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ForumGrüne Träume, an der Realität vorbei

Forum / Grüne Träume, an der Realität vorbei
Politikum: die Straßen Luxemburgs Foto: Editpress/Julien Garroy

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Am 8. Juli 1997 legten der damalige Umwelt- und Raumplanungsminister Alex Bodry sowie der Verfasser dieses Artikels, damals Minister für öffentliche Arbeiten, einen Globalplan für den Bau von Umgehungsstraßen vor.  Ziel war es, im Rahmen der Gesetzgebung vom 20. März 1974 über die Landesplanung die Trassen für die Realisierung von lokalen „Contournements“ definitiv festzulegen. Um somit den Verkehr sicherer und flüssiger zu gestalten, und vor allem die betroffenen Ortschaften vom Durchgangsverkehr zu befreien.

Der sektorielle Plan umfasste damals genau zwei Dutzend Projekte. In meiner Amtszeit konnten einzelne dieser Entlastungsstraßen realisiert werden, etwa die kleinen Contournements von Esch, Differdingen und Bridel Süd. Sowie der erste Teil der Umgehung von Bous. In Angriff genommen wurde die Umgehung von Sandweiler sowie die Planung für Junglinster und Hosingen.

Doch die meisten der vor 23 Jahren als „prioritär“ eingestuften Projekte kommen nicht aus den Startlöchern. Zum Beispiel wird nun die Umgehung von Dippach zum wiederholten Mal einer Impaktstudie unterworfen. Die Umweltministerin ordnete die neue Studie an, versicherte gleichzeitig der Gemeinde, die Straße werde gebaut. Also bloß Zeitverschwendung der grünen Symbolik zuliebe?

Die seit Jahren dringend benötigte Umgehungsstraße für Bascharage wurde vom Parlament mit großer Mehrheit gebilligt. Dennoch kämpfen weiterhin selbsternannte Umweltschützer gegen deren Realisierung. Infrastrukturminister François Bausch hat offensichtlich eingesehen, dass die Befreiung der Ortschaften vom Durchgangsverkehr im Interesse der Lebensqualität der Bürger ist. Immerhin durfte Bausch die längsten Umgehungsstraßen des Landes fertigstellen und einweihen: die Nordstraße, die Saar-Autobahn sowie die Umgehung von Junglinster. Laut Bausch soll der „Bau der demokratisch gestimmten Umgehungsstraße (von Bascharage) nicht infrage“ gestellt werden.

Gut so. Denn bei allen notwendigen Investitionen in Eisenbahn, Tram sowie in Radwege wird das Auto aus unserer Gesellschaft nicht verschwinden. Sollte es gelingen, wie von Minister Turmes angeträumt, 49% unseres Fuhrparks bis 2030 elektrisch zu betreiben, ist der Ausbau unseres Straßennetzes weiterhin nötig. Auch Elektromobile oder mit Wasserstoff angetriebene Fahrzeuge zirkulieren auf Straßen. Wobei in allen Fällen der Durchgangsverkehr im Interesse von Lebensqualität und Umwelt besser über Autobahnen oder Umgehungsstraßen läuft.

Ideologen in der Sackgasse

Während sich François Bausch zögerlich den Realitäten anpasst, machen seine Kollegen Turmes und Dieschbourg weiter in reiner Ideologie.

So kündigte die Umweltministerin auf den sozialen Netzwerken an, sie wolle Luxemburg von Lkw-Verkehr „befreien“. Mit dem Energieminister militiert sie für eine stärkere Besteuerung der „Kamions“, die nicht mehr in Luxemburg tanken sollten.

Pech ist, dass der vom Transportministerium bestellte Experte, Professor Ewringmann, zum Befund kam, eine höhere Besteuerung des Sprits in Luxemburg führe nicht zu weniger Verkehr, bloß zu einer regionalen Verlagerung der Tankvorgänge. Dann gerieten selbst die meisten Luxemburger zu Tank-Touristen, weil sie verstärkt dort in der Großregion tanken würden, wo Benzin und Diesel billiger wären. Die von Ministerin Dieschbourg angestrebte „Bestrafung“ der Lastkraftwagen würde somit weder zu einer Reduzierung des Schwerverkehrs noch zu weniger treibstoffbedingten Emissionen führen. Wie der schon für den „Mouvement écologique“ tätige Experte feststellte, macht nur ein geringer Teil der internationalen Transporte zu Tankzwecken einen Umweg über Luxemburg.

Alle Speditionen, welche aus dem Benelux-Raum nach der Schweiz und Italien und zurück liefern, sind auf ihrer logischsten Route, wenn sie in Luxemburg tanken. Vor allem gibt es viel Ziel- und Quellverkehr nach und aus Luxemburg. Praktisch 90% aller hierzulande verbrauchten wie produzierten Güter müssen transportiert werden. Die Eisenbahn schafft nur wenig. Die Straße ist für die Feinverteilung ohnehin unentbehrlich. Die über 800.000 Tonnen Fracht, welche über den Findel umgeschlagen werden, müssen in alle Himmelsrichtungen weiterverteilt werden. Das schaffen nur internationale Speditionen. Von denen in Luxemburg rund 150 angesiedelt sind. Die 8.000 Fahrer beschäftigen, über die Hälfte davon Grenzgänger.

