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Roman „Great Circle“Vom Südpol nach Hollywood: Mit Maggie Shipstead um die Welt

Roman „Great Circle“ / Vom Südpol nach Hollywood: Mit Maggie Shipstead um die Welt
In der Protagonistin finden sich Elemente von berühmten Abenteurerinnen wie Amelia Earhart (hier in einem Cockpit fotografiert) wieder Foto: Zuma Press/dpa

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„Great Circle“ erzählt von einer verschollenen Flugpionierin und ihrer Hollywood-Darstellerin, die die Wahrheit über sie herausfindet. Der Roman bietet intelligente Unterhaltung ohne Wenn und Aber.

Wer von der angelsächsischen Erzähltradition spricht, meint wohl Bücher wie dieses: dramaturgisch perfekt durchkomponierte Abenteuergeschichten vor historischem Hintergrund, sorgfältig recherchiert, süffig erzählt, mit plastischen Charakteren und epischen Landschaften. In ihrem dritten Roman, der ihr eine Nominierung für den Booker Prize eingebracht hat, spannt die Amerikanerin Maggie Shipstead einen Bogen von der Pionierzeit der motorisierten Luftfahrt bis zum modernen Hollywood. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen: die Pilotin Marian Graves, die 1950 beim Versuch, die Erde in Richtung Nord-Süd zu umrunden, spurlos verschwindet, und die Schauspielerin Hadley Baxter, ein Ex-Teenie-Star, der Graves auf der Leinwand verkörpert und damit ins seriöse Fach hinüberwechseln will. Shipstead erzählt ihre Geschichten parallel, wobei die Kapitel über Marian in der dritten Person erzählt sind und Hadley über ihr Leben aus der Ich-Perspektive berichtet.

Der Unterschied ist bedeutsam, denn die Vergangenheit wird mit einer gewissen Objektivität und Allwissenheit geschildert, während in der Gegenwart eine Vielzahl an Perspektiven auf Marian Graves aufeinandertreffen, die Hadley gegeneinander abwägen muss. Allen voran geht es um den Gegensatz zwischen der Kinoversion von Graves’ Lebenslauf, die nicht nur „for dramatic purposes“ kondensiert und zugespitzt ist, sondern auch heteronormativ zurechtgebogen oder zumindest fehl verstanden, und der wahren Geschichte der Pilotin, die die Leserinnen und Leser zeitgleich mit der Schauspielerin entdecken. Der spürbare Seitenhieb auf Hollywood wirkt überholt, gilt die Traumfabrik doch mittlerweile als eher aufgeschlossen für queere Themen. Der narrativen Struktur des Romans verleiht das Detektivspiel jedoch den nötigen Spannungsbogen; bis zuletzt warten große Überraschungen in „Great Circle“.

Alkoholschmuggel und Kriegslogistik

Aber der Reihe nach: Die Autorin lässt ihre Heldin, in der sich Elemente von Amelia Earhart und anderen frühen Fliegerinnen verdichten, gemeinsam mit ihrem Bruder Jamie bei ihrem Onkel, einem versoffenen Maler, in Montana aufwachsen, nachdem sie nur knapp einem Schiffsunglück entkommen sind. Nach dem Besuch eines Flugakrobatenduos will die junge Marian nur noch eines: fliegen. Dafür braucht sie Geld, das sich im Amerika der Prohibition am besten als Schmugglerin verdienen lässt. Als Junge verkleidet liefert Marian Schnapsflaschen aus und findet in Barclay Macqueen, dem größten Bootlegger der Gegend, einen Gönner, der ihr Flugstunden spendiert, damit sie später Alkohol über die kanadische Grenze fliegen kann.

Barclay ist eine beherrschende Figur in der ersten Romanhälfte, von der sich Marian ebenso abgestoßen wie angezogen fühlt. Sie flüchtet sich zuerst in eine Beziehung zu ihrem Kindheitsfreund, dem Naturburschen Caleb, um schließlich doch Macqueen zu heiraten, der ihr prompt das Fliegen verbietet. Marian flieht und schlägt sich als Buschpilotin in Alaska durch, während Jamie, dessen Weg „Great Circle“ ebenfalls verfolgt, zum Künstler wird. Dank seiner von Flugzeugaussichten inspirierten, perspektivisch gekrümmten Bilder wird er zum gefragten Maler und arbeitet im Zweiten Weltkrieg schließlich im Auftrag der Regierung als „official war artist“. Und auch Marian verschlägt es (bis fast) an die Front. Als Frau darf sie die Kampfflugzeuge zwar nur von der Fabrik zum Flughafen fliegen, dafür lernt sie eine andere Pilotin, Ruth, kennen und lieben, mit deren schwulen Ehemann, dem Navigator Eddie, sie später ihr letztes großes Projekt in Angriff nimmt: einen Längenkreis abfliegen, von Neuseeland zum Nordpol und über den Südpol wieder zurück – im Grunde eine Beschäftigungstherapie, die die Wirren und Verluste des Kriegs vergessen machen soll.

Zwischen Epos und Satire

Während wir uns in den Marian-Kapiteln durch ein filmreifes historisches Epos bewegen, das ein feminismusaffiner Spielberg, Scorsese oder Nolan nicht besser hinkriegen würden, sind die Hadley-Kapitel zu Beginn die reinste Hollywood-Satire. Ihre Protagonistin ist nach einer Affäre mit einem Co-Star in Ungnade gefallen und bei der Produktion des neuen Archangel-Teils rausgeflogen, der Blockbuster-Adaption einer Serie von Fantasyromanen (Twilight lässt grüßen). Nun liegt Hadley die meiste Zeit an ihrem Pool in Beverly Hills herum, bis ihr Nachbar – natürlich auch in der Filmbranche – ihr das Drehbuch zum Marian-Graves-Biopic vorbeibringt. Die Rolle könnte Comeback und Neuanfang als Charakterdarstellerin zugleich bedeuten, doch gilt es auch herauszubekommen, wer die verschollene Fliegerin wirklich war.

„Great Circle“ ist ein aalglatter Roman, ein Pageturner, der wenig fordert, aber handwerklich so gut gemacht ist, dass man ihm das kaum vorwerfen mag. Maggie Shipstead versucht sich weder am Great American Novel noch an innovativem Erzählen, sondern widmet sich ganz der guten Geschichte – über Menschen, die bislang nicht so oft in der Heldenrolle zu erleben waren. Das soll auch mal reichen.

Das Buch

Maggie Shipstead: Great Circle. A novel. Alfred A. Knopf, New York, 2021. 208 Seiten. $28,95.