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ForumGedanken zu gesellschaftlichen Eliten (3): Von Rechtsextremen manipulierter Volksaufstand

Forum / Gedanken zu gesellschaftlichen Eliten (3): Von Rechtsextremen manipulierter Volksaufstand

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Das in den westlichen Begabungsaristokratien abgehängte Volk scheint gegen die meritokratischen Eliten auf die Barrikaden zu gehen. Als einzige Waffe dabei nutzt es die „noch“ einigermaßen funktionierende Demokratie, die den Bürgern unserer eurasischen Geschäftsfreunde in China sowie in Russland nicht zur Verfügung steht und im Subkontinent Indien, in dem der utopische Sozialismus nie so richtig Fuß fassen konnte, durch das hinduistische Kastensystem im Keim erstickt wird.

Von Carlo Kass

Doch die Dämonen, die es dabei weckt, sind Algorithmen, die weltweit von den Handlangern meist extremrechter Potentaten zur Manipulation der vermeintlich freien Volksbefragungen eingesetzt werden. Diese bösen Geister, die sowohl Wähler wie Nichtwähler auf ihrem Weg zur Macht durchwinken, werden es eines Tages auf ihren Schulden sitzen lassen, während sie mit vollgestopften Taschen über alle Berge sind.
Wir bedienten uns für die beiden ersten Gedankengänge zu dieser Serie über die gesellschaftlichen Eliten vornehmlich beim amerikanischen Historiker Christopher Lasch, der von einer „blinden Elite“ schrieb, und dem britischen Soziologen Michael Young, dem Urheber des Begriffes „Meritokratie“. Ersterer ist 1994 gestorben, Letzerer im Jahre 2002. Zwischendurch, 1998, kam der erste iMac auf den Markt.

Gerne würden wir heute deren Gedanken zur Revolution lesen, die dieser PC (Personal Computer) und die annexen Kommunikationsmittel in nur zwei Jahrzehnten auslösten. Besonders die des schon erwähnten Labour-Vordenkers Young, der für sein Werk „Es lebe die Ungleichheit – Auf dem Wege zur Meritokratie“ zum Mittel der Rückblende griff und einen Kollegen aus dem Jahre 2033 die Situation ab 1870 beschreiben ließ.
Der Autor benutzt den typisch englischen Humor, mit dem er seine beißenden Kommentare untermalt, sodass ihn die Kritik neben Huxley und Orwell stellte. Und auch wenn der später zum Lord geschlagene Young die Rolle der Frau im meritokratischen Prozess aus den Augen eines Herrenmenschen sah, zeugt sein Buch von der nicht alltäglichen Originalität eines selbstständig und unabhängig Denkenden.

Unvererbbare Erziehungsgarantie

So wäre für ihn die Frauenbewegung nur eine geistreiche Clownerie geblieben, wenn die Konservativen nicht plötzlich wieder das feudale Erbrecht als revolutionäre Doktrin proklamiert hätten. Laut ihm gehörten 1990 nämlich alle Erwachsenen mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von über 125 zur Meritokratie. Und damit näherten sich, nach 200 Jahren, das Prinzip der Erblichkeit und des Leistungswertes einander.

Und allein das war für Young der Garant, „dass eine Elite in dritter oder vierter Generation, von ihren Kinderkrankheiten befreit, nicht mehr riskiert, ihr Niveau zu verlieren und zu einem vielschichtigen Proletariat abzusinken“. Er gestand der Elite ihre wohlverdienten gesellschaftlichen Vorteile zu, weigerte sich jedoch, auch ihren Kindern eine vererbbare Garantie auf besonders privilegierte Erziehung zuzugestehen.

Dies, um den Kindern der unteren Schichten die Chance nicht zu nehmen, die Leiter des sozialen Aufstiegs doch noch emporzuklettern. Young sah darin das Ferment der sozialistischen Agitation, deren konstruktive Energie darin wurzelte, dass der Sohn seinen Vater übertreffen möchte. Er schrieb dem Sozialismus zu, den Neid vom privaten Laster zur öffentlichen Tugend geadelt zu haben.

