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RomanadaptionKomprimiertes Epos: „Der Zauberberg“ im Grand Théâtre

Romanadaption / Komprimiertes Epos: „Der Zauberberg“ im Grand Théâtre
Die Schauspieler (v. l. n r.): Jeanne Werner, Bettina Kerl, Tilman Rose, Laura Laufenberg, Michael Scherff, Tim Breyvogel Foto: Alexi Pelekanos

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Die Koproduktion „Der Zauberberg“ dampft Thomas Manns Meisterwerk auf eine knapp zweistündige Inszenierung ein – die Erzählung verliert dabei aber nichts von ihrer Komplexität.

Eigentlich möchte der junge Schiffbauer Hans Castorp seinem lungenkranken Vetter Joachim Ziemßen nur einen kurzen Besuch abstatten, als er sich auf den Weg zum Sanatorium Berghof macht. Da weiß er noch nicht, dass sein Aufenthalt in der Heilstätte sieben lange Jahre dauern wird. Dort angekommen macht er zügig die Bekanntschaft mit den Menschen, die diese entrückte Welt bevölkern. Er lernt den Psychoanalytiker und „Seelenzergliederer“ Dr. Krokowski kennen und gerät ins Visier von Hofrat Behrens, einem vierschrötigen wie geldgierigen Arzt, der bei Castorp einen Katarrh diagnostiziert und ihn aufgrund dessen mindestens ein halbes Jahr dabehalten möchte, sowie dessen rechte Hand Adriatica von Mylendonk.

Auf der Seite der Patienten begegnen ihm u.a. die bornierte Frau Stör, der radikalen Ideologien anhängende Naphta, dessen Konkurrent und humanistischer Schriftsteller Settembrini. Später läuft Castorp Mynheer Peeperkorn über den Weg – dieser ist ein „dummer, alter Mann“ und der Liebhaber der russischen Femme fatale Clawdia Chauchat, die den 23-Jährigen so sehr in den Bann schlägt, dass er zu einem langjährigen Patienten im Sanatorium wird. Die verführerische Frau repräsentiert nicht nur das Erotisch-Weibliche (aus ihrem Namen lässt sich unschwer „heiße Katze“ herauslesen), sondern ruft bei Castorp auch Erinnerungen an einen Schüler wach, zu dem er sich in seiner Jugendzeit sexuell hingezogen fühlte.

Figuren sofort greifbar

Die Arbeiten am „Zauberberg“ hatte Thomas Mann kurz vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, weiterführen und vollenden konnte er sie aber erst nach Kriegsende. Das Werk setzt sich somit mit den Verheerungen der kriegerischen Auseinandersetzung sowie der Psychoanalyse, dem Kampf politischer Anschauungen und existenziellen Themen wie Krankheit, Liebe und Tod auseinander. Dabei wird, wie bei Thomas Mann üblich, das philosophische Begriffspaar des Apollinisch-Dionysischen aufgegriffen. Zweifellos ist es eine Herausforderung, ein derartig dichtes Werk als Romanadaption auf die Bühne zu bringen – und umso beeindruckender erscheint der von Sara Ostertags jüngst inszenierte „Zauberberg“. Denn das Stück erzählt nicht nur das Schicksal vom „einfachen Menschen“ Castorp in knapp zwei Stunden nach, sondern bietet dem Zuschauer zugleich einen thematischen Rundumblick auf alles, was sein Urheber erzählerisch in das Werk eingewoben hat.

Wie dem Drama das gelingt? Nun, einmal durch seine Textfülle und die überaus treffend ausgewählten bzw. zusammengesetzten Dialoge der Figuren, die in ihrer Nuanciertheit auch sogleich die zentralen Charakteristika der Redenden sowie ihre Grundkonflikte sichtbar machen. Die verschiedenen Gesangseinlagen sorgen dabei für eine Komik, die zugleich eine sichere Einordnung der Figur erlaubt. So singt die engstirnig-dümmliche Frau Stör (toll umgesetzt von Laura Laufenberg) zum Beispiel von all den verschiedenen Fischsaucen, die sie zubereiten kann. Solche kurzen Einschübe reichen, damit das Publikum eine Einzelfigur im Personengeflecht verorten kann und einen Überblick über diese eigentümliche Kleinwelt, die das Sanatorium darstellt, gewinnt.

