Reformen. Ein schwieriger, oft sehr langwieriger Prozess. Denn bekanntlich besteht die größte Schwierigkeit der Welt nicht darin, die Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern ihre alten zu vergessen. So ist man mit einer neuen Idee sofort schon mal ein komischer Kauz … bis sich die gute Idee durchgesetzt hat. Ab dann sieht alles schon mal ganz anders aus – und die Person mit der „komischen Idee“, deren Realisierung allerdings längst überfällig war, meist schon längst vergessen.
Ein schwieriger Reformprozess. So auch die EU-Agrarpolitik, die seit gefühlt ewigen Zeiten ein klassisches Terrain permanenter Debatten darstellt und deren Wende definitiv eine „gute Idee“ wäre. Doch dem ist immer noch nicht so. Die Agrarpolitik – von Lobbyisten beherrscht, die Europas Pläne für eine „grünere“ Landwirtschaft dezidiert blockieren und die ihre liberal-konservativen EU-Politmarionetten nach Gusto tanzen lassen. Heuer aktuell: die GAP-„Reform“. Auch nach zwei Jahren Verhandlung steht fest, dass es eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik auch weiterhin nicht geben wird, das alte „System“ folglich erhalten bleibt. Oder auch: die einmal mehr verpasste (verhinderte?) Agrarwende. Das diesbezügliche Urteil der Umwelt- und Klimaschützer fällt dementsprechend vernichtend aus. Der WWF spricht im Klartext von einer „Katastrophe für den Natur- und Klimaschutz“, der BUND von „vorgestriger Politik“ und Greenpeace von „Greenwashing übelster Sorte“. Zwei Jahre lang haben die Agrarminister und das Europaparlament über die Reform der EU-Agrarpolitik verhandelt. Das Resultat: ein totaler Reinfall. Seit mehr als 60 Jahren, so Greenpeace weiter, ist Europas Agrarpolitik blind gegenüber den Auswirkungen der klassischen, industriellen sprich der intensiven Landwirtschaft auf die Natur. Man bemängelt, dass die EU immer noch nicht zu effektiven, tiefgreifenden, fundamental wichtigen Reformen in der europäischen Agrarpolitik bereit sei – ein absolutes Trauerspiel. Leider eines von vielen einer EU-Kommission, die sich trotz aller gegenteiliger Beteuerungen mitnichten zu ändern gedenkt – in diesem Fall alles nach den Vorgaben der Agrarlobby! Regionale, biologische Landwirtschaft im Einklang mit der Natur? Ein Witz …
„Erst die Mittel, dann das Ziel?“
„Erst die Mittel, dann das Ziel? Wie sich die EU-Agrarpolitik in eine Sackgasse manövriert(…)“, so ein deutlicher Beitrag des Präsidenten des Thünen-Instituts, des Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei. In diesem Beitrag wird argumentiert, dass die Aufrechterhaltung der Direktzahlungen im Agrarbereich dauerhaft weder nötig noch sinnvoll ist und dass die „begrünten“ Zahlungen nur geringe Beiträge zu den gesellschaftspolitischen Zielen in diesem Sektor leisten können. Ferner wird davor gewarnt, dass sich die EU-Agrarpolitik mit dem Hauptinstrument „begrünte Direktzahlungen“ eben immer tiefer in eine Sackgasse manövriert. Die Richtung scheint allerdings nicht wesentlich anders zu werden, die EU-Politlakaien der agro-chemischen Industrie und anderer Lobbyisten zeigen, trotz permanentem Gefasel von nachhaltiger, gar biologischer Orientierung der zukünftigen Landwirtschaft, allerdings wenig Konsequenz. Auch wenn die EU-Kommission, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert, heuer mit vollmundigen Sprüchen und entsprechenden Lobeshymnen auf die „Weiterentwicklung“ der gemeinsamen Agrarpolitik oder auch der Einführung eines „neuen Umsetzungsmodells“ punkten will.
Und die in diesem Sinne eingeschlagene, falsche Richtung steht: Eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik wird es in der Haushaltsperiode 2021 bis 2027 nun definitiv nicht geben. 345 Milliarden Euro sollen nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs von Juli 2021 bis 2027 in die Agrarpolitik fließen. Das ist knapp ein Drittel des Gesamtbudgets, so ein entsprechender Kommentar der Welt zu diesem Topic. Das Grundprinzip bei der Verteilung der Gelder bleibt nach den Beschlüssen gleich: Ein Großteil des Geldes, rund drei Viertel, fließt direkt an die Landwirte. Wie gehabt demnach weiter nach dem Schema: „begrünte Zahlungen“ – siehe oben in diesem Text. Wie viel Geld die Bauern bekommen, hängt (natürlich wie immer) zu einem großen Teil von der Größe ihres Hofs ab. Der Rest ist für Programme zur Förderung des ländlichen Raums reserviert. Neu ist, dass ein Teil der Direkthilfen für die Landwirte daran geknüpft sein soll, dass sie an „bestimmten Programmen“ zum Umweltschutz teilnehmen. Im Fachjargon ist von Eco-Schemes die Rede, dem neuen Zauberwort der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Der deutsche Begriff „Öko-Regelungen“ ist jedoch missverständlich, denn, so die Kritiker, diese Eco-Schemes, die das vorherige „Greening“ ablösen sollen, hätten rein gar nichts mit Ökolandbau zu tun. Das Greening hat in den Augen vieler Wissenschaftler und Umweltorganisationen nicht die erhofften positiven Umweltwirkungen erbracht, was allerdings wenig verwunderlich sein dürfte, ganz im Sinne des einführenden Zitates, einer Reform, bei der sich zwar etwas tun sollte, in real allerdings nichts passiert ist! Diese neuen Eco-Schemes sollen für die Landwirte freiwillig sein, jedes EU-Land dürfe selbst entscheiden, wie diese ausgestaltet sein sollen. Damit will die Kommission der jeweils unterschiedlichen Umweltsituation und regionalen Ausgangslage Rechnung tragen. Die Frage, was denn diese Eco-Schemes nun genau sein sollen, drängt sich förmlich auf!
