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Editorial„Gëtt et Krich?“: Warum Putins Politik uns alle betrifft

Editorial / „Gëtt et Krich?“: Warum Putins Politik uns alle betrifft
Es hat etwas leicht Ironisches: Premier Bettel traf Vladimir Putin 2015 in Sotschi, Russland – zu den Themen gehörten die Krim-Annexion und die gemeinsame Bekämpfung der Terrororganisation IS. Heute verurteilt Europa den russischen Imperialismus. Foto: Tageblatt-Archiv

Ein entspanntes Abendessen mit Freunden. Köstliche Kalauer, Aufbruchstimmung – Covid könnte nicht weiter weg sein. Dann die unschuldige Frage: „So, gëtt et Krich?“ Früher fragten Bekannte das, wenn es um ferne Gebiete ging: Kurdistan, Libyen, Türkei, Syrien, Irak, Iran … Nie kam der Gedanke, zu antworten: „Mengs de elo bei eis oder bei hinnen?“ Doch genau diese Frage stellt sich heute.

Auch wir müssen uns in Luxemburg fragen: Kommt es zu einem Krieg, der nicht nur die Ukraine, sondern Gesamtkontinentaleuropa verwüsten könnte? Die Vorstellung macht kurz fassungslos. Während ältere Generationen mit der Erfahrung der Nachkriegszeit, dem Vietnamkrieg und mit „MAD“ – gemeint ist nicht das grandiose US-Satiremagazin, sondern das „nukleare Gleichgewicht des Schreckens“ – aufwuchsen, wurden jüngere Generationen anders sozialisiert. Der letzte wirklich konventionelle Krieg, in dem sich die Armeen zweier Länder über längere Zeit gegenüberstanden, war der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak in den 1980er Jahren. Es folgten das Propagandaspektakel des Zweiten Golfkrieges in den 1990er Jahren und schließlich der Dritte Golfkrieg im Zuge von 9/11: Die amerikanische Invasion im Irak und der Kampf gegen den Terror veränderten militärische Auseinandersetzungen grundsätzlich.

Die hybride Kriegsführung wurde zur Norm, Stellvertreterkriege Routine – direkt ausgetragene Kriege zwischen zwei Nationen die Ausnahme. Zu groß ist das nukleare Abschreckungspotenzial, zu schnelllebig und kompliziert die internationalen Koalitionsbündnisse. So paradox es auch klingt: Am Ende halten die ökonomischen und technologischen Interessen, wegen derer es meist zu Konflikten kommt, Hitzköpfe davon ab, bewaffnete regionale Konflikte in waschechte Kriege zu überführen. Passiert dies aber tatsächlich, wird es hässlich. Was der Sturz Gaddafis und das unsägliche Blutbad in Syrien hervorgebracht haben, lässt sich bis heute in Flüchtlingsheimen vor unserer Haustür, pardon, in abgelegenen Ecken unseres Landes nachvollziehen. In der SHUK („Structure d’hébergement d’urgence“) auf Kirchberg konnte man z.B. sehr gut nachvollziehen, was es heißt, wenn ein Mensch ein „Dublin-Fall“ wird. Dann lautet die Frage rund um Überstellungsfristen nur noch: „Vu wou kënnt deen dann elo schonn erëm? A séier fort domat.“

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