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Vor 25 Jahren war er ein Ziel im ersten Kampfeinsatz der Nato: „Plötzlich waren da zwei F-16 über uns“

Vor 25 Jahren war er ein Ziel im ersten Kampfeinsatz der Nato: „Plötzlich waren da zwei F-16 über uns“

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Im Morgengrauen des 28. Februar 1994 dachte Zlatan Crnalic, es werde eine Bombardierung wie jede andere in dem seit fast zwei Jahren tobenden Bosnien-Krieg. Der Pilot der bosnisch-serbischen Luftwaffe im Range eines Hauptmanns hatte wie gewohnt den Dienst in der Luftwaffenbasis Udbina im damals serbisch besetzten Teil Kroatiens angetreten.

Kurz nach dem Start flogen er und seine fünf Kameraden mit ihren einsitzigen Jagdbombern vom Typ Soko J-21 Jastreb in den Sonnenaufgang über den zerklüfteten Gebirgen Bosniens. Die Mission: «Neutralisierung» einer Waffenfabrik der bosnisch-muslimischen Armee im zentralbosnischen Novi Travnik.

Ein gewisses Risiko barg der Einsatz. Denn der UN-Sicherheitsrat hatte nach Ausbruch des Bosnien-Kriegs 1992 ein Flugverbot für die ex-jugoslawische Republik verhängt. Über Flugzeuge verfügten allein die Serben, deren Streitkräfte zu diesem Zeitpunkt 70 Prozent des bosnischen Territoriums kontrollierten. Alle Kriegsparteien, also auch die bosnischen Muslime und die Kroaten, hatten Helikopter. Im April 1993 erhielt die Nato das Mandat, das Flugverbot notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Doch bis zu jenem 28. Februar hatten sich die Nato-Piloten der Operation «Deny Flight» damit begnügt, die Piloten illegaler Flüge zur Umkehr oder sofortigen Landung aufzufordern.

Die sechs serbischen Kampfjets warfen ihre zerstörerische Ladung plangemäß über der Waffenfabrik ab. «In Zweierformationen machten wir uns auf verschiedenen Wegen auf den Rückweg», erinnert sich Crnalic 25 Jahre später. Der heute 55-jährige pensionierte Oberst flog neben Major Uros Studen. «Plötzlich waren da zwei (US-Kampfjets vom Typ) F-16 über uns. Für einen solchen Fall war ausgemacht, dass man getrennt weiterfliegt, um das Risiko einer Konfrontation zu minimieren.»

Es ging alles rasend schnell

Dennoch war Crnalic mitten in den ersten Kampfeinsatz der Nato seit ihrer Gründung 45 Jahre zuvor geraten. Von ihm unbemerkt, hatte der F-16-Pilot Hauptmann Robert G. Wright bereits zwei andere Jastrebs abgeschossen. Die Piloten der waffentechnisch weit unterlegenen serbischen Jets starben. Nun nahmen Wright und sein Partner, Hauptmann Scott O’Grady, die Verfolgung des nächsten Jastreb-Paares auf. Mit einer Rakete schoss Wright den Jet von Studen ab. Er konnte durch Katapultieren sein Leben retten. Crnalic hatte O’Grady im Nacken.

«Es ging alles rasend schnell», erzählt der Pilot heute. «Ich flog so tief, wie ich nur konnte. Ich bemerkte eine Explosion. Das Funkgerät war ausgefallen.» Die Rakete, die O’Grady abgefeuert hatte, war neben der Jastreb explodiert, wahrscheinlich, weil Crnalic in tollkühnem Tiefflug unter einer Hochspannungsleitung durchgeflogen war. Der Jet war am Heck schwer beschädigt, die Funkantenne zerstört. Aber die Jastreb flog noch.

«Der amerikanische Pilot verfolgte mich nicht mehr, vielleicht glaubte er, die angeschossene Maschine würde ohnehin abstürzen», meint Crnalic. «Aber ich verlor Kerosin, denn auch der Tank war beschädigt. Ich zog den Jet hoch, wollte katapultieren.» Doch er befand sich über einem Gebiet, das der Kriegsgegner kontrollierte. Crnalic verwarf den ursprünglichen Entschluss. Mit dem letzten Tropfen Kerosin erreichte er die serbische Krajina in Kroatien. Im Gleitflug setzte er die Jastreb auf der Landebahn von Udbina auf.

Keine Wende im Bosnien-Krieg

Später erfuhr Crnalic, dass eine weitere F-16 eine weitere Jastreb abgeschossen hatte – auch ihr Pilot starb. Der sechste serbische Jet flog in weitem Bogen davon. Infolgedessen ging ihm das Kerosin aus. Der Pilot sprang per Katapult und Fallschirm ab, bevor die Maschine in den bosnischen Bergen zerschellte. Die Bilanz für die Serben war verheerend: drei Piloten im Kampf gefallen, fünf Flugzeuge verloren. Nur Crnalic brachte seine Jastreb zu ihrer Basis zurück. Sie konnte sogar repariert und wieder eingesetzt werden.

Eine Wende im Bosnien-Krieg brachte der Nato-Kampfeinsatz in der Luft nicht. Diese trat wenige Monate später ein, als sich die strategische Gleichung am Boden änderte. Die USA und arabische Staaten halfen den kroatischen und bosnisch-muslimischen Truppen, ihre Schlagkraft zu erhöhen. Im Juli 1995 brachten die bosnischen Serben mit dem Massaker an 8000 Männern und Jugendlichen aus der muslimischen Enklave Srebrenica die Weltöffentlichkeit gänzlich gegen sich auf. Die Nato setzte daraufhin moderne Artillerie ein, um den Belagerungsring der Serben um die Hauptstadt Sarajevo zu sprengen. Ende 1995 beendete das Friedensabkommen, das in der US-Luftwaffenbasis Dayton ausgehandelt wurde, den Bosnien-Krieg. 100 000 Menschen waren bis dahin getötet, über zwei Millionen vertrieben oder zur Flucht genötigt worden.

US-Pilot O’Grady, der Crnalic beinahe abgeschossen hätte, wurde 15 Monate später selbst über einem Serbengebiet in Bosnien außer Gefecht gesetzt. Eine Woche lang versteckte er sich vor serbischen Suchtrupps im Unterholz, ehe ihn US-Marineinfanteristen herausholten. Die bosnisch-serbischen Piloten, behauptet Crnalic, hätten sich bei ihrem Militärkommando dafür eingesetzt, die Suche abzubrechen. Sie befürchteten, dass örtliche Serben den amerikanischen Kollegen an Ort und Stelle lynchen würden.

Gegen die US-Piloten, die drei seiner Kameraden getötet haben, hegt er jedenfalls keinen Groll. «Sie haben ihren Job gemacht, ich den meinen.» Seit seiner Pensionierung im vergangenen November arbeitet der ehemalige Kampfpilot als Fluglehrer für eine zivile Flugschule in Banja Luka, der Hauptstadt der serbischen Landeshälfte.

Seit fast sieben Jahren lastet eine familiäre Tragödie auf dem Leben von Crnalic. Sein Sohn Alen, damals 23, war in die Fußstapfen des Vaters getreten und hatte den Sportpilotenschein erworben. Am 20. Mai 2012 hob er mit einer Cessna und vier Fallschirmspringern an Bord vom Flughafen Banja Luka ab. Kurz nach dem Start explodierte das Kleinflugzeug, aus nicht abschließend geklärten Gründen. Alle fünf Insassen starben.