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„An hour before it’s dark“Marillion mit 20. Album – und neuem Fokus: Krisen, Klima, Pandemie

„An hour before it’s dark“ / Marillion mit 20. Album – und neuem Fokus: Krisen, Klima, Pandemie
Die Band Marillion mit Sänger Steve Hogarth (M., undatierte Aufnahme) Foto: Anne-Marie Forker Photography/networking Media/dpa

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„Kayleigh“ war ihr größter Hit. Seit rund 40 Jahren liefern Marillion fein durchkomponierten, mit tiefgründigen Texten versehenen Prog- und Artrock. Das 20. Album „An Hour Before It’s Dark“ dreht sich um ein großes Thema.

„Eine Stunde, bevor es dunkel ist“, so heißt übersetzt das neue Album von Marillion. Es bedeutet nicht nur die letzte Stunde, in der Kinder draußen spielen dürfen, sondern bezieht sich vor allem auf die Klimakrise. „Fünf vor zwölf“, könnte man auch sagen.

„Es ist eine Metapher dafür, wo wir uns befinden – in vielerlei Hinsicht“, sagt Marillion-Sänger Steve Hogarth im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Der 65-Jährige gehört seit 33 Jahren zur Band und hat den Sound mit seiner leicht wiedererkennbaren, mal sphärisch seichten, mal beinahe rockig-rotzigen Stimme geprägt.

Textlich ist das neue Album hochaktuell. Marillion sprechen von der Klimakrise, in „Be Hard On Yourself“ ganz klar: „Cause of death: Lust for luxury/Cause of death: Consumption“. Über dieses politische Thema zu schreiben, liegt für Hogarth auf der Hand: „Ich bin 65, verdammt. Ich habe schon alle meine Liebeslieder geschrieben. Hunderte. Ich bin sesshaft geworden, nicht in Sorge um mein Liebesleben. Aber ich habe große Angst um andere Dinge. Deshalb schreibe ich darüber.“

Ihm sei es wichtig, Menschen mit seinen Songs zum Nachdenken zu bringen. „Wo wir stehen, wie es um unseren Planeten bestellt ist. Das ist wichtiger als ein weiterer Song über ein Mädchen, das mir das Herz gebrochen hat.“

Dabei klingen manche Songs melancholisch, beinahe hoffnungslos. In „Reprogram The Gene“ fragen Marillion, ob es Heilung für uns, die Menschheit, gibt. Und da zieht Steve Hogarth eine Verbindung zwischen Klimakrise und Pandemie. Obwohl er eigentlich gar kein Album über die Pandemie schreiben wollte.

Das neue Album der Band erschien am 4. März
Das neue Album der Band erschien am 4. März Cover: dpa/earMUSIC/ networking Media

„Aber jetzt haben wir ein Album über die Pandemie geschrieben, weil wir nichts dagegen tun konnten“, sagt Hogarth. „Die zwei sich aufdrängenden Probleme sind für mich die Klimakrise und die Pandemie. Das Album wurde in dieser Realität geschrieben. Ich konnte die Pandemie nicht außen vor lassen, denn ich kann mich nicht ehrlich ausdrücken, ohne mich darauf zu beziehen.“

Also geht es auch um tödliche Umarmungen, Lockdown, das Virus. „Ich befürchte, dass noch etwas kommen wird. Und dass die Pandemie nur die Spitze des Eisbergs ist. Ich glaube, wir müssen anders leben und die Art und Weise ändern, wie wir den Planeten verbrauchen. Das wird nur passieren, wenn Gesetze gemacht werden. Weil die Menschen zu egoistisch und dumm sind …“

Harte Worte, doch keinesfalls überheblich gemeint. Im Gegenteil. Das Dilemma, in dem die Welt steckt, ist Hogarth nur zu bewusst. Bei der Kritik macht er bei sich selbst nicht halt: „Ich bin ein Heuchler in dem Sinne, dass wir, wenn wir zum Beispiel nach Montreal (Kanada) reisen, das Flugzeug nehmen. Ich werde nicht mit einem Segelboot wie Greta Thunberg fahren. Aber wir alle können kleine Dinge tun, wie das Thermostat im Haus runterdrehen und dann dickere Pullis anziehen. Das ist eine winzig kleine Sache, die wir tun können und die schon einen Unterschied machen kann. Ich versuche zu tun, was ich kann.“

In Bezug auf die Pandemie bedeutet das für den Marillion-Sänger auch, dass er darüber schreibt, was andere geleistet haben. Nicht nur auf das Schlechte schauen, sondern auf die guten Dinge. „Die Selbstaufopferung, die viele gezeigt haben, ist eine schöne Sache und verdient, erinnert zu werden. In England standen wir jeden Donnerstagabend auf dem Balkon und haben für all die Ärzte und Pflegekräfte geklatscht. Meine Art zu klatschen ist, es in einem Song zu würdigen.“

Marillion gründeten sich 1979 in England und lehnten ihren Bandnamen an „Das Silmarillion“ an – jenes Werk von J.R.R. Tolkien, das die Vorgeschichte zum „Herrn der Ringe“ erzählt. Ihr größter Erfolg war 1985 das Album „Misplaced Childhood“, damals noch mit Fish als Sänger. Das Lied „Kayleigh“ wurde zum Single-Hit.

Mittlerweile ist von der Gründungsformation nur noch Gitarrist Steve Rothery übrig, doch die jetzige Bandkonstellation ist seit Ende der 80er unverändert. Ganz groß rausgekommen sind die Engländer nie, schafften es in den 2000ern aber wieder, beständig in den Charts präsent zu sein.

Es habe geholfen, dass Marillion so lange existieren, ist Hogarth überzeugt: „Wir waren niemals so richtig erfolgreich, dass wir es uns erlauben konnten, uns zu trennen“, sagt er lachend. „Aber wir sind immer erfolgreich genug gewesen, dass es wert war, weiterzumachen. Wir waren immer in dieser Grauzone.“

Der zweite, vielleicht wichtigere Faktor, um als Band auch Krisen zu überstehen: „Vergebung. Wir sind echt gut darin, einander zu vergeben.“ Und so ist die Marillion-Geschichte auch mit dem 20. Album noch nicht zu Ende. (dpa)