Er scheiterte am Widerstand der luxemburgischen Gewerkschaftsbewegung. Außer einiger zeitlicher Verzögerungen beim Erfall von Indextranchen gelang ihm nichts. Seine Absichten der strukturellen Verschlechterungen – definitiver Wegfall einer ganzen Indextranche, Einführung des „gedeckelten Indexes“ und Herausnahme der Erdölprodukte aus dem Index-Warenkorb – musste er aufgeben. Ende 2013 musste seine Partei auf die Oppositionsbank.
Die neue Regierung sah 2014 von weiteren Angriffen auf das Indexsystem ab und bot den Sozialpartnern ein Abkommen an: Fortan sollte das Indexsystem wieder „normal“ funktionieren. Sieht man einmal von der Nichtindexierung der CO2-Steuer im Jahr 2021 ab, hat die Regierung bis heute Wort gehalten.
Gleichzeitig verebbte die Angriffslust der Patronatsorganisation gegen den Index. Grund dafür waren erstens die obengenannte politische Entscheidung der Regierung und zweitens die lang anhaltende niedrige, bisweilen sehr niedrige Inflationsrate aufgrund der internationalen Zinspolitik nach der Finanzkrise 2008/2009. Aber: Die Patronatsorganisation UEL unterschrieb das Abkommen nicht und ließ sich alle Wege für die Zukunft offen.
Schafspelz abgelegt
Sieben Jahre lang währte die Ruhe. Mit dem aktuellen Anstieg der Inflation mehren sich allerdings die Anzeichen dafür, dass der Schafspelz abgelegt wird und beim Patronat der Mut für Provokationen gegen den Index wächst. Und zwei Jahre vor den nächsten Parlamentswahlen dürfte die Erklärung der Regierung, dass sie für den Rest der Mandatsperiode nichts gegen den Index unternehmen wird, das Patronat nicht davon abhalten, den Ton gegen den Index zu verschärfen.
Wie in der Vergangenheit werden sich die vom Patronat in der Öffentlichkeit propagierten Argumente und Rechtfertigungen für eine Verschlechterung des Indexsystems nicht nur auf die Wiederholung gängiger Begründungen begrenzen. Sie werden sich an den vermeintlichen Zeitgeist anpassen.
Zur Erinnerung: Im Verlauf der Angriffswelle 2006 bis 2013 übernahm die UEL die neoliberale „Kompetitivität“-Propaganda der damaligen europäischen Strategie des Lohn- und Sozialdumpings, besser bekannt unter dem Namen „Lissabonstrategie“. Im Jahr 2021/2022 deutet vieles darauf hin, dass sich das Patronat neben dem „Notruf“ des „drohenden Kompetitivitätverlusts der Betriebe“ zusätzlicher ideologischer Hebel bedienen wird. Wie zum Beispiel dem, dass unser Indexsystem zu einem Lenkungsinstrument für ein „nachhaltiges Kauf- und Lebensverhalten“ der Arbeitnehmer(-innen) und Rentner(-innen) werden sollte.
Am 17. Dezember lieferte Carlo Thelen, Direktor der Handelskammer, im Rahmen eines RTL-Interviews ein solches Beispiel ab: „Mir wëllen den Index-System net ofschafen, mir soe just, esou wéi en am Ament besteet, mat der kompletter, integraler an automatescher Upassung un d’Inflatioun, ass net méi zäitgeméiss an och net nohalteg. Dofir plädéiere mir éischter fir e System, wou een a sech mat engem nohaltege Kuerf schafft. Datt een all déi Produite géif eraushuelen, déi schiedlech fir d’Gesondheet sinn. Alkohol, Tubak awer och d’Energiekäschten. Mir wëlle jo, datt d’Leit opgefuerdert ginn, fir de gratis ëffentlechen Transport ze benotzen an net méi esou vill Energie benotzen. Et ass bësse kontradiktoresch, wann een dann esou Produiten am Wuerekuerf léisst.“
Dilettant-populistische Begründung
Wuuaaw! Dass es dem Direktor der Handelskammer um die Senkung der Löhne und der Renten geht, braucht nicht erörtert zu werden. Interessant ist aber seine dilettant-populistische Begründung, für dieses Ziel zu erreichen. Man ist geneigt, ihm eine Nachhilfe- und Auffrischungsstunde über den Sinn und Zweck des Indexsystems nahezulegen.
Der Index ist einer der drei Hauptpfeiler der nationalen Lohnpolitik und -gesetzgebung. Die beiden anderen sind der gesetzliche Mindestlohn und das gesetzlich verankerte Kollektivvertragswesen. Das Zusammenspiel von Index und Kollektivverträgen funktioniert durch eine sehr wichtige Aufgabenteilung: In den Kollektivverträgen wird die Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung nicht verhandelt, das übernimmt der Index!
