die männliche Lohnarbeit, denn nur dadurch, dass die Frauen sich um Haus und Familie kümmerten, sei es dem Mann überhaupt möglich, seine Kräfte wiederherzustellen und Tag für Tag arbeiten zu gehen. Außerdem wurden neben Kochen, Putzen und Kinderbetreuung die vielen anderen Tätigkeiten aufgezählt, die die Frauen im Haushalt durchführten – das Herstellen von Kleidung für die Familie, das Halten eines Gemüsegartens und zum Beispiel die Käse- und Butterproduktion – und festgehalten, dass diese Arbeit genauso hart und produktiv wie die der Männer sei. Doch nicht nur die Frauenbewegungen setzten sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Neubewertung der Hausarbeit ein. So verlangte im Dezember 1908 ein unbekannter Autor in der Bürger- und Beamten-Zeitung sogar, dass diese bezahlt würde:
„In den armen Familien, wo die Frau Kleider anfertigt und Mahlzeiten herstellt, liegt die Produktivität ihrer Arbeit so auf der Hand, daß es müßig ist, darüber zu sprechen. Wenn der Mann genötigt wäre, alle die Dienstleistungen, die ihm die Frau im Hause abnimmt, selbst zu besorgen, hätte er weder die Kraft noch die Zeit, einem anderen Berufe nachzugehen, und es ist daher klar, daß die Frau dem Manne die Ausübung seines Berufes direkt ermöglicht, zur Bedingung dieser Möglichkeit wird. Wie sollte ihr da nicht eine Entlohnung dafür zukommen.“2
Neben dem Thema der Arbeit behandelt die Installation „Leben im Minett“ der Ausstellung „Remixing Industrial Pasts“ auch klischeehafte Frauenbilder aus Werbungen und Modezeitschriften, die Bildern von realen Frauen gegenübergestellt werden. Hier finden sich auch bekannte Frauen des Minetts, wie Aline Mayrisch-de Saint-Hubert, luxemburgische Frauenrechtlerin und Ehefrau des Generaldirektors der ARBED, oder Yvonne Useldinger-Hostert, Überlebende des KZ-Ravensbrück und Mitbegründerin der kommunistischen Frauenbewegung der 1950er Jahre. Und schließlich beziehen wir auch heute unbekannte Frauen mit ein, weil wir nicht nur Ereignisse erzählen und bekannte Akteurinnen und Akteure ins Auge fassen wollen, sondern gerade den historischen Alltag und alle ihn gestaltenden Menschen als spannend betrachten.
1 Veröffentlicht in: 4e Assises de l’historiographie luxembourgeoise. Histoire industrielle: Bilan et perspectives, Mutations – Mémoires et perspectives du Bassin minier, 6/2013, S. 11-26
2 „Die Entlohnung der Ehefrau.“ Bürger- und Beamten-Zeitung, 22.12.1908, S. 1
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