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Nach Wahlsieg für parteilose Adamowicz-Stellvertreterin wird Danzig weiterhin weltoffen regiert

Nach Wahlsieg für parteilose Adamowicz-Stellvertreterin wird Danzig weiterhin weltoffen regiert

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Große Freudenstürme im Danziger Rathaus: «Ich danke euch allen für die Gratulationen; nun aber müssen wir uns an die Arbeit machen», kommentierte Aleksandra Dulkiewicz im dritten Stock am Montagmittag ihren offiziell bestätigten Wahlsieg. «Wir haben viel vor, ohne euch schaffe ich das nicht», sagte die bisherige Interimsbürgermeisterin zu den mit Blumen herbeigeeilten Mitarbeitern.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau

Dulkiewicz hat die Nachwahlen für das Bürgermeisteramt von Danzig erwartungsgemäß bereits in der ersten Runde für sich entschieden. Sie kam auf 82,2 Prozent der Stimmen. Der rechtsextreme Herausforderer und Filmregisseur Grzegorz Braun kam auf 11,9 Prozent der Stimmen. Der rechts-katholische Bauunternehmer Marek Skiba landete mit 5,9 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Die Wahlbeteiligung war mit fast 49 Prozent relativ hoch.

Dulkiewiczs Wahlsieg hatte sich bereits in der Nacht zum Montag abgezeichnet, doch wollte sie in der Wahlnacht noch keine Gratulationen entgegennehmen. Sie lächelte nur, als ihre Anhänger Slogans wie «Freie Stadt Danzig» skandierten. Allerdings galt die Wahl der Interimspräsidentin praktisch als ausgemacht, nachdem sowohl der liberale wie auch der konservative Spitzenkandidat der regulären Bürgermeisterwahl vom Herbst 2018 auf ihre erneute Kandidatur verzichtet hatten.

Die Regierungspartei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) stellte nach dem Mord an Pawel Adamowicz aus Pietätsgründen keinen neuen Herausforderer auf. Die oppositionelle liberale Bürgerplattform (PO) unterstützte Dulkiewicz, nachdem sich der PO-Mitbegründer und EU-Ratspräsident Donald Tusk demonstrativ auf ihre Seite gestellt hatte. Auch die post-kommunistischen Linksdemokraten (SLD) und die neue Linkspartei «Wiosna» des Homosexuellen-Aktivisten Robert Biedron unterstützten die parteilose Dulkiewicz.

Hintergründe des Anschlags weiter ungeklärt

Die 39-jährige Juristin hatte das Bürgermeisteramt Mitte Januar kommissarisch übernommen, nachdem ihr Chef Pawel Adamowicz bei einer öffentlichen Spendenveranstaltung in der Danziger Altstadt von einem mutmaßlich geistig gestörten Ex-Häftling niedergestochen worden war. Zuvor war sie bereits mehrere Jahre Vize-Bürgermeisterin im Wirtschaftsressort gewesen und hatte sich als Koordinatorin der Fußball-EM 2012 in Danzig in Verwaltungskreisen hohes Ansehen erworben. Die Herzen der Danziger hatte sich Dulkiewicz indes mit ihren ungekünstelten und emotionalen Auftritten in den Schreckenstagen nach der tragischen Ermordung des als engagierter Stadtvater geltenden Bürgermeisters erobert.

Der Anschlag ist immer noch nicht geklärt. Seit fast zwei Monaten wird die Zurechnungsfähigkeit des Mörders abgeklärt. Die Staatsanwaltschaft unternimmt dazu alles, um eine mögliche politische Motivation auszuschließen. Der Mörder selbst hatte seine Bluttat nach dem Attentat mit seinem Hass auf die PO erklärt, deren Parteimitglied Adamowicz von 2000 bis 2015 gewesen war. Inzwischen ist auch die nach der Bluttat über Wochen heftige Diskussion über politischen Hass und von allen Parteien und Medien geschürte Hassreden wieder merklich abgeflaut.

