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 Foto: AFP/Martin Bernetti

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Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 in weniger als einem Jahr war ohne Zweifel eine enorme Leistung. Deren Verteilung verlief bisher aber alles andere als perfekt. In den Vereinigten Staaten konnte die Operation Warp Speed die Zielvorgaben für die Produktion zwar erfüllen, verstolperte aber die Koordination der ersten Lieferungen. Der Plan legte weder eine am Bedarf orientierte Impfreihenfolge fest, noch ging er ausreichend gegen die Benachteiligung ethnischer Minderheiten bei der Impfung vor.

Es zeigt sich deutlich, dass die Entwicklung sicherer und wirksamer Impfstoffe etwas anderes ist als die Schaffung eines gerechten Impfprogramms. Staatliche missionsorientiere Innovationsstellen, insbesondere die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) und die Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA), haben entscheidende Mittel für die Grundlagenforschung zu hochmodernen mRNA-Impfstoffen bereitgestellt. Aber gibt es einen Zusammenhang zwischen der technischen Mission von Warp Speed und der Gesundheitsmission zur Bereitstellung eines „Impfstoffs für alle“?

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden muss diese Unterscheidung im Blick behalten, wenn sie nach vier Jahren, in denen Donald Trump die Wissenschaft ignoriert und aus seiner Verachtung für Wissenschaftler keinen Hehl gemacht hat, das Land „besser denn je wieder aufbauen“ und Förderprogramme für Wissenschaft und Technologie wiederbeleben will. Die Impfkampagnen in den USA – und noch mehr die in Europa – zeigen, dass bei öffentlich-privaten Partnerschaften eine allgemein gehaltene ehrgeizige Zielvorgabe nicht ausreicht, sondern dass auch die Details stimmen müssen.

In meinem neuen Buch „Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ erkläre ich, warum wir von dem Programm, mit dem die NASA Menschen auf den Mond gebracht hat, auch heute noch lernen können, mit welchen Katalysatoren und Führungsstrukturen öffentlich-private Projekte zum Erfolg gebracht werden. Mit Steuergeldern, die heute rund 283 Milliarden US-Dollar entsprechen würden, hat das Apollo-Programm in Luftfahrt, Ernährungstechnologie, Elektronik, Software und vielen weiteren Bereichen Innovationen angeregt und gleichzeitig die Kompetenz der öffentlichen Hand gestärkt.

Nicht komplett auf Privatwirtschaft verlassen

Die NASA zahlte Unternehmen wie General Motors, Pratt & Whitney (damals noch „United Aircraft“) und Honeywell Millionen von Dollar für die Erfindung neuer Brennstoffe oder Antriebs- und Stabilisierungssysteme für die legendäre Saturn-V-Rakete. Aus diesen staatlich geförderten Technologien entstanden später zahllose Folgeprodukte, die wir noch heute nutzen, z.B. Babynahrung (aus der Trockennahrung der Astronauten) und Akkustaubsauger (aus den Maschinen, mit denen Bodenproben unter der Mondoberfläche genommen wurden). Die integrierten Schaltkreise, die in der Navigation eingesetzt wurden, legten den Grundstein für die moderne Computertechnik.

Und ganz wichtig: Die NASA sorgte dafür, dass die Regierung auch etwas für ihr Geld bekam. Sie schloss mit den Unternehmen Festpreisverträge, die sie zwangen, effizient zu arbeiten, bot aber gleichzeitig Anreize für ständige Qualitätsverbesserungen. Und die „Kein-Übergewinn-Klauseln“ in den Verträgen sorgten mit dafür, dass der Wettlauf ins All nicht von Gier oder Spekulation, sondern von wissenschaftlicher Neugier angetrieben wurde.

Ebenso wichtig war, dass die NASA sich nicht komplett auf die Privatwirtschaft verlassen hat. Hätte die Weltraumagentur ihre leitende Rolle ausgelagert, wäre sie für etwas anfällig geworden, was der damalige Leiter der Beschaffungsabteilung „Brochuremanship“ nannte: Der Partner aus der Privatwirtschaft bestimmt, was das „Beste“ ist. Weil die NASA auch intern Know-how aufgebaut hatte, kannte sie die Technologien aber ebenso gut wie ihre Auftragnehmer und war für die Verhandlung und Verwaltung ihrer Verträge gut gerüstet.

Wenn Joe Bidens Regierung die Kompetenz des öffentlichen Sektors stärkt und die Zwecke öffentlich-privater Allianzen klar definiert, könnte sie nicht nur das Wachstum ankurbeln, sondern auch die größten Probleme unserer Zeit angehen, zu denen Ungleichheit und schwache Gesundheitssysteme, aber auch die globale Erwärmung gehören.

Komplexer als die Mondlandung

Diese Probleme sind viel komplexer und vielschichtiger als die Mondlandung. Das Gebot der Stunde ist jedoch dasselbe: die effiziente strategische Kontrolle des Raums, indem öffentliche Mittel und Privatwirtschaft aufeinander treffen. Beispielsweise behaupten die großen Pharmafirmen, dass der Staat Arzneimittel bloß konsumiert, obwohl die Wirkstoffe meist in der staatlich geförderten Forschung entdeckt werden.

