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Lust zu lesenJohannisangst: „Schaumschwimmerin“ von Andreas H. Drescher ist ein literarisches Archiv

Lust zu lesen / Johannisangst: „Schaumschwimmerin“ von Andreas H. Drescher ist ein literarisches Archiv
Andreas H. Drescher  Foto: Martin Hoffmann

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Großvater Albert ist gerade gestorben. Und nun beginnt seine Frau, Großmutter Greta, ihrem Enkel von ihrem Leben zu erzählen. Dabei geht es um die beiden Weltkriege, aber auch um das Dorfleben, um die Trunksucht der Männer, darum, wie man sich durchgebissen hat. Guy Helminger hat mit in der Stube gesessen und zugehört.

Nein, es war kein einfaches Leben, das Greta bis zum Tode ihres Mannes hatte, aber sie klagt nicht. Ihre kurzen Skizzen, kleinen Geschichten, ja, Anekdoten, so grausam hart sie auch sein mögen, fallen ihr wie Fundstücke aus dem Gedächtnis zu und sie zeigt sie her, wie Teile, die zwar zu ihr gehören, aber dennoch aus einer Vergangenheit kommen, die ihr wiederum kaum noch erreichbar scheint. Drescher trifft mit diesen Passagen, geschrieben in direkter Rede, genau den richtigen Ton zwischen dem Erstaunen, was der Mensch alles erleben kann, und der Distanziertheit, bedingt durch die vielen Jahre, die seitdem an Greta vorbeigezogen sind. Gerade dieser unaufgeregte Ton vermittelt nicht nur die Authentizität des Erzählten, sondern berührt beim Lesen. Dreschers Stil hat etwas Behutsames, ist wohldurchdacht und von einer einnehmenden Plastizität, egal ob er durch die Figur des Enkels Trauerrituale beschreibt, über den Boden der Konvention reflektiert, auf dem diese stehen, oder ob er die Großmutter von den patriarchalischen Strukturen bei den Bauersleut berichten lässt. So entsteht das Bild einer Großfamilie, ein Mosaik aus Gedächtnisfetzen, ein Puzzle, gefärbt von der Subjektivität derjenigen, die sich erinnert.

„Schaumschwimmerin“ ist ein literarisches Archiv, in dem auch der omnipräsente Aberglaube früherer Tage seinen Platz hat. Und das ist großartig. Denn wer wüsste noch, dass mit Weiwasser gelöschte Eschenscheite, die man in ein Leinentuch wickelt, nicht nur gegen Blitze helfen, sondern auch ein Jahr lang den Tod vom Hause fernhalten, wenn denn das jüngste Kind es mit einem bestimmten Satz bespricht. Auch die Angst der Kleinen vor der Nacht hat einen Namen: „Johannisangst“. Und die kann man bezwingen, wenn man eine Eichenmistel unters Bett des Kindes legt. Die Brunnen sind von Zwergen bewohnt und wenn die jemandem zum Lohn einen Karren voll Asche geben, sollte man darüber eine Plane spannen, damit der Haufen nicht verweht wird, denn es könnte sein, dass aus der Asche anderntags Gold geworden ist. Sogar die Verstorbenen sitzen immer mal wieder mit am Tisch, dass einen schaudert. An einer Stelle des Romans heißt es: „Der Mensch: das Tier, das magisch denkt.“

Während Greta erzählt, gleicht der zuhörende Enkel manche Geschichte mit dem ab, was er zu kennen glaubte, bemerkt die sich widersprechenden Versionen des Großvaters und der Großmutter. Die Welt wird nun einmal unterschiedlich interpretiert. Die Männer hatten lange das Sagen, aber wenn sie sterben, dann reden die Frauen.

Andreas H. Drescher: Schaumschwimmerin

Roman
Edition Abel 2021
212 S., 19,90 €