Das Werk Adamowiczs zu Ende führen

Dulkiewicz hatte Ende Januar ihre Kandidatur für die Adamowicz-Nachfolge angekündigt. Sie wolle ganz einfach «Pawel Adamowiczs Werk zu Ende führen», versprach sie den Danzigern. Dulkiewicz trat zu den Nachwahlen im Namen der parteilosen Bewegung «Alles für Danzig!» an, deren Wahlkampfleiterin sie bei den regulären Bürgermeisterwahlen vom Herbst gewesen war. Adamowicz hatte damals überraschend zwei Runden gebraucht, um sich gegen seinen liberale Herausforderer Jaroslaw Walesa (PO) und schließlich Kacper Plazynski (PiS) durchzusetzen. Es zeigten sich damit erste Abnützungserscheinungen des seit 20 Jahren regierenden ehemaligen «Solidarnosc»-Dissidenten, dem unter anderem Immobiliendeals und Zusatzdiäten aus Verwaltungsratsmandaten städtischer Betriebe vorgeworfen worden waren.

Dulkiewicz ritt jedoch auf der Welle der Betroffenheit nach der Bluttat. Erst in den letzten Tagen vor dem Urnengang vom Sonntag stellte sie ein eigenes Wahlprogramm vor. Sie versprach den Danzigern einen weiteren Ausbau des Öffentlichen Verkehrs, mehr Sicherheit für Velofahrer und Fußgänger und mehr Krippenplätze. Auch stellte sie ein Konzept vor, die in Danzig schwierigere Arbeitsplatzsituation als in Warschau oder etwa Westpolen durch die Integration der beiden Nachbarstädte Sopot (Zoppot) und Gdynia (Gdingen) zu verbessern. Da sie bei der Organisation der Trauerfeierlichkeiten bereits von beiden Stadtpräsidenten unterstützt worden war, sollte ihr auch dies mühelos gelingen. Schwieriger wird es mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen selbst.

Dem entgegen stellten ihre beiden rechten Herausforderer Braun und Skiba eine ganze Reihe typischer Versatzstücke der rechts-nationalen Regierungspolitik. Vor allem der von ein paar rechtsextremen Splitterparteien offen unterstützte Filmregisseur Braun wetterte gegen ein «Danziger Netzwerk von Postkommunisten und Mafia», den von einem liberalen Danzig ausgehenden drohenden Verlust der Souveränität Polens und die Verherrlichung von Homosexualität bei gleichzeitiger Unterwanderung der traditionellen Familie. Skiba, der auf der Zielgeraden von Plazynski unterstützt worden war, gab sich etwas gemäßigter.

Der Zentralregierung ein Dorn im Auge

Auch er zitterte indes gegen die von Adamowicz geförderte Aufnahme von Flüchtlingen. Der rechts-katholische Basisaktivist rief zu einem «Kreuzzug zur Befreiung des Menschen» auf und warb in seinen Wahlkampfauftritten für natürliche Empfängnisverhütung. Der Wahlkampf in Danzig zeigte trotz der teils extremen Positionen einmal mehr jene Offenheit der Hafenstadt für vielerlei Ansichten und Einstellungen, die in den letzten 20 Jahren von Bürgermeister Adamowicz gepflegt worden war.

Dass dies der Warschauer Zentralregierung unter Jaroslaw Kaczynski weiterhin ein Dorn im Auge sein wird, wurde bereits in den ersten Tagen von Dulkiewiczs Interimsstadtpräsidentschaft klar. Kaum war Adamowicz unter betroffener Anteilnahme auch vieler Regierungsmitglieder bestattet worden, versuchte Kaczynskis Kulturminister mit willkürlichen Mittelstreichungen die feindliche Uebernahme des von der Stadt getragenen «Solidarnosc»-Museums «European Centre of Solidarity» (ECS).

Dulkiewicz eilte zu Verhandlungen nach Warschau und erlebte mit der Sammlung der gestrichenen Mittel durch eine Danziger Ad-hoc-Bürgerinitiative eine erste praktische Solidaritätsbekundung. Das ECS ist für 2019 erst einmal gerettet und kann nicht nur den Museumsbetrieb aufrechterhalten, sondern auch weiterhin die Zivilgesellschaft unterstützen. Vor allem Letzteres ist der PiS aufgestoßen.

Anfang Juni will Dulkiewicz zusammen mit fast 300 oppositionell zur Zentralregierung eingestellten Bürgermeistern im ECS den 30. Jahrestag der ersten halbfreien Wahlen in Osteuropa begehen. Diese führten 1989 zum Mauerfall. Für diesen Feiertag, der von der PiS boykottiert wird, hat sich bereits der aus Danzig stammende Tusk angekündigt. In Polen hält sich hartnäckig das Gerücht, Tusk wolle dort eine neue oppositionelle Bürgerbewegung ins Leben rufen, die die PiS weit mehr fürchten müsse als Dulkiewicz und ihre «Freie Stadt Danzig» heute.