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Forum / Souveräne Energie
 Windenergieanlagen im Sonnenuntergang  Foto: dpa/Patrick Pleul

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Im Februar 2015 formulierte die Europäische Union eine neue Idee. Die „Europäische Energieunion“ sollte dazu führen, dass die EU bei Energiegewinnung und -konsum nicht nur nachhaltiger, sondern vor allem unabhängiger wird. Der Begriff der europäischen Souveränität wurde in das Konzept hineinfusioniert: Europa sollte energiepolitisch souverän werden. Sieben Jahre und diverse weitere Initiativen später – immerhin hat sich die aktuelle Europäische Kommission seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2019 dem Europäischen Green Deal verschrieben, um die Wirtschaft mit massiven Investitionen in erneuerbare Energien zu entkarbonisieren – hängt Europa nach wie vor am Tropf Russlands und anderer „strategischer“ Energielieferanten. Strategisch ist in fast allen Fällen vor allem das finanzielle Interesse des Lieferanten, wie der Fall Russlands eindeutig belegt.

Europa ist seit jeher in Sachen Energieversorgung abhängig. Seien es Saudi-Arabien und andere Golfmonarchien, Russland oder Aserbaidschan – Europas Lieferanten sind oft Diktaturen mit einer grundsoliden Abneigung gegen Menschenrechte. Einige von ihnen führen gelegentlich Krieg, wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate im Jemen, oder Aserbaidschan in Bergkarabach. Einer davon führt nun einen richtig großen, klar völkerrechtswidrigen, barbarischen Krieg in der Ukraine. Russland hat damit die Toleranzgrenzen Europas, die durchaus hochgesteckt sind, überschritten – die Union will kein Gas mehr, das von Kriegsverbrechern geliefert wird. Sieben Jahre nach der „Energieunion“ realisiert die Europäische Union endlich, dass die totale Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen ein suboptimaler Zustand ist. Wie sollte das mit der Energiesouveränität doch gleich funktionieren?

Europa hat sich offiziell einen Grünen Neuen Deal gegeben. Damit will es bis 2050 CO2-neutral werden, die Etappen bis dahin sind mit strammen Senkungen der entsprechenden Emissionen markiert. Doch der aktuelle europäische Energiemix gibt nicht ohne weiteres ein Entkarbonisieren der Wirtschaft binnen einer Generation her. Massive Investitionen, rund 1.000 Milliarden Euro, sind in diesem Hinblick geplant. Sie werden notwendig sein, um den Mix solchermaßen umzugestalten, dass erneuerbare Energien Europa weitgehend beleuchten, heizen, und seine Industrie antreiben. Ultimativ geht es deswegen nicht darum, dass Gas nicht mehr aus Russland kommt – sondern darum, dass kaum noch Gas verfeuert wird.

Europas eigentliches Problem

Der Krieg in der Ukraine und die Verwerfungen, die Russland in den internationalen Beziehungen, besonders mit Europa, herbeiführt, bewirken eine generelle Abwendung von Russland und seinen fossilen Energieträgern. Das ist grundsätzlich eine sinnvolle Entwicklung, aber sie löst Europas eigentliches Problem nicht. Die Herausforderung lautet nämlich: Europa muss ziemlich schnell souverän in nachhaltiger Energieversorgung werden. Wenn es importiert, wird es ebenso nachhaltig produzierte, erneuerbare Energie importieren müssen – die unter seinem Impuls in der direkten Nachbarschaft Europas produziert wird.

Europa ist ein Kontinent engagierter Bürger, deren Engagement oft Formen der heftigen Ablehnung von größeren Infrastrukturen annimmt. Wenn also zu diesem Zeitpunkt an den nördlichen Küsten Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande riesige Offshore-Windparks entstehen, dann wird es spannend sein, zu erleben, wie viel Widerstand sich gegen den Transport des dort hergestellten elektrischen Stroms organisieren wird. Ohne Hochspannungsleitungen wird dieser nicht in die Ballungsgebiete Europas gelangen können. Wer also von energiepolitischer Souveränität spricht, wer der Meinung ist, nachhaltiger Strom wäre die Zukunft unseres Produzierens, Wohnens, und Transportierens, der wird jene Infrastrukturen akzeptieren müssen, die für eine großflächige europäische Elektrifizierung auf der Grundlage von Wind- und Sonnenenergie gebraucht werden.

