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Zu arm oder zu dick? Serbiens Politiker mühen sich, die Armut im Land schönzureden

Zu arm oder zu dick? Serbiens Politiker mühen sich, die Armut im Land schönzureden

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Armut ist für die Statistik eine Definitionsfrage, gleichzeitig für um ihre Wiederwahl besorgte Politiker vor allem ein eher lästiges Phänomen. In Serbien mühen sich die Würdenträger um eine kreative Interpretation ernüchternder Zahlen, um das triste Bild aufzuhellen.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Eigentlich haben sie nichts, aber dennoch wird um die Armen gerade in armen Staaten besonders kräftig gestritten. Die Frage, wie Armut zu definieren ist und wer davon betroffen ist, beschäftigt nicht nur Statistiker und Sozialwissenschaftler, sondern auch die um ihre Wiederwahl besorgten Politiker: In Serbien mühen sich die Würdenträger um eine kreative Interpretation eher ernüchternder Zahlen, um das triste Bild etwas aufzuhellen.

„Niemals sind wir zufrieden“

Grundsätzlich offenbarte in dieser Woche bei einem TV-Interview Serbiens allgewaltiger Präsident Aleksandar Vucic. Es sei „natürlich“, dass der Mensch „immer mehr“ wolle: „Niemals sind wir zufrieden.“ Doch während es auf der Welt „nicht viele Hungrige“ gebe, würden drei Milliarden Menschen mit Übergewicht kämpfen, so der Präsident, bevor er sich erneut in der Rolle des unerschrockenen Tabubrechers versuchte: „Niemand in Serbien wird jemals sagen, dass wir ein Problem mit Übergewicht, aber nicht mit Hungrigen haben.“ In dieselbe Kerbe schlug kürzlich seine ihm treu ergebene Statthalterin auf der Regierungsbank. „Extreme Armut“ sei in Serbien ausgerottet, so Regierungschefin Ana Brnabic.

Die Zeiten seien lange vorbei, dass Reiche dick und Arme mager gewesen seien, konstatiert hingegen die Belgrader Zeitung Danas: Dem erhöhten Risiko der Fettleibigkeit seien gerade Arme wegen der mit Kohlenhydraten, Zucker und Fetten angereicherten Billignahrung ausgesetzt. Armut ist für die Statistik eine Definitionsfrage, gleichzeitig für um ihr Rating dauerbesorgte Politiker vor allem ein eher lästiges Phänomen. Bei einem statistischen Durchschnittseinkommen von derzeit 426 Euro im Monat liegt in Serbien die offizielle Armutsgrenze derzeit bei umgerechnet rund 105 Euro pro Person im Monat – ein Betrag, mit dem man selbst auch im gebeutelten Balkanstaat faktisch kaum über die Runden kommen kann.

Ein relatives Phänomen

7,2 Prozent der Bevölkerung, rund 500.000 Menschen, verfügen in dem Balkanstaat über noch weniger Bezüge – und gelten demnach offiziell als arm. Doch Armut ist selbst für Statistiker immer ein relatives Phänomen. Laut den sogenannten SILC-Erhebungen des Europäischen Statistikamts (Eurostat) ist das Risiko von Armutsgefährdung und sozialer Ausgrenzung in Serbien selbst noch geringer als in der reichen Schweiz. Ausgehend von einer Armutsgrenze von 60 Prozent des Durchschnittslohns gelten in der Schweiz Menschen mit Jahresbezügen von weniger als 44.134 Euro als gefährdet – rund das 17-fache des von Eurostat für Serbien errechneten Werts von 2.534 Euro im Jahr.

Doch selbst Eurostat weist darauf hin, mit den Statistiken zur Armutsgefährdung keineswegs die Armut oder den Reichtum eines Staats zu bewerten. In Serbien stoßen derweil die Politiker-Anstrengungen, die ernüchternden sozialen Realitäten schönzureden, auch auf Widerspruch – und Befremden. Es scheine, als ob „die Politiker in einem anderen Staat als wir leben“, klagt Ranka Savic, die Vorsitzende des Verbands der freien Gewerkschaften.