Nehmen wir die 40 Milliarden US-Dollar, die die US-Regierung jedes Jahr in die Nationalen Gesundheitsinstitute (NHI) investiert. Die NHI (und das US-Kriegsveteranenministerium) haben den Wirkstoff Sofosbuvir, mit dem Hepatitis C behandelt wird, zehn Jahre lang in von den Steuerzahlern finanzierter Forschungsarbeit entwickelt. Dann hat der Biotech-Konzern Gilead Sciences den Wirkstoff gekauft und verlangt nun 84.000 US-Dollar für eine zwölfwöchige Behandlung. Auch einer der ersten antiviralen Wirkstoffe gegen Covid-19, Remdesivir, erhielt zwischen 2002 und 2020 öffentliche Fördermittel in geschätzter Höhe von 70,5 Millionen US-Dollar. Jetzt berechnet Gilead 3.120 US-Dollar für eine 5-Tages-Dosis.

Das spricht nicht für eine symbiotische Beziehung, sondern für eine parasitäre. 1995 hatten die NHI Klauseln, die eine faire Preisgestaltung vorschreiben, aus ihren Kooperationsverträgen für Forschung und Entwicklung gestrichen und damit ihre eigene Macht untergraben. Jetzt müssen sie diesen Trend umkehren und faire Preise und Zugang zu den von ihnen finanzierten Innovationen durchsetzen. Die Innovationen missionsorientierter Agenturen wie der DARPA, BARDA und der geplanten neuen Advanced Research Projects Agency-Health (ARPA-H), die sich ausschließlich Gesundheitsthemen widmet, müssen mit Auflagen verknüpft werden.

Wissen und Know-how weitergeben

In der aktuellen Pandemie haben die Regierungen vieler Länder insgesamt 8,5 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung der Impfstoffe gepumpt, die jetzt von US-Firmen wie Johnson & Johnson, Pfizer, Novavax und Moderna hergestellt und verkauft werden. Nun ist die Frage, ob das Wissen und Know-how hinter den Impfstoffen an so viele Länder wie möglich weitergegeben wird, um die Pandemie zu beenden. Beteiligen sich die NHI an dem freiwilligen Technologie-Pool, den die Weltgesundheitsorganisation genau zu diesem Zweck geschaffen hat?

Bidens Versprechen, das Land nach der Pandemie „besser als vorher wieder aufzubauen“, bedeutet mehr als die Rückkehr zur Normalität. Für eine bessere Wirtschaft brauchen wir nicht nur eine andere Sichtweise, sondern einen neuen Gesellschaftsvertrag, der Wertschöpfung über Gewinnmaximierung stellt, Risiken und Erträge sozialisiert und nicht nur in einzelne Unternehmen oder Branchen investiert, sondern in das Gemeinwohl.

Zwar sind Unternehmen, die staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, bereits nach dem aktuellen Corona-Hilfegesetz der US-Regierung verpflichtet, Arbeitsplätze zu erhalten; der neue 1,9 Billionen US-Dollar schwere Amerikanische Rettungsplan und der noch nicht verabschiedete Amerikanische Beschäftigungsplan in Höhe von 2 Billionen US-Dollar müssen aber noch weiter gehen. Sie müssen sicherstellen, dass die Investitionen der öffentlichen Hand zu einem Wandel in der Beziehung zwischen Staat und Privatwirtschaft führen.

Hier kann Amerika von Europa lernen. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron dafür gesorgt, dass die Rettungsgelder für Fluggesellschaften und Autobauer mit der Auflage verknüpft sind, CO2-Emissionen zu senken. Und in Österreich und Dänemark dürfen Firmen, die Aufbauhilfen in Anspruch nehmen, keine Steueroasen nutzen.

Apollo-Mission als Vorbild

Die Regierung Biden muss nun klare politische Vorgaben für die Missionen machen, die nicht nur den Kampf gegen den Klimawandel, sondern die kommenden Jahrzehnte insgesamt prägen werden. Im Jahr 1962 sagte Präsident John F. Kennedy: „Wir haben uns entschlossen, noch in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen – nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist.“ Diese Form der visionären politischen Führung ist heute nicht eine von vielen Optionen, sondern ein Muss.

Die Spitze des Landes muss die Richtung vorgeben und als Katalysator für Innovationen und Investitionen in allen Bereichen der Wirtschaft fungieren. Die Zeit der Apollo-Missionen, die von einer starken Führungsrolle der Regierung, mutigen Verträgen im öffentlichen Interesse und einem dynamischen öffentlichen Sektor geprägt war, ist hier ein wichtiges Vorbild. Wenn wir ihm nicht folgen, bleibt „building back better“ ein bloßer Slogan.

*Mariana Mazzucato ist Professorin für Innovationsökonomie und Public Value sowie Gründungsdirektorin des Institute for Innovation and Public Purpose am University College London. Außerdem leitet sie den Rat „Gesundheit für Alle“ der Weltgesundheitsorganisation. Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“.

Copyright: Project Syndicate, 2021, www.project-syndicate.org

HTK
20. April 2021 - 23.32

Hätten die USA keinen Obertrottel als Präsidenten gehabt als es galt Flagge zu zeigen,dann wären sie schon weiter.Dasselbe könnte man zu unseren Logistik-Genies in Brüssel sagen.
Statt dessen sagen wir: " Zu Risiken und Nebenwirkungen,fragen sie Astra oder Zeneca."