Biografien bekannter Musiker gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, Rockstar- Biografien werden in Zeiten medialer Übersättigung zum Teil einer Checkliste für eine gelungene Karriere und oftmals als reines Relikt vergangener Zeiten absoluten musikalischen, alkoholischen und sexuellen Exzesses verstanden. Dass die Autobiografie eines 70-jährigen Mannes, für den die Musik Lebenselixier bedeutet, so viel mehr sein kann, beweist Roger Daltrey, seit 55 Jahren Frontmann von The Who, in seinem Epos „My Generation“ ausdrucksvoll. Worin die Relevanz einer Lektüre für jedermann begründet liegt, soll in Folgendem unter verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden.
Von Sascha Dahm
Der Mittelpunkt einer jeden Biografie, auch die eines Rockstars, stellt natürlich die Person, das Individuum, das Wesen hinter einer Künstlerfigur dar, die auf der Bühne seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten die Massen bewegt.
Auch bei Roger Daltrey ist dies natürlich zentral – hierzu später mehr –, es wäre jedoch unzureichend, würde man die Perspektive einzig auf den Ich-Erzähler legen und den gesamtgesellschaftlichen Kontext gänzlich außer Acht lassen: England in der Nachkriegszeit, zerbombt, Leid und Traumata an der Tagesordnung und dazwischen ein Junge der Arbeiterklasse, der sofort lernt, dass im Leben Dinge nur erreicht und errichtet werden können, wenn man es kämpferisch immer und immer wieder versucht.
INFO
Roger Daltrey
My Generation. Die Autobiografie
Bertelsmann, 2019
384 Seiten
24 Euro
ISBN 978-3570103692
Zeitgeschichtliches Epos
Die Entscheidung, der in England aufstrebenden Mod-Kultur der 50er und 60er anzugehören, traf Daltrey schnell. Daltrey wollte keinesfalls nur auf seine Herkunft reduziert werden, leugnete diese aber auch nie ganz, da sie ihm auch als Lebenslehre galt.
Der Weg zur ersten Band führt über die erste Sperrholz-Gitarre, die nur mühsam zusammengebaut wurde. Diese ging jedoch schnell kaputt – und so stand man wieder am Anfang einer damals bescheidenen Karriere in einem Zeitalter, in dem die Militärpräsenz langsam abnahm und ein erster Freiheitsgedanke in Kombination mit Spaß und vollkommener Wut die 60er zu einem Jahrzehnt der Musik und der Revolution wurde, an dem auch Pete Townshend, John Entwistle, Keith Moon und Roger Daltrey teilhaben wollten.
Der Revolutionsgedanke kumulierte in den gesellschaftlichen Bewegungen 1968 bis hin zum Mekka der Freiheit: Woodstock 1969, das in den Augen Daltreys keinesfalls das romantische Gelage war, von dem immer berichtet wird: „Pete hat gesehen, wie ein Jugendlicher von einem der Gerüste gefallen ist und sich womöglich den Hals gebrochen hat. Es war ein Chaos. Und irgendwann mitten in der Nacht beschlossen die Organisatoren, dass sie uns nicht bezahlen würden …“
Die Band und ihr Wandel in den Jahrzehnten, ihre Untergänge, die fast zehnjährige Bühnenabstinenz und musikalische Irrelevanz im Zuge neuer Genretrends und Interpreten, die die Probleme der neuen Generationen deutlicher ansprachen als der Rock ’n’ Roll, der Tod von Keith Moon und John Entwistle – all diese Erfahrungen ließen Daltrey wachsen und dieses Buch zu einem wahren Lehrbuch des Lebens werden.
Ein Lehrbuch
Der Gedanke, in einer Band zu spielen, forcierte ihn, immer weiterzugehen und die vielen tiefen Rückschläge durch die Musikindustrie und das Management zu verkraften. So stellte er sich vor, wie eine Ente zu sein, die „eine ätzende Bemerkung hier, ein verwüstetes Hotelzimmer dort (übersteht) – Regentropfen, die von meinen Entenrücken abperlten.“
Sich ein solch dickes Fell anzueignen, erwies sich nicht nur im Hinblick auf ein verkorkstes Management, das das Geld der Band durchwegs so verwaltete, dass nicht einmal die geringsten Renovationskosten der Häuser gedeckt werden konnten, sondern auch im Hinblick auf die eigenen Bandkollegen mehr als wertvoll, da sie Daltreys Fell mehr als nur einmal strapazierten.
„Eine Schlagzeugfirma hatte eine Torte mit einem Mädchen darin angeliefert. Keith hatte eine Tortenschlacht vom Zaun gebrochen. Keith hat sich zwei Zähne ausgeschlagen. Keith hatte sich bei einem Notarzttermin ohne Betäubung die Zähne machen lassen. Keith war zurückgekehrt und hatte einen Continental oder Cadillac (…) in den Hotelpool gefahren.“
Daltrey selbst überging all dies und wollte für seinen Traum leben und sich diesen auch nicht durch Drogen oder Alkohol zunichte machen. Einzig und allein „für ein Publikum muss man spielen und nicht vor einem Publikum“, das war und ist die Devise und die Motivation, die ihn antreibt und ihn auch heute noch vor Millionen Fernsehzuschauern beim Superbowl bestehen lässt.
Milieudokumentation
Der Ethos Daltreys, sei es als Mensch oder als Musiker, gründet in seiner Zugehörigkeit an das Arbeitermilieu, die ihn lehrte, sich tagtäglich durchzusetzen, Prügel und Mobbing mit anschließenden Selbstmordgedanken zu überstehen und kontinuierlich an sich zu arbeiten und nicht zu rasten.
Endete eine Tour, vermied Daltrey es, in ein tiefes Loch zu stürzen, sondern baute selbst sein eigenes Haus samt See auf. Ein Lebensprojekt, das ihm den nötigen Halt gab in schwierigen Zeiten der Band und im Privaten.
In all der Zeit, Rockstar-unüblich, war Heather an seiner Seite, stand alle finanziellen, gesundheitlichen, depressiven sowie familiären Krisen mit ihm durch und nahm ihm den Druck von den Schultern. Er dankt es ihr bis heute und sie kann nicht unweigerlich als Schlüssel des Erfolgs für Daltrey gedeutet werden …
Roger Daltrey ist der typisch- untypische Rockstar, ein Mann des Volkes, ein Working-Class Hero, der an seinem Traum festgehalten hat und ihn, trotz Höhen und Tiefen, leben durfte. Er schaut in seinem Seelenstriptease dankbar auf 70 Jahre Lebenserfahrung zurück und blickt in eine Zukunft, die er mit seinen eigenen Händen, so wie er es immer getan hat, gestalten will.
Who are you? My Name is Roger Daltrey.
Na immerjin huet deen eppes ze erzielen ;-)
@Zuli as den Alter :D
Wa soss kee mat engem schwätzt, da schwätzt ee mat sech selwer.