Zwar scheint die auf der COP26 produzierte Abschlussvereinbarung schwach, wenn man bedenkt, dass das Ziel, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten, jetzt kaum noch erreichbar ist. Statt von einem „schrittweisen Ausstieg aus der Kohle“ (Phase-out) ist nun von einem „schrittweisen Abbau“ (Phase-down) die Rede – eine entscheidende Änderung, die auf Beharren Indiens (und mit Chinas Einverständnis) eingefügt wurde. Während „ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger“ weiterhin „abgeschafft“ werden sollen, wird damit impliziert, dass „effiziente“ Subventionen für derartige Energieträger eine Option bleiben.
Doch erinnern wir uns: Reden ist billig. Angesichts von Indiens starker Abhängigkeit von der Kohle ist es womöglich besser, dass es sich zum Ziel gemacht hat, seine Emissionen bis 2070 auf netto null zu reduzieren, statt eine Zusage für die „Mitte des Jahrhunderts“ abzugeben, die einzuhalten es nicht die Absicht hat.
Allgemeiner gesagt gibt es zwei wichtige Hindernisse dafür, die erklärten Klimaziele der Welt zu erreichen. Das erste ist geopolitischer Art; ein Beispiel dafür ist Russlands Nutzung des Erdgases als strategisches Instrument, um in Europa Uneinigkeit zwischen jenen zu schaffen, die die Kernkraft als Übergangstechnologie einsetzen (Frankreich), und jenen, die Erdgas nutzen (Deutschland). Sogar noch wichtiger sind bedeutende Rivalitäten wie die zwischen den USA und China. Hier gibt es eine gute Nachricht: Die COP26 scheint die beiden weltgrößten Verschmutzer zu der Erklärung bewegt zu haben, dass sie zur Bekämpfung des Klimawandels zusammenarbeiten werden. (Ob dies mehr als bloß „bla, bla, bla“ ist, werden wir wissen, falls und wenn die bilateralen militärischen Spannungen steigen.)
Wer zahlt die Rechnung?
Das zweite große Hindernis ist Uneinigkeit darüber, wie man die weniger entwickelten Länder dafür entschädigen soll, dass sie auf CO2-intensive Technologien verzichten oder diese aufgeben. Die Frage ist nicht nur, wer dabei die Rechnung zahlt, sondern auch, wie die Gelder vergeben werden sollten. Die Geschichte der Entwicklungshilfe ist nicht besonders ermutigend. Und obwohl inzwischen feststeht, dass ein weltweiter CO2-Preis erforderlich ist, um der negativen Externalität zu begegnen, die die Treibhausgas-Emissionen repräsentieren, ist die Umsetzung eines derartigen Systems schwierig. Die CO2-Märkte sind nach wie vor weitgehend unterentwickelt.
Die von fast 200 Ländern auf der COP26 verabschiedete Vereinbarung erlaubt es Ländern, ihre Klimaziele zu erreichen, indem sie Ausgleichsgutschriften kaufen, die die von anderen erzielten Emissionssenkungen repräsentieren. Dieses System wird mehr Klarheit schaffen, aber es lässt sich leicht manipulieren. Schlimmer noch: Es gestattet es Ländern, die seit 2013 registrierten, im Rahmen des Kioto-Protokolls geschaffenen CO2-Gutschriften vorzutragen. Dies bereitet potenziell einer Überschwemmung des Emissionsmarktes und einem künstlich niedrigen CO2-Preis den Boden.
Die COP26-Vereinbarung ermutigt zudem die öffentlichen und privaten Sektoren, mehr Geld für den Klimaschutz zu mobilisieren und Innovationen in umweltfreundliche Technologien zu fördern. Ein vielversprechendes Modell ist dabei die Operation Warp Speed, die öffentlich-private Partnerschaft in den USA, die die äußerst rasche Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen möglich gemacht hat.