Die Möglichkeiten des Theaters genutzt

Dadurch, dass die Schauspieler Tilman Rose, Jeanne Werner, Laura Laufenberg, Michael Scherff, Tim Breyvogel und Bettina Kerl immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen, entsteht ein dynamisches Kommen und Gehen, das dem Stück einen schnellen, manchmal fast atemlosen Rhythmus verleiht. Eben dieser spiegelt die voranschreitende Zerrüttung Hans Castorps, der mehr und mehr vereinnahmt wird von seinen Gefühlen für Madame Chauchat und sich später für schwerkrank hält. Aber nicht nur das: Dadurch, dass ein Schauspieler die Rollen mehrerer Figuren übernimmt, wird die enge Verwobenheit von deren Leben und Persönlichkeiten deutlich. Dass sich die Rollen wie im Fall Chauchat sogar doppeln können – Tim Breyvogel (wunderbar) und Jeanne Werner stehen am Ende gemeinsam als Chauchat auf der Bühne – weist darauf hin, dass die Figuren weniger realitätsgetreue Abbilder echter Menschen sind als Träger einer oder mehrerer abstrakter Ideen. Wobei, am Rande erwähnt, Thomas Mann sich bei der Konzipierung verschiedener Figuren eindeutig auch an der Wirklichkeit inspirierte, was bei einigen seiner Zeitgenossen für Unmut sorgte.

 Foto: Alexi Pelekanos

Die Romanadaption nutzt so die Eigenheiten des Theaters, ohne die für den „Zauberberg“ zentrale Stellung des Wortes zu schmälern. Das, was nicht verbal vermittelt werden kann, wird mit dem Einsatz von Requisiten oder symbolischen Gesten offengelegt: So wird Castorp (großartig verkörpert von Tilman Rose), als er von einem rot gefärbten Stift in der Metallhülse träumt, der seinem Schulfreund gehörte und einen Phallus repräsentiert, pinke Farbe auf sein Hemd geschmiert – zunächst dort, wo das Herz lokalisiert ist, dann über seinen ganzen Bauch. Dass die Kräfte des Eros den jungen Ingenieur zunehmend in Beschlag nehmen, wird so unterstrichen.

Pointierte Gesellschaftskritik

Besonders gelungen ist auch das Spiel mit dem Bühnenbild (dafür zuständig: Nanna Neudeck). Dieses besteht aus einem leeren Brustkorb, in deren Mitte eine ausgehöhlte Wirbelsäule wie ein verknöcherter Geburtskanal liegt. Mit seinen insgesamt zwölf, nach beiden Seiten aufgefächerten Rippen sieht dieser Thorax aus wie eine übergroße Spinne oder auch ein Gefängnis – die Assoziationsfülle, die sich aus seiner Optik ergibt, reichert das Stück mit Bedeutungen an, die mit den Inhalten des Werks in Parallele stehen. Wenn die Figuren sich nun einmal auf die nach innen gebogenen Spitzen der Rippen legen, um zu schlafen, den Thorax als Berglandschaft wahrnehmen oder auch über ihn als richtigen Teil des menschlichen Skeletts sprechen, so als ob sie sich in einem lebenden Körper befinden würden, spiegelt der Bühnenraum die Gefangenheit der Figuren in einem auf organischer wie gesellschaftlicher Ebene kranken System wider. Der kritische Gehalt von Thomas Manns über neunhundert Seiten langer Erzählung wird so auf den Punkt gebracht.

 Foto: Alexi Pelekanos

Der im Grand Théâtre aufgeführte „Zauberberg“, der eine Koproduktion zwischen dem Landestheater Niederösterreich und den hauptstädtischen Theatern darstellt, erweist somit eine wunderbare Hommage an ein Werk, das in der Nachkriegszeit auf eine überwältigende Resonanz stieß und seitdem einen festen Platz in der Weltliteratur hat.