Als ihr Vater plötzlich stirbt, bricht für Chimamanda Ngozi Adichie eine Welt zusammen. Zwar war der Verstorbene 88 Jahre alt, aber das Alter spielt keine Rolle, wenn man als Überlebende nicht vorbereitet ist. Noch kurz vorher hatte die Familie ihr regelmäßiges Zoom-Meeting abgehalten, weil einige Mitglieder in den USA leben, andere in Nigeria. Nun würde es nie wieder so sein.
Das Buch „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“ ist eine kurze Meditation über den Verlust eines geliebten Menschen, ein Versuch, zu verstehen, was Trauer mit einem macht. Adichie beschreibt, wie ihr die Sprache versagt, wie sie Beileidsbekundungen nur als hohle Floskeln wahrnehmen kann, wie alle möglichen Dinge sie zum Weinen bringen, weil sie sie an den Vater erinnern, wie Wut in ihr auflebt und sich als Teil von Trauer zeigt.
Während Corona ausbricht, die Flughäfen in Nigeria geschlossen werden, muss die Beerdigung verschoben werden. Wartend schaut die Autorin sich alte Bilder an, Videos und entwirft im Internet T-Shirts mit dem Spruch „Ich bin die Tochter meines Vaters“ drauf. Design als Therapie. Am schwersten ist für sie zu begreifen, dass die Welt sich einfach weiterdreht, als sei nichts passiert. Nach dem Tod gilt es, die Beerdigung vorzubereiten. Als Angehörige der Ethnie der Igbo weiß sie um das Gebot des schnellen Übergangs vom Schmerz zur Planung. Einzelne Gruppen im Dorf müssen bezahlt werden, damit die Bestattung freigegeben wird. Aber die Autorin hadert mit dieser Philosophie. Sie bräuchte Zeit, die die Kultur ihr nicht lässt. Dabei hatte sie die letzten Jahre immer gedacht, sie und ihr Vater hätten noch viel Zeit.
Sie wollte Geschichten von ihm aufnehmen, Erzählungen über die Familie. Wenn sie zu Besuch war, hatte sie oft gesagt: „Nächstes Mal zeichnen wir das auf.“ Und nun gab es kein nächstes Mal mehr. Auszuhalten ist das nur, wenn man versucht, der plötzlichen Leere einen Sinn zu geben. Aber was für einen? Sinnlos, wenn nicht gar übergriffig erscheint ihr hingegen das Vorgehen derjenigen zu sein, die einen trösten wollen. Menschen, die ihr raten, den Tod zu akzeptieren oder sich an schöne Momente mit dem Vater zu erinnern, möchte sie sagen, dass die Trauer ihr allein gehört, dass es ihr Kampf ist, in den sich niemand einzumischen hat. Denn Trauer ist etwas sehr Individuelles und damit von Mensch zu Mensch so verschieden, dass Außenstehende keinen Zugang finden können. Sie ist eine Tyrannei, der man nicht entfliehen kann und auch nicht will, weil sie das Letzte ist, das uns mit aller Kraft an den Verstorbenen bindet.
(GuH)
Chimamanda Ngozi Adichie: Trauer ist das Glück, geliebt zu haben.
S. Fischer Verlag 2021.
80 S. 16 €
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