Andererseits schien er zu bedauern, dass die modernen Wissenschaften den Erziehungspsychologen Mittel an die Hand gab, die Intelligenz früher und effizienter zu messen, welche die Daseinsberechtigung der lange und bitter erkämpften Erwachsenenbildung infrage stellte. Denn mit ihr verschwand auch die Hoffnung, die Moral der Zurückgebliebenen derart zu heben, dass sie es doch noch zu etwas bringen könnten.

Mit vorsichtigen Schätzungen sah sein Buchautor und Kollege das Testalter zum Voraussagen größtmöglicher Zuverlässigkeit der Probanden im Jahre 2020 bei ganzen drei Jahren, also kurz nach dem Säuglingsalter. Damit wurde die Erziehung in Volksschulen bis zum elften Lebensjahr zur Verzweiflung der Lehrer ad absurdum geführt. Fehlt nur noch das pränatale Gendesign zum späteren Oxford-Schüler.

Auch dies sieht Young voraus und geht in seiner ironischen Art auf die Gefahren der überholten Chancengleichheit, des Lobes der mit meritokratischer Tüchtigkeit unvereinbaren Erblichkeit und der künstlichen Steigerung der Intelligenz ein. Doch der „konservative Nimmersatt“ hat nur Augen für das genetische Aufrüsten seines Nachwuchses, der laut Young nachweislich dümmer ist als die Eltern.

„Eigentum dient Allgemeinheit“

Doch im letzten Abschnitt, den er mit der skeptischen Frage „Waren die Rebellen so harmlos“ betitelte, irrte Young, als er die von der Elite deklassierten Habenichtse als „Populisten ohne Führer von Intelligenz“ abtat, „die nicht länger genügend Macht haben, um einer Revolte die nötige Durchschlagskraft zu verleihen“. Er konnte damals nicht ahnen, dass die sich einen Trump und Johnson wählen würden.

Recht hatte er jedoch, als er schrieb: „Wären die Bestrebungen gewisser Fantasten verwirklicht worden und hätten die unteren Bevölkerungsschichten ihre überdurchschnittlichen Kinder behalten, damit aus ihnen Lehrer, Inspiratoren und Organisatoren der großen Masse geworden wären, dann freilich hätte ich eine ganz andere Geschichte zu berichten gehabt.“

Und die könnte in etwa so lauten, dass Trump und Johnson von der vom rechtsextremen Multimilliardär Robert Mercer finanzierten Cambridge Analytica, die nach ihrer Abstrafung wegen Wahlmanipulation mit Emerdata munter weitermacht, an die Macht geschwemmt wurden. Und auch Putin, Xi Jinping und Modi, um nur dieses mächtige eurasische Triumvirat zu nennen, haben digitale Mittel, um Demokratie zu spielen.

Umso einfacher machen es ihnen die als modulierbare Masse zurückgelassenen Fron- und Lohnempfänger der unteren Klassen, deren Vertreter es immer schwerer fällt, diesen laut Young „randalierenden Proletenhaufen“ bei der Stange zu halten. Und diese plötzliche „demokratische“ Macht dürfte den von ihm hochgeschätzten Eliten mit ihrem Intelligenz-Quotienten ab 120 aufwärts so gar nicht gefallen.


Bleibt die spannende Frage, ob das oberste der 20 Prozent von Privilegierten, das über 90 Prozent der Mittel verfügt, diesmal überhaupt in der Lage ist, einen Krieg aller gegen alle zu verhindern, oder ob es wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur seine Interessen wahrt. Denn wie steht im Grundgesetz (Art. 14.2): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Und deshalb, auch wenn das dem postkolonialen Gemischtwarenhändler Trump und denen, die ihn auf ihrer Abschussliste haben, wenn er den ersten eigenen US-Dollar druckt, nicht gefallen mag, muss GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) kartellamtlich zerschlagen werden. Die Eliten sollten sich nämlich hinter die Ohren schreiben: Nach einem Atomweltkrieg wird niemand mehr am Wiederaufbau verdienen!

de Schmatt
5. September 2019 - 14.33

Knapp zusammengefasst: schöne Perspektiven!