Wurde der Kasseler Regierungspräsident auf seiner Terrasse von einem Rechtsextremisten erschossen? Diesem ungeheuerlichen Verdacht geht nun der Generalbundesanwalt nach. Steckt ein Netzwerk dahinter?
Nach Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Der verhaftete 45-jährige Tatverdächtige hatte nach Angaben aus Sicherheitskreisen zumindest in der Vergangenheit Verbindungen in die rechtsextreme Szene. Laut «Zeit Online» soll er 1993 einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth verübt haben.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wird gegen den Mann wegen eines Tötungsdelikts mit politischem Hintergrund ermittelt. Spezialeinheiten hatten ihn am frühen Samstagmorgen in Kassel gefasst, er sitzt seit Sonntag unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Das genaue Motiv ist aber weiterhin unklar. Die Bundesanwaltschaft wollte am Montagnachmittag eine Erklärung abgeben. Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha bei Kassel entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb wenig später im Krankenhaus. Seither ermittelt eine mittlerweile 50-köpfige Sonderkommission. Nach dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung starb Lübcke an einem Schuss aus kurzer Distanz.
DNA-Spur führte zum Verdächtigen
Der Regierungspräsident war in der Vergangenheit wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen bedroht worden. Er hatte sich 2015 auf einer Informationsveranstaltung gegen Schmährufe gewehrt und gesagt, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne das Land verlassen. Zu den Gründen für die Übernahme der Ermittlungen wollte sich die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht äußern. Der Generalbundesanwalt verfolgt Taten terroristischer Vereinigungen. Ermittlungen gegen Einzeltäter kann er aber dann übernehmen, wenn dem Fall wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung und der Auswirkungen der Tat «besondere Bedeutung» zukommt.
Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb unter Berufung auf Ermittlerkreise, da man nicht ausschließen könne, dass eine rechtsextreme Bande am Werk sei, sei Karlsruhe der richtige Ort. «Wir haben aus den Fällen NSU und Amri gelernt», wurde ein Ermittler zitiert. Im Fall der Terrorzelle NSU war der rechtsextreme Hintergrund der Morde erst spät erkannt worden, im Fall des islamistischen Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, hatte es keine reibungslose Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gegeben.
Die Festnahme des Verdächtigen in Kassel geht nach Angaben der hessischen Ermittler auf eine DNA-Spur zurück, die zu einem Treffer in einer Datenbank führte. Laut «Süddeutscher Zeitung» liegen über den 45-Jährigen polizeiliche Erkenntnisse über Landfriedensbruch, Körperverletzung und Waffenbesitz vor.
Verdächtiger mit Vorgeschichte
Der Mann soll nach einem Bericht von «Zeit Online» 1993 einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Hohenstein-Steckenroth verübt haben. Damals war ein brennendes Auto an der Unterkunft im Rheingau-Taunus-Kreis gerade noch rechtzeitig gelöscht worden, bevor der selbst gebastelte Sprengsatz auf der Rückbank detonieren konnte. Bei dem damals festgenommenen 20-Jährigen habe es sich um den Mann gehandelt, der nun unter Mordverdacht stehe. Er sei damals zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Eine Bestätigung der Ermittler war dafür zunächst nicht zu bekommen.
Nach Informationen des «Spiegels» soll der Verdächtige zumindest in der Vergangenheit auch im Umfeld der hessischen NPD aktiv gewesen sein. Vor zehn Jahren sei er auch an Angriffen von Rechtsradikalen auf eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 2009 in Dortmund beteiligt gewesen. Er sei damals wegen Landfriedensbruchs zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Seither sei er nicht mehr als extremistisch aufgefallen, berichtete der «Spiegel» unter Berufung auf Sicherheitskreise.
«Der Fall Lübcke ist sehr ernst»
Nach Lübckes Tod hatten hasserfüllte und hämische Reaktionen aus der rechten Szene im Internet für Empörung gesorgt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sie «zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig» genannt.
Die Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hofften nun, dass so schnell wie möglich geklärt werde, wer Lübcke warum erschossen habe, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. «Davon abgesehen kann man dem Bundespräsidenten nur zustimmen, der neulich sagte, dass die zahlreichen rechtsextremistischen Hasskommentare im Netz nach dem Tod von Herrn Lübcke abstoßend und widerwärtig waren».
Grüne, FDP, Linke und AfD im Bundestag forderten eine Sondersitzung des Innenausschusses. Die CDU/CSU zeigte sich dazu bereit. «Der Fall Lübcke ist sehr ernst», sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» (Dienstag). «Einer Erörterung des Falles im Innenausschuss stehen wir aufgeschlossen gegenüber – auch schon in der kommenden Woche.»
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