Vorhang auf für „Esch2022“. Der Tag des Openings beginnt mit einer Pressekonferenz im „Café Saga“, einer im Industrie-Stil eingerichteten Location, in der die Journalisten der in- und ausländischen Presse, Künstler, Kuratoren, Mitglieder des „Esch2022“-Teams und viele andere Menschen auf bequemen Couches mit Blumenmuster sitzen dürfen – sofern sie noch einen Platz ergattern können. Für die anderen heißt es leider: stehen bleiben.
Noch vor Beginn der Veranstaltung scheint das Café fast überlaufen, besonders im hinteren Teil des Raums drängen sich die Anwesenden dicht zusammen. Kaffeemaschine und Milchschäumer brummen unablässig, irgendwann mischen sich das Klappern von Besteck und das aus der Küche dringende Zischen von stark erhitzten Pfannen darunter. Leider hört man nicht jedes Wort, was die Vortragenden sagen, und überhaupt startet die Pressekonferenz etwas holprig: Es gibt Probleme mit der Power-Point-Präsentation und nicht alle Mikrofone sind eingeschaltet.
LESEN SIE AUCH Interview / Publikumsnah im Weltall: Nancy Braun über den Startschuss von Esch2022
Aber dann der große Moment: Vor die Menschen tritt Nancy Braun, die Generaldirektorin der Kulturhauptstadt. Sie sei froh, alle Teilnehmer hier begrüßen zu können. Die vergangenen Tage seien überaus arbeitsintensiv gewesen und sie bedanke sich deswegen herzlich bei ihren Mitarbeitern, sagt die „Esch2022“-Leiterin mit dem silbernen Pagenkopf.
Zwei komplementäre Ausstellungen
Im Fokus der Presseveranstaltung steht die Vorstellung von, wie Braun betont, „zwei sehr wichtigen Ausstellungen“, die am Folgetag des Openings, dem 27. Februar eröffnet werden und bis zum 15. Mai besichtigt werden können. Bei der Ausstellung „Remixing Industrial Pasts: Constructing the Identity of the Minett“ gehe es um die Geschichte und die sich wandelnde Identität der Region, erklärt Françoise Poos, die als Verantwortliche des kulturellen Programms von „Esch2022“ nach der Generaldirektorin das Wort ergreift. Bei der Ausstellung „Hacking Identity – Dancing Diversity“ gehe es dann wiederum um die Zukunft.
Der Blick über die Schulter bestimmt die eine Ausstellung, bei der anderen wird das Kommende anvisiert. Ganz nach dem Motto der „Remix Culture“ der Kulturhauptstadt vermischen sich hier verschiedene Perspektiven – auch innerhalb der einzelnen Schauen. Auch spiegeln die während der Pressekonferenz präsentierten Kulturveranstaltungen das Motto des Openings selbst wider, das „from red earth to grey matter“ (Deutsch: von roter Erde zur grauen Masse) lautet. Die industrielle Vergangenheit von Belval wird hier ebenso beleuchtet wie seine Gegenwart beziehungsweise Zukunft als Uni-Campus, Standort von Forschungszentren und Kulturstätte.
Der Blick in die Vergangenheit
Vor dem Publikum erklären die jeweiligen Kuratoren im Dialog mit Poos, welche Vorarbeiten für die Ausstellungen nötig waren, welches Grundkonzept sie verfolgten und wie sie mit Institutionen wie Archiven und auch privaten Fotoklubs aus der Gegend, mit Forschern und Künstlern zusammenarbeiteten, um ihre Ideen schließlich konkret umzusetzen und der Schau Leben einzuhauchen. Als Erste spricht Chiara Ligi, „Creative Producer“, Multimedia-Künstlerin und Mitbegründerin des Künstlerkollektivs „Tokonoma“, das für die Ausstellung „Remixing Industrial Pasts“ mitverantwortlich ist.
