Das Kapital eines Winzers sind seine Weinberge. Schlechte Wetterbedingungen wie die beiden Frostnächte Anfang Mai können das Einkommen eines Winzers innerhalb kürzester Zeit vernichten. Das Wetter und der Klimawandel sind aber nicht die einzigen Sorgen der Winzer, so Constant Infalt im Tageblatt-Gespräch.
Tageblatt: Herr Infalt, unter Ihrem Einfluss hat sich der Weinbau in Luxemburg wesentlich verändert. Wie hat sich das Winzerwesen hierzulande seit früheren Zeiten entwickelt?
Zur Person
Constant Infalt verbrachte seine berufliche Laufbahn während vier Jahrzehnten im Dienste der Genossenschaftskellerei Vinsmoselle, die letzten 25 Jahre davon als Direktor.
2011 trat er in den wohlverdienten Ruhestand. Der Weinbau wurde ihm in die Wiege gelegt. Seit 1703 widmeten sich seine Vorfahren mütterlicherseits, die Familie Pundel aus Wormeldingen, dem Weinbau. Seine Berufslaufbahn in der Genossenschaftskellerei hat Luxemburgs Weinbau nachhaltig verändert. 1991 wurde der erste Crémant in Luxemburg hergestellt.
Constant Infalt: Bis zum Ersten Weltkrieg war Luxemburg Mitglied im deutschen Zollverein. Der französische Champagnerproduzent Mercier aus Epernay profitierte durch seine Niederlassung gegenüber dem Hollericher Bahnhof von der Zollunion. In den Hollericher Kellereien befüllten Eugène Merciers Arbeiter jährlich zwischen drei und fünf Millionen Flaschen des in Frankreich hergestellten Champagners und exportierten diese dank der Zollunion zu vergünstigten Bedingungen nach Deutschland und an den russischen Hochadel.
Die Luxemburger Winzer hingegen exportierten nur Most nach Deutschland, eine Weiterverarbeitung des Mosts zu Wein bestand bei uns nicht. Mit der Auflösung der Zollunion nach dem Ersten Weltkrieg standen Luxemburgs Winzer vor dem Nichts. Sie vereinten ihre Kräfte und gründeten 1921 in Grevenmacher eine erste Genossenschaftskellerei. Die Winzer waren weiterhin im Anbau tätig. Kellermeister im Dienste der Genossenschaften widmeten sich der Herstellung von Wein, Marketingspezialisten leiteten den Verkauf.
1927 entstand eine zweite Genossenschaftskellerei in Stadtbredimus. Die dritte Genossenschaft wurde 1929 in Greiveldingen gegründet, 1930 folgten Wellenstein und Wormeldingen. Erst 1948 entschieden sich die Winzer aus der Region um Remerschen-Schengen-Wintringen für eine genossenschaftliche Kellerei. 1966 fusionierten fünf Genossenschaften zur Vinsmoselle, Wormeldingen entschied sich erst 1987 für den Beitritt.
Wie ist Luxemburgs Winzerwesen heute organisiert?
Etwa 55 Prozent der Winzer sind Anteilinhaber in der Genossenschaftskellerei Vinsmoselle, 30 Prozent betreiben ihr Weingut in privater Eigenregie. Der restliche Anteil von 15 Prozent besteht aus reinem Weinhandel, es sind dies beispielsweise die Kellereien Bernard-Massard, Gales, Mathes und Desom.
Welche Vorteile hat die Genossenschaft gegenüber einem Privatwinzer?
Der Privatwinzer betreibt den Anbau, die Vinifizierung und die Vermarktung in Eigenregie. In der Genossenschaft ist der Winzer lediglich für den Weinbau verantwortlich. Die Genossenschaft ist in der Verpflichtung, die gesamte Lese anzukaufen. Die Weinherstellung und Vermarktung obliegt der Genossenschaft; für die Winzer, als Miteigentümer der Genossenschaft, demnach eine Win-win-Situation mit einem stabilen Absatzmarkt.
In Luxemburgs Weinlagen begegnet man heute einer breiten Sortenvielfalt. War das auch schon um 1920 der Fall?
Um 1920 bauten die Winzer zu 90 Prozent Elbling und zu 10 Prozent Rivaner an. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich dieses Verhältnis verschoben. Anfang der 1970er Jahre kamen vermehrt neue Sorten hinzu: Riesling, Pinot Blanc, Pinot Gris, Auxerrois und vereinzelt die Rotweinsorte Pinot Noir. Nach wie vor ist Luxemburg aufgrund seiner Geologie ein Anbaugebiet für sehr hochwertige Weißweine.
