Im Rahmen des jährlichen Streiks der Frauen*2, welcher am 8. März stattfinden wird, hat sich die Plattform JIF dieses Jahr dazu entschlossen, ihre Liste an Forderungen um einen sehr wichtigen Punkt zu erweitern und der Gewalt gegen Frauen* den Kampf anzusagen. In Bezug auf die jüngste Petition betreffend eine Reform der aktuellen Rechtslage um sexuelle Gewalt fordert der Frauenstreik die Überarbeitung verschiedener Gesetze, die im Falle einer Vergewaltigung anzuwenden sind. Anzumerken ist hier auch, dass die Justizministerin Sam Tanson, im Zusammenhang mit sexueller Gewalt, erst kürzlich einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, welcher eine Verschärfung der Gesetzgebung rund um den sexuellen Missbrauch und die Ausbeutung von Minderjährigen umsetzen soll.3 Eine politische Entscheidung, die sehr zu begrüßen ist und einen wichtigen Schritt im Kampf gegen sexuelle Gewalt darstellt.
Der Begriff „Vergewaltigung“ kennt viele Bezeichnungen, von „(sexuellem) Missbrauch“, „Violation“, bis hin zur „Schändung“, aber noch mehr Namen von Opfern, meist Frauen. Jedoch bleibt das Thema der Vergewaltigung, trotz unzähliger Opfer und Täter weltweit, ein Tabu in unserer Gesellschaft. Ein Grund dafür ist, dass die Vergewaltigung eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt ist. In anderen Worten: Die sexuelle Gewalt ist eine der Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die sich dadurch auszeichnet, dass sie spezifisch und überwiegend von Männern gegen Frauen ausgeübt wird. Gründe dafür können auf eine durch das Patriarchat geprägte gesellschaftliche Ordnung zurückgeführt werden, die die Unterdrückung und Beherrschung der Frau durch den Mann preist. Die Tat einer Vergewaltigung ist der abscheulichste Ausdruck männlicher Unterdrückung und Dominanz gegenüber der Frau. Sexuelle Gewalt ist kein gewöhnliches Gewaltverbrechen, denn dieses vereint nicht nur das Element der Körperverletzung, sondern vor allem auch die Verletzung der tiefsten Intimität, das genderspezifische Dominieren und das Absprechen der Selbstbestimmung eines Menschen.
Hohe Dunkelziffer
Ein weiteres Zeichen dafür, dass sexuelle Gewalt noch immer ein Tabu ist, ist die Dunkelziffer von Vergewaltigungstaten, die nie angezeigt wurden. Der Grund hierfür ist oftmals, dass Opfer das Gefühl haben, dass eine Anzeige ohnehin keine Konsequenzen für den Täter mit sich bringen würde. Dieses Gefühl ist leider nicht ganz unbegründet, denn nicht alle zur Anzeige gebrachten Vorwürfe einer Vergewaltigung enden damit, dass der Täter bestraft wird. Dies basiert zum einen darauf, dass Vergewaltigungen nicht immer einfach nachzuweisen sind und zum anderen auf einer problematischen Gesetzgebung. Dies gilt vor allem seit einer Reform des „Code de la procédure pénale“ im Jahr 2018, mit dem Inkrafttreten des Artikels 195-1, welcher Folgendes besagt: „En matière correctionnelle et criminelle, la juridiction ne peut prononcer une peine d’emprisonnement ou de réclusion sans sursis qu’après avoir spécialement motivé le choix de cette mesure. Toutefois, il n’y a pas lieu à motivation spéciale lorsque la personne est en état de récidive légale.“ In anderen Worten hat dieser Artikel zur Folge, dass im Falle eines Delikts oder/und im Falle eines Verbrechens die Strafe eines Ersttäters prinzipiell zur Bewährung ausgesetzt wird, außer der oder die zuständige Richterin kann es mit einer „motivation spéciale“ motivieren, dass sie oder er einen Gefängnisaufenthalt für nötig hält. Diese „motivation spéciale“ zu erfüllen, kann sich in der Praxis als schwierig erweisen und demnach müssen viele Opfer es ertragen, ihre Peiniger auf freiem Fuß zu erleben, wie es auch kürzlich die Generalstaatsanwältin Simone Flammang auf RTL bestätigt hat.4 Da es sich bei einer Vergewaltigung um ein Verbrechen handelt, gilt momentan, dass im Falle der Vergewaltigung durch einen Ersttäter die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird.
Bewährung als Ausnahmefall
In der Recherche um den Ursprung dieses Gesetzes fällt man schnell auf den französischen Artikel 132-9, welcher fast den identischen Wortlaut wie der luxemburgische Artikel 195-1 vorzuweisen hat und bereits seit 2005 in Kraft ist: „En matière correctionnelle, la juridiction ne peut prononcer une peine d’emprisonnement sans sursis qu’après avoir spécialement motivé le choix de cette peine. Toutefois, il n’y a pas lieu à motivation spéciale lorsque la personne est en état de récidive légale.“ Im Gegensatz zum luxemburgischen Gesetz gibt es beim französischen Original jedoch den wesentlichen Unterschied, dass dieses Gesetz nur im Falle von Delikten Anwendung findet. In diesem Fall kann man die Entscheidung des Gesetzgebers auch sehr gut nachvollziehen, da man hier die Prämisse ableiten kann, dass jeder Ersttäter, wie beispielsweise der oder die Diebin eines Fahrrades, eine zweite Chance verdient. Warum sich der luxemburgische Gesetzgeber 2018 dazu entschieden hat, sich an einem sinnvollen Gesetz in Frankreich zu inspirieren und dieses dann jedoch mit zwei Wörtern auf Verbrechen auszubreiten, ist für die Opfer und viele Organisationen nicht nachvollziehbar. Deshalb fordert die JIF eine Gesetzesänderung des Artikel 195-1 des „Code de la procédure pénale“: Die freie Entscheidung der Justiz, eine Gefängnisstrafe zur Bewährung auszusetzen, soll gewährleistet bleiben, jedoch soll die Bewährung nicht das Prinzip, sondern der Ausnahmefall werden.
* Präsidentin der „Femmes socialistes“, Mitglied der Plattform JIF („Journée internationale des femmes“)
1 JIF, „Le 8 mars? J’peux pas, j’ai grève!“, in : Internetseite „Fraestreik“, URL: https://fraestreik.lu/greve-2022/
2 Frau*: Jede Person, die als weibliche Person gelesen wird, unabhängig von ihrem Geschlecht.
3 Ministère de la Justice, „Sam Tanson lutte contre les abus sexuels et l’exploitation sexuelle des mineurs en renforçant le dispositif législatif“, in: Internetseite Gouvernement.lu, 19.1.2022, URL: https://mj.gouvernement.lu/fr/actualites.gouvernement, Abruf am 3.2.2022.
4 Zeimetz, Claude: „Justiz huet Bedenke wéinst Konsequenze vun enger gesetzlecher Verschäerfung“, in: Internetseite RTL, 28.1.2022, URL: https://www.rtl.lu/news/national/a/1854294.html, Abruf am 3.2.2022.
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