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ForumSo viele Fragen, keine Antworten: Die nationale Politik erschöpft sich in sinnloser Fragerei

Forum / So viele Fragen, keine Antworten: Die nationale Politik erschöpft sich in sinnloser Fragerei
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Politik wirkt immer farbloser in Luxemburg. Gewiss, das Parlament ist jünger geworden. Es gibt erfreulicherweise mehr Frauen im Parlament. Obwohl die Wählerinnen und Wähler bei den letzten Wahlen trotz fast perfekter „Gender“-Gleichheit im Angebot eine Mehrheit an Männern wählten. Viele Frauen kamen erst durch Nachrutschen ins Parlament.

Aber weder die Verjüngung noch die Feminisierung hat das Bild unserer Volksvertreter verschärft: Es fehlt an Abgeordneten mit Profil, mit Ecken und Kanten.

Bei zu vielen Damen und Herren Politiker weiß man nicht so recht, ob sie eine eigene Meinung haben. Alle sind für mehr Gerechtigkeit, mehr Gleichheit, mehr Soziales, mehr Nachhaltigkeit, mehr Umweltschutz, mehr Tierliebe und andere hehre Ziele. Da kaum jemand ausbuchstabiert, was er genau unter diesen plakativen Konzepten versteht, liest sich das „Chamber-Bliedchen“ Grau auf Grau. 50, nein, 60 Nuancen Grau.

Gewiss, es gibt Wortgefechte im Parlament. Sehr zivilisierte. Und wenig überzeugende. Etwa wenn die Opposition der Regierung vorwirft, sie hätte „kein Gesamtkonzept“. Das hat noch jede Opposition jeder Regierung vorgeworfen.

Es fehlen herausragende Persönlichkeiten mit Charakter. Etwa Abgeordnete vom Format eines Georges Margue, eines Jean Wolter, eines Robert Krieps, einer Astrid Lulling, eines René Urbany. Selbst einem Jupp Weber oder einem Robert Garcia wurde zugehört. Mit Alex Bodry und Gast Gybérien schieden vor kurzem zwei der wenigen noch verbleibenden guten Redner aus.

Nicht, dass die neuen Abgeordneten faul seien. Eher das Gegenteil. Sie stellen viel Sitzleder unter Beweis. Es gibt Ausschusssitzungen und Plenartagungen zuhauf. Ohne immer erkennbare Ergebnisse.

Vielfragerei

Die Lieblingsbeschäftigung vieler Abgeordneten scheint das Stellen möglichst vieler schriftlicher Fragen an die Regierung zu sein. Der analytische Bericht quillt über mit Hunderten von gescheiten bis dämlichen Fragen. Wobei sich die Gewichtung zunehmend in die letztere Kategorie verlagert.

Bei der Lektüre der oft ellenlangen Antworten der Minister oder besser der Verwaltung wird schnell klar, dass viele Fragen der Ehrenwerten schon mehrfach gestellt und beantwortet wurden. Nicht die Antwort, die Frage ist das Ziel.

Die eigentliche gesetzgeberische Arbeit ersäuft unter dieser Sintflut an parlamentarischen Fragen. Allein 1.687 schriftliche Fragen fielen an während der jüngsten Legislaturperiode. Dazu 33 erweiterte sowie 190 Dringlichkeitsanfragen. Zusätzlich 75 Fraktionsanfragen an die Regierung. Letztere mit Debatte.

In diesem Meer von oft sich wiederholenden Fragen vermisst man die Initiativen der Gesetzgeber. Nur sehr selten ist zu erkennen, was der Fragesteller eigentlich will? Für welche Politik er einsteht?

Was es der Regierung und ihren Beamten erlaubt, bei der Beantwortung der Fragen die Abgeordneten mit nichtigen Gemeinplätzen abzufertigen. Allein zur Corona-Epidemie stellten die Abgeordneten bis zum Sommer 425 Fragen, 80 Dringlichkeitsanfragen inbegriffen. 425 Fragen, so gut wie keine Vorschläge.

Mal reagierte in den Augen der Fragesteller die Regierung zu langsam, mal zu übereilt. Mal wurde der Regierung Intransparenz und Mangel an Kommunikation vorgeworfen. Mal hieß es, die Minister hielten zu viele Pressekonferenzen. Oder die Regierung habe keine „globale Strategie“, „keine Vision“. Und ähnliche plakative Leerformeln mehr. An konkreten Alternativen ist bloß zu notieren, dass die CSV die Regierung aufforderte, die zu toleranten Schließstunden rigoroser zu gestalten. Was nunmehr geschieht. Handel und Horesca sind begeistert!