Welchen Einfluss hat die Sortenvielfalt auf den Absatzmarkt?
Früher tranken die Weinliebhaber Elbling und Rivaner in den Gaststätten, oftmals in guter Gesellschaft und über lange Stunden. Heute spielen die Weine eine bedeutende Rolle zu Tisch. Mit der Gründung der ersten Supermärkte in den 60er Jahren fanden die Weine den Weg zum Konsumenten nach Hause. Der neue Absatzmarkt ist für die Winzer von Wichtigkeit, in der Gastronomie ging der Absatz aus bekannten Gründen zurück.
Der Markt ist gut reguliert, die Preise bleiben eher stabil. Die Supermarktwelt ist und bleibt eine Herausforderung für den Luxemburger Weinbau. Die Konkurrenz aus dem Ausland und der Preisdruck sind groß, die Qualität der Luxemburger Weißweine und Crémants ist aber unübertreffbar. Die Qualität ist Luxemburgs Stärke am internationalen Weinmarkt.
Vom günstigen Gaststättenwein bis zum heutigen Qualitätsprodukt hat sich viel getan. Welche Maßnahmen wurden in der Praxis dazu ergriffen?
Neben der Gründung der Winzergenossenschaftskellereien war das sogenannte „Remembrement“ – die Flurbereinigung, also das Zusammenlegen vieler kleiner Weinbergparzellen zu größeren – ein sehr wichtiger Schritt. Somit wurde der Zugang zu den Weinbergen durch den Bau von Zugangswegen vereinfacht. Der Abstand zwischen den Reben konnte von ursprünglich 70 Zentimetern auf etwa zwei Meter erweitert werden.
Einerseits kam es so zu einer besseren Durchlüftung der Reben und somit einer Verminderung von Pilzerkrankungen. Andererseits führte die Flurbereinigung zu einer wesentlichen Arbeitserleichterung und Zeitreduzierung um den Faktor 6. Per Gesetz von 1992 wurde der Ertrag pro Hektar nach dem Motto Qualität statt Quantität begrenzt.
Mit Pilzerkrankungen an den Reben verbindet man zwangsläufig den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und das Helikopter-Spritzen. Vielen Menschen ist das ein Dorn im Auge. Was hat sich in diesem Bereich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Unsere Vorfahren verbrachten unzählige mühsame Stunden in den steilen Weinbergslagen. Die Arbeit war hart und die Winzer atmeten die so ausgetragenen Sprühmittel ein. Der genossenschaftliche Einsatz des Spritzhelikopters führte zu einer Arbeitserleichterung und – paradoxerweise – zu einer Verminderung der Umweltbelastung.
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist heute eine präzise Wissenschaft. Computertechnik, eine präzise Kartografie sowie jahrzehntelange Aufzeichnungen von Krankheiten und meteorologischen Daten ermöglichen einen gezielten Einsatz. Im Klartext: Heute wird weniger gespritzt als früher. Neue Vorschriften schränken den Einsatz des Helikopters ein, ergo eine neue Herausforderung für die Winzer. Eine sehr glückliche Entscheidung war das Helikopterflugverbot nicht. Die Entscheidung über den Einsatz von Spritzmitteln (Produktauswahl, Menge, Häufigkeit) liegt nun wieder in den Händen des einzelnen Winzers.
Weinanbau und Herstellung sind eine Sache. Wie sieht der Absatzmarkt heute aus?
Zahlreiche Faktoren haben den Weinmarkt in den letzten Jahrzehnten beeinflusst. Aus diesem Grund war ich ab 1985 maßgeblich an der Vorbereitung der Crémant-Gesetzestexte beteiligt. Am 15. November 1991, dem offiziellen Vermarktungsdatum der ersten Luxemburger Sorte, stellte Vinsmoselle gleich sechs verschiedene Crémants unter dem neuen Markennamen „Poll-Fabaire“ vor.
Die Frauen entdeckten das sprudelnde und erfrischende Getränk für sich. Die breite Sortenvielfalt ermöglichte es, diesen Weg mit einem völlig neuen Produkt einzuschlagen, wobei Vinsmoselle stets die treibende Kraft war, um einen neuen und sehr ertragsreichen Absatzmarkt für die luxemburgischen Weine zu entwickeln.
Die Regelungen des europäischen Binnenmarkts waren für Luxemburg vorteilhaft: Anfangs durften nur Frankreich und Luxemburg die Bezeichnung „Crémant“ führen, zudem sind wir seit 1992 beim Wettbewerb „Crémants de France“ zugelassen, der seit 1995 „Concours des crémants de France et du Luxembourg“ heißt. Dieser für unsere Crémant-Produzenten wichtiger Wettbewerb fand bereits dreimal hierzulande statt.