Agrarregeln wurden wegen Corona um zwei Jahre verlängert
Egal wie: All das gilt allerdings erst ab dem Jahr 2023, weil die geltenden EU-Agrarregeln während der Corona-Krise um zwei Jahre verlängert wurden und während der ersten beiden Jahre erst einmal getestet werden soll, ob und wie diese Programme von den Landwirten angenommen werden. Bis zum Jahr 2025 müssen die Bauern also nach deren Kompromiss auch keine Einschnitte befürchten. So kritisierte der deutsche Europaabgeordnete der Grünen, Martin Häusling, dass die Bedingungen so weich sind, dass der Begriff „Greenwashing“ für die Eco-Schemes noch eine Beschönigung sei. Denn die sogenannte „Präzisionslandwirtschaft“ – die Nutzung digitaler Technik, um das Land effizienter bewirtschaften zu können – erlaubt zudem, den Einsatz von Dünger zu reduzieren – alles andere als ökologische Landwirtschaft. Letztlich aber sollen die Staaten – und auch daher rührt die Kritik – weitgehend selbst bestimmen können, wie sie die Programme gestalten. Und da sollen rund 60 Milliarden Euro (sic!), unverschämte, gigantische Summen, die von der (neoliberalen) EU-Kommission jedes Jahr an Subventionen im Rahmen der GAP für Massentierhaltung (effektiver Klimakiller und eine Zeitbombe für weitere Pandemien) oder auch für sonstige Irrungen und Wirrungen einer verfehlten intensiven Landwirtschaft, die auch hierzulande von DP und CSV unterstützt wird, ausgegeben werden. Ein handfester Skandal!
Genauer: das rezente Abstimmverhalten unserer EU-Abgeordneten im Europaparlament zur (vermeintlichen) „GAP-Reform“: CSV und DP (Hansen, Wiseler-Lima, Goerens und Semedo) natürlich im Sinne der Agrarlobby – Tilly Metz („déi gréng“) und der LSAP-Mann Marc Angel dezidiert dagegen. Schon mal sehr vielversprechend im Sinne einer rot-grünen Koalitions-Zukunft, die für die Existenz der kommenden Generationen in vielerlei Hinsicht richtungsweisend wäre …
Wenn wir den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, dann wäre spätestens jetzt eine Wende in der gemeinsamen EU-Agrarpolitik in Richtung ökologischer Landwirtschaft tunlichst ratsam gewesen, eine Gelegenheit, die wieder einmal zielstrebig verpasst wurde!
Denn: Möglichkeiten sind wie Sonnenaufgänge. Wenn du zu lange wartest, verpasst du sie. So der amerikanische Schriftsteller William Arthur Ward (1921-1994).
* Der Autor ist Angestellter der CFL und schreibt regelmäßig Beiträge im Forum des Tageblatt.
Roberto
dann müssen aber auch die Hälfte der Lebensmittelregale abgebaut werden.
Herr Bertemes Sie vergessen bei der Agrarwende die sie fordern die Rolle des Konsumenten zu erwähnen. Die meisten Konsumenten sind bei Umfragen bereit mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. Die Wirklichkeit an der Ladenkasse sieht aber anders aus.
Eine Agrarwende ohne das Mitwirken des Konsumenten wird nicht zum Erfolg führen.
Der städtischeTeil unserer Gesellschaft sieht die Rolle der Landwirtschaft nur noch im Landschaftsschutz und nicht mehr als Nahrungsmiitelproduzent. Die Lebensmittelregale sind immer gut gefüllt.
Wenn wir nicht mehr als erste Aufgabe der Landwirtschaft die Nahrungsmiitelproduktion sehen ,kann das in Zunkunft bei steigender Weltbevölkerung ernsthafte Folgen haben.
Man kann nur hoffen, dass der sozial-ökologisch orientierte Flügel der LSAP sich endgültig gegen jene Kräfte durchsetzen kann, die scheinbar immer noch nichts dazugelernt zu haben scheinen und die neben ihrer klerikalen Affinität, ihrer in Sachen Ökologie manifesten Ablehnung oder auch ihrer sonstigen , kontra-produktiven Konzilianz in wichtigen Fragen , wo eine klare Position angesagt wäre, wie auch in Sachen EU-Agrarpolitik, so einiges zur Unglaubwürdigkeit der LSAP beigetragen haben. Immerhin gibt es für die Zukunft vielversprechende Politiker in dieser Partei, die eingesehen haben, dass nicht nur im Kontext der EU-Agrarpolitik die Uhr längst auf fünf vor zwölf steht! ...und für sie selbst?
Die meisten Länder müssten die Anzahl der Bauern halbieren.
Nein, das EU-Parlament und der Rat haben nicht zwei Jahre lang über die Agrarreform verhandelt. Die werden jetzt erst damit anfangen, da sie sich erst vor einigen Wochen im Oktober auf ihre jeweilige Verhandlungsposition festgelegt haben. Die beiden fangen daher erst an zu verhandeln. Demnach kann noch kein Reinfall herausgekommen sein. Auch wenn vieles, was sie rechts und links abgekupfert haben, so ist.