Vereinfachend ausgedrückt: Die Kollektivvertragsverhandlungen sorgen für die Anpassung der Löhne an die inflationsbereinigte Wirtschaftsleistung. Der Index hingegen passt lediglich die Löhne an die Lohnentwertung an, die aufgrund der Inflation bereits stattgefunden hat. Die gesetzliche Messgrundlage hierfür ist die Preisentwicklung des sogenannten Warenkorbs („panier de la ménagère“), der monatlich aktualisiert wird. Die Zusammensetzung der Waren und Dienstleistungen des Warenkorbs wird erstellt und gewichtet anhand von Durchschnittsberechnungen, die die reale Konsumption aller Haushalte widerspiegeln.
Der Warenkorb des Index reflektiert auf objektiv bestmögliche Art und Weise die Wirklichkeit rezenter Konsumentscheidungen der Bevölkerung und ihrer Preisentwicklung. Der Index hat also keine andere Aufgabe als die des Ausgleichs der durch die Inflation verursachten Entwertung der Löhne und Renten.
Gesamtes System infrage stellen
Diese gesetzlich verankerte Rolle des Indexsystems für die Lohnbildung wäre dann empfindlich gestört, wenn anstelle des realen Konsumverhaltens ein hypothetisches Konsumverhalten treten würde, das eine andere Referenzbasis hätte.
Wenn, wie beispielsweise vom Direktor der Handelskammer vorgeschlagen, der Index zum gesetzlichen Vormund, zum „Umerziehungsinstrument“ für „tugendhaftes“ oder „nachhaltiges“ Konsumverhalten der Bürger, präziser der Arbeitnehmer(-innen) und der Rentner(-innen), reformiert werden würde.
Eine solche Zweck- und Sinnentfremdung des Index würde nicht nur Tür und Tor für politische Manipulationen gegen den Index öffnen, sondern das gesamte System der luxemburgischen Lohnbildung grundsätzlich infrage stellen und untergraben.
Denn: Die Entkoppelung der Lohnbildung von jener Inflationsbewegung, die die reale Lebenswirklichkeit der Haushalte widerspiegelt, ist nicht nur ein inakzeptabler direkter Angriff auf die Kaufkraft der Arbeitnehmer(-innen) und Rentner(-innen). Sie wäre gleichzeitig ein Eingriff in die Gestaltung des Verhältnisses zwischen der Lohnentwicklung und der wirtschaftlichen Rentabilität bzw. Produktivität der Betriebe.
Im Gegensatz zu heute würde die Anpassung der Löhne an die reale Inflation zwangsläufig zum Gegenstand der Kollektivvertragsverhandlungen werden. Die aktuelle Möglichkeit von sowohl auf den einzelnen Betrieb oder auf einzelne Betriebsgruppen begrenzte Kollektivverträge (als auch von deren längeren, gesetzlich möglichen Vertragsdauern) müsste sektoriellen und sogar nationalen Verhandlungen mit kürzeren Vertragsdauern weichen.
Hat sich der Direktor der Handelskammer diese weitreichenden Konsequenzen gut überlegt? Logischerweise müsste er gleichzeitig eine entsprechende Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung vorschlagen. Oder geht es ihm nur um den einseitigen Lohn- und Rentenabbau? Oder um den Einstieg in den strukturellen Abbau des Indexsystems? Wir tippen auf letztere Absichten!
Ablehnung
Der OGBL lehnt einen entarteten Index kategorisch ab. Für Haushalte ist der Energiekonsum keine Willensfrage, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Je nach Geldbeutel, je nach geografischer Lebens- und Arbeitssituation, je nach Wohnsituation u.a.m. sind die energetischen Einsparungspotenziale und die Möglichkeit des öffentlichen Transports begrenzt. Bisweilen sogar äußerst begrenzt.
Jede Schulmeisterei, die der Bevölkerung unterstellt, nicht „nachhaltig“ leben zu wollen, ist völlig fehl am Platz und kontraproduktiv. Wer das klimapolitische notwendige Einsparen von Energie oder die Erhöhung der Energieeffizienz von der sozialen Frage und der Zunahme sozialer Ungleichheit loslöst, untergräbt den gesellschaftlichen Aufbruch für die Sicherung der natürlichen Ressourcen und für den Klimaschutz. Der OGBL steht für den massiven Ausbau des öffentlichen Transports. Er fordert für den Wohnbereich dringend eine staatliche Subventions- und Unterstützungspolitik, die sozial ausgerichtet ist, damit auch schwächere Haushalte ihr Bedürfnis für Energieeinsparung und -effizienz umsetzen können. Er fordert eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens inklusive einer stärkeren Förderung einer präventiven Gesundheitspolitik. Was er aber kategorisch ablehnt, ist ein Greenwashing und ein Healthwashing unseres Indexsystems.
Wenn sich also der Direktor der Handelskammer ein grünes Mäntelchen anziehen will bzw. sich Sorgen über die Gesundheit der Bevölkerung macht, schlagen wir ihm vor, dass er der Politik nahelegt, die Besteuerung der Dividenden der Aktionäre jener Betriebe, die keine nachhaltigen, ressourcensparenden und gesundheitsschädlichen Waren und Dienstleistungen produzieren, empfindlich zu erhöhen.
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