Typische luxemburgische Gaststätten und Restaurants sind größtenteils verschwunden, eine ausländisch geprägte Gastronomie fand Einzug im Land und führte somit oft zur Verdrängung unserer Weine in der Gastronomie. Ich möchte diese Entwicklung nicht negativ beurteilen. Im Gegenteil: Die multikulturelle Gesellschaft sehe ich als eine Chance an. Die Vermarktung unserer Produkte an neue Zielgruppen ist jedoch eine der wichtigsten Herausforderungen der heutigen Entscheidungsträger auf dem hiesigen Weinmarkt.
Spielt der Onlinehandel mit Wein eine wichtige Rolle?
1996 führte Vinsmoselle als erstes luxemburgisches Unternehmen ein Online-Angebot ein. Der Zeitpunkt war wahrscheinlich etwas zu früh gewählt, der Absatz eher gering. Unsere Kundschaft war es gewohnt, die Weine nach einer Kostprobe vor Ort bei uns oder im Einzelhandel zu erwerben. Heute spielt der E-Commerce natürlich eine zunehmend wichtigere Rolle.
Ungünstige Wetterbedingungen bedeuten unter Umständen das Aus für den Winzer. In der breiten Öffentlichkeit stießen die staatlichen Finanzspritzen zur Deckung des Ertragsausfalls oft auf Unverständnis. Unter Ihrem Einfluss als ehemaliger Vinsmoselle-Direktor entstand ein neues System zur Kompensierung des wetterbedingten Ertragsausfalls. Wie funktioniert diese Regelung?
Bei Unwetterkatastrophen beantragten die betroffenen Winzer jedes Mal Zuschüsse im Landwirtschafts- und Weinbauministerium. Das führte immer wieder zu öffentlichen Kritiken. Um diesem Problem zu entgehen, schlugen wir den Weg über eine Versicherung vor. Die Winzer versichern sich nun seit etlichen Jahren auf freiwilliger Ebene gegen wetterbedingten Ertragsausfall. Der Staat beteiligt sich heute mit bis zu 65 Prozent an den Versicherungsprämien, ist jedoch nicht mehr in der Zahlungspflicht bei Unwetterschäden.
Auf diese Weise konnten zur Zufriedenheit der Steuerzahler und der Winzer alle Diskussionen um eine Entschädigung bei Unwetter aus der Welt geschafft werden. Ich möchte aber unterstreichen, dass Unwetterschäden langfristige Auswirkungen haben. Im ungünstigsten Fall gelingt es dem Winzer nicht, seine Produktion aufrechtzuerhalten. Ergo kann sein Produkt nicht vermarktet werden, die Konsumenten finden schnell Ersatz. Im Nachhinein kann es lange dauern, bis die Betroffenen wieder im Handel Fuß fassen. Der Weinberg und seine Produkte sind das Kapital des Winzers.
Kommen wir zum Schluss unseres Gesprächs auf den Klimaschutz zu sprechen. Ist das ein Thema bei den Winzers?
Absolut. Das Weinjahr beginnt mit der Lese der Trauben im Herbst, dieser Termin hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach verschoben: von Anfang Oktober bzw. Ende September auf Anfang September. Den Klimawandel beobachten wir Winzer somit seit etwa 20 Jahren. Auch dies ist eine Herausforderung für die Zukunft des Weinbaus.
Seit 2011 sind Sie im wohlverdienten Ruhestand. Sind Sie noch im Weinbau tätig?
Ja, in der Tat, der Winzerberuf – es ist ja unsere Familientradition – liegt mir immer noch im Blut. Ich habe einige Weinberge erworben und betreibe dort den Anbau für einen herausragenden neuen Marken-Crémant, den ich unter eigenem Namen selbst in China und neuerdings auch in Luxemburg vor allem an Unternehmen und Privatleute vermarkte. Ich bin jetzt Genossenschaftsmitglied bei Vinsmoselle und somit ist es mir eine besondere Ehre, dass unsere Kellermeister meinen Crémant herstellen.Seit 30 Jahren bin ich außerdem stark im weltweiten Rotary Club eingebunden – unter dem Motto „Service above yourself“, wo wir sehr vielseitige nationale und internationale Projekte im Dienste von Frieden, Alphabetisierung, Ausrottung der Kinderlähmung (Polio), direkte Hilfe in Krisensituationen usw. leisten.
Von unserem Korrespondenten André Feller
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