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EditorialControl-Alt-Delete: Luxemburgs Neustart könnte das System zum Erliegen bringen

Editorial / Control-Alt-Delete: Luxemburgs Neustart könnte das System zum Erliegen bringen
Die Vizepremierminister François Bausch (l.) und Dan Kersch (M.) stellten den Neustart am Mittwoch zusammen mit Finanzminister Pierre Gramegna (r.) erstmals vor Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen

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Ohne die genauen Auswirkungen von Covid-19 zu kennen, hatte DP-Premierminister Xavier Bettel schon vor über zwei Monaten im Eifer des Gefechts eine Art „Marshall-Plan“ für Luxemburg verkündet, um die Wirtschaft nach der Krise wieder anzukurbeln. Von Verschwörungsanhängern wird diese frühe Aussage jetzt so gedeutet, als sei das Coronavirus zu ebendiesem Zweck „erfunden“ worden. Diese Behauptung ist natürlich Unsinn. Doch es lässt sich kaum bestreiten, dass die Pandemie der Regierung nicht ungelegen kommt. Während sie die wirtschaftlichen Schäden und die steigenden Arbeitslosenzahlen dem Virus zuschreiben kann, profitiert sie von der Gelegenheit, um den strukturellen Wandel hin zu einer digitalisierten und nachhaltigen Rifkin-Gesellschaft zu beschleunigen.

Ihre Strategie zur Wiederankurbelung der Wirtschaft hat die Regierung „Neistart Lëtzebuerg“ getauft. Mit dieser Metapher aus der Informatik soll den Bürgern vermittelt werden, dass das gesellschaftliche System wegen eines schädlichen Virus abgestürzt sei. Nachdem das Virus detektiert und in Quarantäne gesetzt wurde, soll ein Neustart erfolgen. Unklar ist aber, ob mit dem Neustart das alte Betriebssystem lediglich zurückgesetzt, neue Software hochgeladen oder gar ein komplett neues Betriebssystem installiert werden soll.

Vieles spricht dafür, dass das alte Betriebssystem von DP, LSAP und Grünen noch immer für gut befunden wird und nur ein paar neue Programme „draufgebügelt“ werden sollen. Trotz Wirtschaftskrise(n), globaler Erderwärmung und steigender sozialer Ungleichheiten soll „Kapitalismus 2.0“ den überhitzten Rechner weiter am Laufen halten. Dass auch vor Corona schon vielerorts Rufe nach einem neuen Betriebssystem laut geworden waren, kann die Regierung nun geflissentlich ignorieren. Schließlich ist es das Virus, das für den Absturz verantwortlich war.

Die Pakete der Regierung zur Unterstützung der Wirtschaft sind zu Recht umfangreich. Allerdings hinterlassen sie den Eindruck, als seien sie von der Softwarefirma des UEL-Präsidenten Nicolas Buck entwickelt worden. Das neokorporatistische Modell der Tripartite scheint auf Druck der Handelskammer und der Arbeitgeberverbände nicht in die von der Regierung bestellte Software eingeflossen zu sein. Vor der Krise hatten selbst die DP-Minister noch beteuert, daran festhalten zu wollen. Beim Neustart dürfen Unternehmen nun bis zu einem Viertel ihrer Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Gründen entlassen, ohne auf Unterstützungs- oder Kurzarbeitsmaßnahmen verzichten zu müssen. Umverteilungsmaßnahmen sieht der Neustart nicht vor. 

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung bleiben indessen noch viele datenschutz- und arbeitsrechtliche Fragen offen, die eigentlich im Rahmen eines Tripartite-Gremiums hätten geklärt werden sollen. Wenn die Dreiergespräche nun ausgesetzt oder abgeschafft werden und gleichzeitig das Demonstrationsrecht in den Covid-19-Gesetzen für die nächsten Monate eingeschränkt bleibt, ergibt sich daraus zwangsläufig eine gefährliche Situation für die Gewerkschaften. Als letzter Ausweg bleibt ihnen dann nur noch, die Hardware zu deaktivieren. Denn ohne seine elektronischen und mechanischen Bestandteile kann kein noch so teures und von Ratingagenturen hoch eingestuftes System funktionieren.

Christophe Cherel
24. Mai 2020 - 22.58

Gudden Artikel!

Realist
24. Mai 2020 - 10.00

Eine "nachhaltige Rifkin-Gesellschaft"? Ist dieser Unsinn etwa immer noch auf der Tagesordnung? Jeremy Rifkin ist wie Lyle Lamley, jener windige Scharlatan, der in "The Simpsons" den Einwohnern von Springfield mit einem mitreissenden Lied seine irrsinnige Einschienenbahn als Lösung aller ihrer Probleme verkauft...

J.C.Kemp
23. Mai 2020 - 19.55

Aber das BIOS, sprich die Verfassung ist schon lange outdated. Damit klappt es dann nicht mehr mit dem Booten.

TNT
23. Mai 2020 - 13.10

Herr Laboulle, ein SUPER ARTIKEL, aber wirklich super!
Und was den Ménage à trois unserer Regierung angeht, wären dieses oder nächstes Jahr Wahlen, würde mancher MiniDespot den Ball flacher halten.
Was das Betriebssystem angeht, was wir jetzt aufgebrummt bekommen, da wird es noch viiiiele UPDATES geben.
Sollte sich das Betriebsstem trotzdem wieder aufhängen, hilft nur den STECKER ziehen.

Tom Meier
23. Mai 2020 - 12.08

Hervorragend und brilliant skiziiert. Schaut man in die europäischen Rechner und Softwaresysteme stellen sich quasi die gleichen Fragen + Fragen aus ergänzenden Betrachtungen. Eine Bilanz hat nun immer ZWEI Seiten. Die Passivseite ist durch Corana markiert. Die Aktivseite kann bei genauer Buchführung sehr viele attraktive Posten ausweisen. Vorausgesetzt es finden sich geeignete Comptables, die die Aktivseite konstruktiv gestalten :-).