Leider fiel Weinbergs 3. Symphonie, auf die wir uns besonders gefreut hatten, diesem Wechsel zum Opfer und musste der beliebten, aber eher banal-pathetischen Romeo-und-Julia-Ouvertüre von Tschaikowsky weichen. Sinaisky ist kein Dirigent, der sich mit Mittelmaß zufriedengibt. So erlebte das Publikum einerseits eine absolut klangprächtige Wiedergabe dieses Klassik-Hits, andererseits versuchte Sinaisky immer wieder, die Musik in die Stille zu führen und sie dort quasi aufzulösen. So kurzfristig schienen diese Extreme das Orchester allerdings etwas zu irritieren, denn die Präzision bei verschiedenen Einsätzen ließ manchmal zu wünschen übrig. Auch brachten Sinaiskys z.T. langsame Tempi das Werk manchmal aus seinem inneren Gleichgewicht. War das Zusammenspiel hier noch nicht optimal, so bewiesen Sinaisky und das CBSO bei Igor Strawinskys Violinkonzert, wie einfühlsam sie begleiten können. Patricia Kopatchinskaya stürzte sich dann auch wie gewohnt mit hundertprozentigem Einsatz in das Werk und suchte immer wieder den direkten Kontakt zu den Musikern und dem Dirigenten. Dies führte zu einer wunderbar dynamischen und lebendigen Wiedergabe, die keine Wünsche offen ließ.
Auch bei ihren beiden Zugaben zeigte sich die Starsolistin als „Kammermusikerin“; bei einer neukomponierten Kadenz für das ansonsten kadenzlose Strawinsky-Violinkonzert bezog sie den Konzertmeister und anschließend bei einem selbstkomponierten Stück den Soloklarinettisten des CBSO mit ein. Nach der Pause erlebte das Publikum eine recht traditionelle, aber furios in Szene gesetzte, doch klanglich eher rustikale Aufführung der 4. Symphonie von Tschaikowsky. Vassiliy Sinaiski ging hier keine Risiken ein, sondern vertraute einfach der Wirkung der Musik, die er dann auch ohne viel Schnick-Schnack umsetzte. Auch hier führte er das Orchester sanft zu gewaltigen Ausbrüchen, um es dann wieder dezent zurückzunehmen und den Soloinstrumenten Raum zu geben. Die Musik atmete und floss und die Dynamik der Musiker riss das Publikum mit. Und bei Tschaikowskys Musik braucht man ohnehin keine großen interpretatorischen Finessen anzustreben. Entweder man liest sie objektiv und zurückhaltend oder, eben wie hier, typisch russisch, klangprächtig und virtuos. Allerdings ging dieses Konzept oft auf Kosten der Feinheiten; das CBSO hat man in den letzten Jahren weitaus nuancierter, präziser und klanglich schöner gehört als an diesem Abend. Als Zugabe spielten die Musiker dann „Melody“, ein kurzes, wunderschönes und zeitloses Werk des ukrainischen Komponisten Myroslaw Skoryk (1938-2020).
Musikalische Eloquenz
Klanglich subtiler, interpretatorisch interessanter und spieltechnisch einfach besser war das Konzert mit dem Orchestre philharmonique du Luxembourg unter Andrew Manze, das so im direkten Vergleich bewies, dass es durchaus „besser“ sein konnte als ein international renommierter Klangkörper wie das CBSO. Das lag vor allem an der scheinbar tollen Beziehung, die zwischen den Musikern und dem dynamischen Gastdirigenten Andrew Manze bestand. Was der Dirigent auch forderte, und er forderte so manches, das gaben ihm die Musiker auch. Mehr noch, sie schenkten es ihm. Bereits der Kopfsatz des 1. Klavierkonzerts von Johannes Brahms machte hellhörig. Manze dirigierte diesen Satz mit einem teuflischen Feuer, der Klang blieb dabei aber immer klar und dezent.
Hier waren wir weit weg von dem schwermütig-pathetischen Brahms und seiner Klanggewalt, die bei diesem Klavierkonzert so gerne ausgespielt wird. Die kammermusikalische Transparenz, man kann hier wirklich davon reden, passte natürlich hervorragend zu der Konzeption des Pianisten Martin Helmchen, der ja insbesondere durch seinen noblen Vortrag, seine Klarheit und seine unaffektierte Herangehensweise geschätzt wird. Diese konnte er an diesem Abend in dem gewaltigen Konzert bestens unter Beweis stellen. Sein Anschlag war immer klar und präzise, das feinnervige Spiel passte natürlich wunderbar zum langsamen Satz, aber auch in den Ecksätzen konnte Helmchen durch seine interpretatorische Integrität immer wieder auftrumpfen. Einen Bach-Choral gab es dann als Zugabe, ehe Andrew Manze und das OPL sich der nicht minder klangprächtigen 1. Symphonie von Edward Elgar zuwandten. Auch hier war musikalische Klarheit oberstes Gebot, diese aber gepaart mit musikalischer Stringenz, dynamischem Feuer und großem Atem. Der ansonsten immer recht pathetisch wirkende Elgar erschien in dieser abgespeckten Interpretation jedenfalls viel interessanter, zumal Manze immer wieder die Nebenstimmen heraushob und hörbar machte. Das OPL spielte mustergültig, alle Pulte gaben ihr Bestes – … man hört sehr selten, dass Interpretation, Klang und Dynamik unter einem Gastdirigenten so eloquent umgesetzt werden, wie es an diesem Abend der Fall war.
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