Die Europäische Kommission hat sich in den letzten Monaten einer intensiven Wasserstofftherapie unterworfen, die von einigen Mitgliedstaaten der Union ebenfalls befolgt wird. In keiner großen Rede hoher Kommissionsverantwortlicher darf heute grüner Wasserstoff fehlen. Dabei gibt es augenscheinlich ein Bewusstsein dafür, dass Europa diesen nicht alleine in ausreichenden Mengen wird herstellen können, zumindest nicht zu halbwegs attraktiven Preisen. Deshalb wird auch eine „Wasserstoffpartnerschaft“ mit Afrika bei jeder Gelegenheit angepriesen, sogar in Präsidentin von der Leyens letzter „State of the Union“ – Rede. Und zwar, ohne dass auch nur das geringste Einverständnis über die geografische Organisation einer solchen Partnerschaft existieren würde, und während einige Mitgliedstaaten weiter rein bilateral auf die Suche nach Wasserstoffimporten gehen – irgendwo zwischen der arabischen Halbinsel, Australien und dem südlichen Chile. Sehr europäisch, souverän ist diese Vorgehensweise nicht.

Pipeline für grünen Wasserstoff

Grüner Wasserstoff kann Afrika revolutionieren. Sonne, Wind und Wasser sind dort im Überfluss vorhanden und erlauben großflächige und preiswerte Wasserstoffherstellung. Die Elektrifizierung des Kontinents kann endlich Realität werden, neue transformative Industrien werden entstehen, Afrika könnte mit einer echten Wasserstoffwirtschaft den Dämonen der Exportabhängigkeit von fossilen Energieträgern entkommen und Europa nebenbei mit preiswertem grünen Wasserstoff in großen Mengen versorgen. Dafür bräuchte es allerdings in Europa die Einsicht, dass 2030 bereits in acht Jahren ist, und wir nicht noch vier oder fünf Jahre mit Machbarkeitsstudien verbringen dürfen, die von der Ölindustrie bezahlt und orientiert werden. Wenn hunderte von Milliarden Euro für die grüne Transition bereitstehen, dann muss ein Teil davon jetzt gleich in afrikanischen Partnerstaaten dafür aufgewendet werden, die Wasserstoffinfrastruktur der Zukunft zu schaffen. Die Errichtung einer neuen, spezifischen Pipeline für grünen Wasserstoff an der westafrikanischen Küste entlang, von Mauretanien bis nach Spanien, wäre ein Leuchtturmprojekt der Wasserstoffinfrastruktur – für Europa, aber auch für Afrika.

Sollten solche Projekte Wirklichkeit werden, muss die Pipeline-Infrastruktur innerhalb der Europäischen Union einer gemeinsamen, einheitlichen Nutzung zugeführt und Engpässe eliminiert werden. Anders lässt sich die Verteilung des importierten oder selbst produzierten grünen Wasserstoffs nicht bewerkstelligen. Auch hier warten Investitionen in enormer Höhe – aber die europäische Industrie wird den Wasserstoff brauchen, und zwar nicht nur in den Anlandegebieten Spaniens oder in Rotterdam, sondern quer über den Kontinent. Nur so kann das Ziel der „Fit for 55“-Strategie erreicht werden, der europäischen Industrie bis 2030 die Hälfte ihres Wasserstoffverbrauchs als grünen Wasserstoff zuzuführen – und diesen Anteil später stetig zu erhöhen. Dieser grüne Wasserstoff wird nicht nur aus Europa kommen können. Er kann allerdings unter europäischem Impuls mit afrikanischen Partnern auf eine Weise hergestellt und importiert werden, die europäische Energiesouveränität sicherstellt, nachdem afrikanische Entwicklungsbedürfnisse abgedeckt sind.

Europäische Energiesouveränität ist möglich. Um sie zu erreichen, reicht es jedoch bei weitem nicht, Russland als Lieferanten fossiler Energieträger auszuschließen. Vielmehr müssen endlich die zur Verfügung stehenden Geldmittel auf konsequente und kohärente Manier in moderne und nachhaltige Energieinfrastruktur investiert werden. Der Moment dafür ist jetzt gleich.

* Frank Engel ist Parteisprecher der neuen Partei „Fokus“ und Berater der Lobbygruppe „Hydrogen Europe“.