Neue Finanz-Initiativen
Die Rolle des Finanzsektors wird bei der Umschichtung von Ressourcen von schmutzigen hin zu umweltfreundlichen Technologien entscheidend sein. Vermögensverwalter und Finanzmittler mögen aus reinem Selbstinteresse handeln, wenn sie sich von schmutzigen Kapitalanlagen trennen, die sie inzwischen als zu riskant betrachten – sei es aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels oder der Umstellungen, die sie obsolet machen werden. Alternativ veräußern sie diese Anlagen womöglich auf Weisung anderer, die umweltfreundlichere Investments bevorzugen oder einen längeren Zeithorizont haben, innerhalb dessen sie Klimaprobleme internalisieren. Universelle Eigentümer wie etwa große Rentenfonds beispielsweise sind sich zunehmend der vom Klimawandel ausgehenden systemischen Risiken bewusst.
So oder so ist der Finanzsektor nun dabei, koordiniert auf eine engere Abstimmung mit der globalen Klima-Agenda hinzuarbeiten. Dies zeigt sich etwa an neuen Initiativen wie der Glasgow Financial Alliance for Net Zero, deren Vorsitzender der frühere britische Notenbankchef Mark Carney ist. Es wird immer deutlicher, dass die von den Finanzmittlern unterstützen freiwilligen Mandate für eine nachhaltige Finanzwirtschaft erheblich stringenter sein müssen als sie das heute sind.
Der Umweltaktivismus von Aktionären mag eine stärkere Offenlegung bestehender Klimarisiken oder sogar direkte Veräußerungen erzwingen, doch wird es vermutlich einer obligatorischen Offenlegung im Rahmen eines klaren Regelwerks bedürfen, um „Greenwashing“ im Zaum zu halten. Das neue International Sustainability Standards Board ist diesbezüglich eine begrüßenswerte Entwicklung.
Klima-Stresstests
Und schließlich haben auch die Finanzregulierung und die Notenbankpolitik bei der Förderung einer grünen Wirtschaft wichtige Rollen zu spielen. Die Notenbanken haben, insbesondere seit der Finanzkrise von 2007 bis 2009, ein Mandat, Finanzstabilität sicherzustellen, und da der Klimawandel ein systemisches Risiko darstellt, müssen sie ihn in ihre prudentiellen Regelwerke einbeziehen. Sie müssen zudem ein transparenteres Offenlegungsumfeld fördern, damit Klimarisiken angemessen eingepreist werden – obwohl das leichter gesagt ist als getan. Viele Notenbanken führen bereits Klima-Stresstests durch und entwickeln zukunftsorientierte Übergangsszenarien.
Kontroverser sind die Fragen, ob und in welchem Umfang die Notenbanken bei ihren Aktienkaufprogrammen umweltfreundliche Anlegewerte begünstigen (oder schmutzige bestrafen) sollten und in welchem Umfang Eigenkapitalanforderungen an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden sollten. Sollten schmutzige Kredite einen Kapitalaufschlag aufweisen, der über Risikogesichtspunkte hinausgeht – oder sollten bei umweltfreundlichen Krediten ein Nachlass gewährt werden? Derartige Bestimmungen würden in einer Welt, in der CO2 angemessen bepreist wird, keinen Sinn ergeben, doch von diesem Szenario sind wir noch weit entfernt.
Die Klimaziele der internationalen Gemeinschaft bleiben äußerst ehrgeizig, insbesondere für eine durch die Rivalität der Großmächte charakterisierte Welt. Es ist selten, dass Parteien mit unterschiedlichen Interessen als Team zusammenarbeiten. Kompromisse sind nötig, und „billiges Gerede“ ist der erste Schritt in Richtung der Vereinbarung zu gemeinsamem Handeln.
* Xavier Vives ist Professor für Volks- und Finanzwirtschaft an der IESE Business School und Mitverfasser (zusammen mit Patrick Bolton, Harrison Hong und Marcin Kacperczyk) des Berichts „Resilience of the Financial System to Natural Disasters“ (Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems gegenüber Naturkatastrophen).
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org
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