Es sei interessant gewesen, an einem Ort zu arbeiten, der dermaßen mit dem Inhalt der Ausstellung verknüpft sei, sagt sie. Immerhin werden die Installationen im „Massenoire“-Gebäude beherbergt. Dieses diente zuvor einmal zur Herstellung von Dichtmasse. „Wir stellen auch das Masternarrativ des Minetts infrage“, sagt der Forscher und Mit-Kurator Stefan Krebs. Mit der Ausstellung wollten sie ein wenig mit der Geschichte des Minetts als Erfolgsgeschichte brechen.
Wie bei der späteren Besichtigung deutlich wird, besteht die Ausstellung aus sechs verschiedenen Installationen, die die Geschichte der Minett-Region etappenweise veranschaulichen – wobei auch auf jene Aspekte aufmerksam gemacht wird, über die weniger oft im öffentlichen Diskurs geredet wird: die Umweltverschmutzung, das Leben der Frauen während der Blütezeit der Stahlindustrie und das Schicksal der Migranten. Die Ausstellung setzt vor allem auf die effektvolle Inszenierung von lange zusammengesuchtem Audiomaterial.
Futurismus pur mit tanzenden Avataren
In der nicht weit entfernten „Möllerei“ ist die zweite Ausstellung untergebracht. „Hacking Identity – Dancing Diversity“, die auch vom 27. Februar bis zum 15. Mai besichtigt werden kann, beinhaltet insgesamt 28 Kunstwerke von verschiedenen Künstlern. Das erklären Anett Holzheid und Peter Weibel vom Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), die für die Gestaltung der Schau zuständig sind. Es gehe um das Digitale, aber auch um das Physische, erklärt Holzheid. Hacking bedeute eigentlich „to overcome usage restrictions“ – auf die Möglichkeiten, wie man selbst als Bürger Nutzungsbeschränkungen überwinden könne, wollten die verschiedenen Installationen hinweisen.
Von dem futuristischen Charakter von „Hacking Identity – Dancing Diversity“ kann man sich später bei der Besichtigung überzeugen. Bei einer Installation kann man auf einem rosafarbenen, flauschigen Teppich hüpfen und tanzen – der Avatar auf dem Bildschirm vor einem macht einem die Bewegungen nach. Dieses Kunstwerk zeigt, wie Mode – die äußerliche Codierung von Individualität – neu gedacht werden kann, sagt Holzheid. Dabei tragen die ständig wechselnden Avatare keine Mode im klassischen Sinne. Sie sind, wie die Charaktere einer digitalen Abenteuerwelt, mit allerlei fantastisch aussehenden Elementen ausgestattet.
Frieren während der Besichtigung
Interessant wirkt der Presseauftakt von „Esch2022“, aber auch ein wenig chaotisch: Eine Führung auf Deutsch gibt es – entgegen den Ankündigungen der Verantwortlichen – leider nur bei der Ausstellung „Remixing Industrial Pasts“, für eine weitere Führung durch die „Möllerei“ bleibt leider keine Zeit mehr. Es ist reiner Zufall, dass die Kuratorin zum richtigen Zeitpunkt bei den Installationen steht, um weiterführende Erklärungen zu den verschiedenen Kunstwerken zu liefern.
Ein weiteres Manko: Eigentlich hätte das riesige „Möllerei“-Gebäude durch Heizpanels erhitzt werden müssen. Diese funktionieren, aber leider nicht zum Start von „Esch2022“. Es sei „ein wenig unerträglich“ hier drin, sagt Holzheid dann auch mit einem leichten Lächeln, während die kleine Gruppe wieder die Stufen zum Erdgeschoss erklimmt. Das Problem solle aber bald behoben werden.
Tja, wer zu spät kommt...
Da war der Sitzplatz wohl weg und die Laune im Keller. Schade, dass der Artikel nur das Negative hervorhebt. Beim nächsten mal klappts sicher auch mit dem Sitzplatz.
"Interessant wirkt der Presseauftakt von „Esch2022“, aber auch ein wenig chaotisch"
Chaos pur, wie vorausgesagt, die können's einfach nicht.