In der Krise um die Ukraine dürfte es noch einiges an Zeit dauern, bevor sich die von der Kreml-Führung provozierten Spannungen zwischen Russland einerseits sowie den USA, der NATO und der EU andererseits wieder lösen dürften. Es sei denn, es kommt zur vom Westen befürchteten Wende und Moskau setzt die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angedrohten „militärisch-technischen Maßnahmen“ um, die, so die Erwartungen diesseits der Konfliktlinie, in einem mehr oder weniger ausgedehnten Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bestehen würden. Das würde zwar die bisherigen Beteuerungen aus Moskau, dass keine Invasion auf das Gebiet der Nachbarn geplant sei, Lügen strafen. Das wäre dann jedoch das geringste Problem.
Während allseits über Putins nächste Handlungsschritte spekuliert und darüber sinniert wird, mit welchem Geschick dieser die Schwächen des Westens ausnutzt, kommt es zunehmend zu Gegenreaktionen, die den eigentlichen Zielen und Absichten des Kreml-Herrn zuwiderlaufen. So wird seit Wochen in den beiden neutralen EU-Ländern Schweden und Finnland wieder verstärkt über eine eventuelle NATO-Mitgliedschaft diskutiert. Da wird sich kurz- bis mittelfristig zwar nichts ändern. Doch allein die Finnen, mit ihrer langen Grenze zu Russland, könnten mit einem Beitritt zum transatlantischen Bündnis Putins Problem mit einer zu nahen Präsenz der NATO verschärfen, das er nun eigentlich beheben wollte.
Kontraproduktiv dürfte sich die gegenwärtige Situation auch auf die Truppenpräsenz der NATO in den östlichen Mitgliedstaaten auswirken. Das russische Außenministerium forderte gestern beispielsweise explizit den Rückzug dieser Truppen aus Rumänien und Bulgarien. Bukarest hingegen ist nun bereit, das Angebot des US-Präsidenten Joe Biden anzunehmen, die NATO-Präsenz im Land auszubauen.
Wie aber wird sich die Krise auf die Europäische Union auswirken? Immerhin bekommen die EU-Europäer zurzeit ihre Zweitrangigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten deutlich vor Augen geführt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht aus den Reihen der Europapolitiker darüber geklagt wird, dass niemand aus Brüssel mit am Verhandlungstisch sitzt und über unsere Köpfe hinweg über die Sicherheit Europas diskutiert wird. Die 27 sind noch ein gutes Stück weit von jener Weltpolitikfähigkeit entfernt, die sich viele wünschen und der wirtschaftlichen Macht der Union auch entsprechen würde.
Ein gewichtiges Hindernis auf dem Weg dahin ist die Abschaffung der Einstimmigkeit im Rat der EU-Außenminister. Seit Jahren wird darüber geredet, passiert ist bekanntlich nichts. Weshalb sich die EU-Staaten schwertun, in solch entscheidenden Situationen wie diesen ihre Interessen in die Waagschale zu werfen. Was nun dazu führt, dass sie immer nur im Nachhinein von US-Außenminister Antony Blinken das von den Gesprächen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zu hören bekommen, was er den europäischen Partnern sagen will.
Doch die EU hat es bislang immer wieder verstanden, sich insbesondere in Krisenzeiten weiterzuentwickeln und den Integrationsprozess voranzutreiben. Vielleicht wird der von Wladimir Putin heraufbeschworene Konflikt um die Ukraine von den EU-Mitgliedstaaten zum Anlass genommen, die Union zumindest außenpolitisch besser aufzustellen. Der russische Präsident hätte damit ein weiteres Mal dazu beigetragen, das Gegenteil von dem zu bewirken, was er eigentlich will.
Ob der Vladimir die EU-Politiker aus dem Tiefschlaf erwachen tut?Schön wär's!