Die Covid-Krise belegte, wie wesentlich internationale Transporte sind. Ohne die internationalen Logistikketten wären die Luxemburger glattweg verhungert: Wir importieren 99% des Obstes und 95% des Gemüses, das wir konsumieren, zwei Drittel aller Eier und auch sonst so ziemlich alles. Ohne Versorgung aus dem Ausland würden unsere Kliniken austrocknen.

Schwertransporte sind nicht abzuschaffen. Das Fedil-Organ „Echo“ veröffentlichte vor einigen Wochen eine interessante Analyse über die Problematik des Bauschutts. Pro Jahr fallen rund 8 Millionen Tonnen Bauschutt und Erdaushub in Luxemburg an. Deren Bewältigung circa 900.000 Lkw-Fahrten erfordert. Immerhin rund 4.000 Bewegungen pro Tag. Wobei die ungeliebten Laster im Schnitt 70 km pro Fahrt zurücklegen.

Frau Dieschbourg, die politisch zuständig für Mülldeponien ist, könnte einen bedeutenden Beitrag zur nationalen Klimabilanz leisten, genehmigte sie mehr inerte Bauschuttdeponien. Damit würden die meisten der 900.000 Fahrten ungemein verkürzt. Die von überall her hauptsächlich die öffentlichen Deponien in Colmar-Berg oder Differdingen ansteuern müssen. Gäbe es eine bessere geografische Streuung der Deponien, könnten pro Fahrt 30 bis 40 km weniger anfallen, mit entsprechend geringeren Emissionen!

Gleichzeitig würde die militante Umweltministerin dem Staat helfen, viel Geld zu sparen. Hauptverursacher der jährlichen 8 Millionen Tonnen Bauschutt ist zu fast zwei Drittel die öffentliche Hand! Staat, Gemeinden, CFL, SNHBM, „Fonds du logement“ und ähnliche Bauherren zahlen nicht nur für die neuen Zuglinien, Straßen, Schulen, Spitäler oder Wohnsiedlungen. Sie begleichen auch die Mehrkosten für den Transport des Erdaushubs. Der täglich das Straßennetz auf Dutzenden von Kilometern belastet, weil sich das Umweltministerium mit der Genehmigung neuer Deponien sehr schwer tut!

Velo und Flughafen

Die tonnenschweren Bestandteile der Windmühlen, die Panels für die Fotovoltaik werden auch nicht per Fahrrad oder Ochsenkarre angeliefert. Im Rahmen jeder machbaren ökologischen Transition bleiben nationale wie internationale Transporte unumgänglich.

Das jüngste Politbarometer hat die grünen Ideologen Dieschbourg und insbesondere Turmes abgestraft. Das Resultat von „Realo“ Bausch war nicht berauschend. Dennoch zeigt sich, dass der grüne Vizepremier offensichtlich begriffen hat, dass der Mobilitätsbedarf der Bürger und der Wirtschaft des Landes nicht mit grünen Sprüchen zu erfüllen ist.

Während die Umweltministerin den Après-Covid nützen wollte, um die Zahl der Luxair-Flüge um drei Viertel zu kürzen, tritt der für den Flughafen zuständige François Bausch für die Rettung von Luxair, Cargolux und Co. ein. Im Anschluss an die Luftfahrt-Tripartite sprach sich der Minister für die Rettung des Sektors und die Sicherung der Arbeitsplätze aus. Bausch: „Ohne Flughafen wird unsere Ökonomie nicht funktionieren.“ Keine neue Erkenntnis, aber für den Obergrünen eine erstaunliche Wandlung.

Immerhin benutzten letztes Jahr 4,4 Millionen Passagiere unseren Flughafen. Dieses Jahr werden es viel weniger sein. Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis sich die Flugindustrie wieder erholt. Dennoch kann man die internationalen Flugverbindungen nicht kappen. Der Zug ist selten eine Alternative. Davon zu träumen, dass das verstärkt zu Freizeitzwecken genutzte „Velo“ die anderen Mobilitäts-Träger ablöst, ist reiner Wahn. Gewiss, weltweit werden doppelt so viele Fahrräder gefertigt als Autos. Und mehr Computer als Autos und Fahrräder zusammengenommen. Die Explosion der digitalen Medien wird es erlauben, mehr Heimarbeit und Visio-Konferenzen zu organisieren. Aber keine autarke Versorgung, schon gar nicht per Rad.

Der Mensch ist letztlich ein Herdentier. Er benötigt Kontakte, lässt sich nicht dauerhaft einpferchen. Was erklärt, weshalb so viele Menschen nach dem „Lockdown“ das Weite suchen. Ohne bequeme Mobilität geht nichts in unserer Gesellschaft.

titi
26. Juli 2020 - 12.35

Träumen ist nicht verboten.