Die Regierung arbeitet, aber …

Die Gesetzgebung wird von der Regierung vorgegeben. Von den Abgeordneten unverdrossen abgehakt. Glücklicherweise gibt es den Staatsrat. Der dafür sorgt, dass manch schludrige Gesetzesprojekte zurecht gestutzt werden. Parlamentarische Änderungsanträge sind dagegen selten. Gesetzesinitiativen der Abgeordneten noch seltener. 4 in der Legislaturperiode 2017 bis 2018, 10 zwischen 2018 und 2019, 18 zwischen 2019 und 2020. Gegenüber jeweils 174, 77 oder 159 Gesetzesvorlagen der Regierung. Wobei die Initiativen der Abgeordneten in den seltensten Fällen zu Gesetz werden.

In meinem Artikel „Plädoyer für das Prinzip Optimismus“ (Tageblatt vom 31.10.2020) stellte ich den Ministern ein allgemein gutes Zeugnis aus für die Gestion der Pandemie. Selbst wenn der Gesamteindruck leidet durch den Schatten des Körpers des Kutschers, dem zwar quirligen, aber wenig überzeugenden Xavier Bettel: „Trotz einer eher guten Leistung der verschiedenen Kabinetts-Mitglieder gibt die Dreierkoalition in ihrer Gesamtheit den Eindruck eines steuerlosen Schiffes ab.“

Einige Leser meldeten sich bei mir, zustimmend bis kritisch. Einer meinte, ich sei zu harsch mit dem Premier umgesprungen. Denn: „Immer wenn ich mir Frau Hansen von der CSV anhöre, weiß ich, dass wir gut regiert werden.“

Das ist das Drama der wichtigsten Oppositionspartei. Martine Hansen mag einige Ahnung von Landwirtschaft haben. Doch erweckt sie nicht den Eindruck einer fähigen Allround-Politikerin, die eine Alternative zu Bettel und Co. anführen könnte. Frank Engel, Parteipräsident, ohne nationales oder kommunales Mandat, versucht mit großen Sprüchen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Um von den wenigen CSV-Abgeordneten, die noch ein politisches Gespür haben, den Gilles Roth, Laurent Mosar oder Michel Wolter, in die Wade gebissen zu werden.

Ist es nicht tragisch, wenn die langjährige Regierungspartei der Dreier-Koalition vorwirft, sie hätte keine „Vision“? Gleichzeitig aber mehrere interne Arbeitsgruppen einsetzt, welche die „CSV-Visionen“ erst erstellen sollen? Über so wichtige Themen wie etwa Erbschafts-, Vermögens- und allgemeine Steuergerechtigkeit hat die ehemals staatstragende Partei keine klare Linie. Irgendwo in Nirgendwo.

… ohne erkennbare Kohäsion

Während langer Jahre intonierte Jean-Claude Juncker die Melodie der nationalen politischen Diskussion. Diese Deutungshoheit geht Bettel abhanden. Der Premier gefällt sich als Fahnenträger eines Ensembles von Solisten.

Jean Asselborn macht „seine“ Außenpolitik. Vizepremier Dan Kersch macht Krisenmanagement, wobei seine Sachkenntnis selbst beim Patronat Anerkennung findet. Der zweite Vize, François Bausch, nutzt sein – nach eigenem Bekunden letztes – Mandat, um die Weichen für die Infrastruktur-Politik der nächsten 15 bis 20 Jahre zu stellen. Kassenwart Pierre Gramegna versucht den Defiziten eine ökologische Substanz abzugewinnen. Franz Fayot hat seine Rolle als Strukturminister gefunden. Romain Schneider wird von der Landwirtschaft als Glücksfall in schwierigen Zeiten angesehen.

Dagegen machen Claude Turmes und Carole Dieschbourg hauptsächlich in grüner Ideologie. Während Paulette Lenert und Claude Meisch die undankbare Aufgabe bleibt, Luxemburg und seine Jugend möglichst unbeschadet durch die Pandemie zu bringen.

Einzelleistungen machen kein Team. Ohnehin geht der zweiten Auflage von Blau-Rot-Grün der ideologische Kitt abhanden. Mit der kleinstmöglichen Mehrheit überlebt Bettels Kabinett der Selbstdarsteller, weil die Opposition noch viel schwächer ist. Die Regierung macht nicht alles richtig. Aber die Opposition und vor allem die „ewige“ Regierungspartei CSV macht noch viel weniger richtig.

Kleinkinder stellen mehr Fragen, als beantwortet werden können. Von gernegroßen Politikern erwartet sich der Bürger dagegen keine Inflation an Fragen, sondern Antworten.

* Der Autor ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter.

Gariuen
27. November 2020 - 13.17

"erschöpft sich in sinnloser Fragerei"

Und niemand hat die Antworten.

HTK
27. November 2020 - 9.05

Wer eine Frage stellt macht nichts falsch. Vielleicht wollen sie,wie einst Sokrates,durch Fragestellung in der Diskussion den Gegner bloßstellen? Aber dazu braucht es die richtigen Fragen,wie Herr Goebbels betont. Aber Vorschläge und Alternativen zu unterbreiten,ja,da braucht es Eigeninitiative und Courage.Man könnte sich ja irren und das kostet Stimmen.Da ändert Frauenquote auch nichts.