Selbstständig oder angestellt? Bisher hatten die Fahrer von Uber, die Lieferanten von Deliveroo und andere Plattform-Arbeiter keine Wahl: Sie waren scheinselbstständig und weitgehend rechtlos, die Auftraggeber konnten die Bedingungen diktieren. Die EU-Kommission will damit Schluss machen. Die Behörde legte am Donnerstag in Brüssel einen Entwurf vor, der die Scheinselbstständigkeit stoppen soll.
Damit macht sie ein großes Fass auf: In Europa bieten nach EU-Schätzungen rund 28 Millionen Menschen ihre Arbeitskraft über digitale Plattformen an. In der Corona-Krise erlebten die Fahr- und Lieferdienste einen regelrechten Boom. Damit hätten sich die Probleme in diesem weitgehend unregulierten Sektor des digitalen Kapitalismus verschärft, meint EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit.
Der Luxemburger will nun bis zu 5,5 Millionen Plattform-Arbeiter zu Angestellten machen. Sie erhalten damit Anspruch auf den Mindestlohn, geregelte Arbeitszeiten und bezahlten Urlaub. Auch Arbeitslosenhilfe und Rente sollen an die neuen „Plattform-Angestellten“ gezahlt werden. Sie sollen sich sogar gewerkschaftlich organisieren dürfen. Allerdings müssen einige Bedingungen eingehalten werden.
Die EU-Kommission schlägt in ihrem Richtlinien-Entwurf fünf Kontrollkriterien vor. Wenn davon zwei erfüllt sind, soll ein Anspruch auf Anstellung entstehen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Lieferdienste feste Arbeitszeiten vorgeben, eine Dienstuniform vorschreiben oder es ihren Mitarbeitern verwehren, auch noch für andere Firmen tätig zu sein.
Es stehe nicht im Belieben der Plattformen, sich die „passenden“ Kriterien auszusuchen, sagte der ehemalige luxemburgische Arbeitsminister Schmit bei der Vorstellung des Entwurfs. Es gehe um die effektive Kontrolle, die die Firmen über ihre Mitarbeiter ausüben. Die EU-Kommission wolle für Ordnung sorgen, habe jedoch nicht die Absicht, das Geschäftsmodell der Lieferdienste zu zerstören, betonte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.
Doch genau das fürchten die Unternehmen. Der Vorschlag sei politisch motiviert und werde den digitalen Dienstleistungen im Binnenmarkt schaden, erklärte Markus J. Beyrer vom Interessenverband BusinessEurope. Die Kommission gehe von falschen Annahmen aus – viele Plattform-Arbeiter wollten gar nicht festangestellt sein, sondern zögen es vor, selbstständig zu arbeiten.
Zustimmung kommt dagegen von den Gewerkschaften. Der Vorschlag schütze die Rechte der Plattformarbeiter und sei überfällig, erklärte Ludovic Voet vom Europäischen Gewerkschaftsbund. Die digitalen Anbieter hätten viel zu lange von einem „Freifahrtschein“ profitiert. Sie sollten sich nun endlich mit den Gewerkschaften an einen Tisch setzen.
Zustimmung signalisiert auch der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. „Plattformarbeiter, die gerade während der Covid-19-Pandemie in Europa eine so wichtige Rolle eingenommen haben, verdienen endlich anständige Arbeitsbedingungen und ausreichenden Sozialschutz, um für sich und ihre Familien sorgen zu können.“ Der Vorschlag werde das soziale Europa voranbringen.
Zu Demaart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können