Die Diskussion verschiebt sich bei den samstäglichen Demonstrationen in Frankreich. Standen in der Anfangsphase die Gelbwesten stark in der Kritik, so wirft die Öffentlichkeit nun zunehmend ein Auge auf das Verhalten der Polizei und geht mit ihr ins Gericht.
Demonstranten mit Steinen in der Hand. Brennende Barrikaden und zerstörte Autos, Plünderungen von Geschäften: Das waren die Bilder, die in den vergangenen Wochen insbesondere von Paris aus in die Welt gingen. Es waren die ausufernden Demonstrationen der Gelbenwesten, die die Bewegung in Verruf brachten. Allerdings: Es ist wie immer bei großen Protestkundgebungen, die stets zwei Seiten haben. Nach und nach ist es den Gelbwesten gelungen, die Situation zu drehen. Das Augenmerk liegt nun auf Gendarmen und Bereitschaftspolizisten und deren Benehmen.
Tränengasgranaten, Steinwerfer und schießende Polizisten
Das hat viel mit einer Veränderung der Bewegung zu tun, aber auch mit der französischen Medienlandschaft. Die unkoordinierte Bewegung, die aus einem Video der Bretonin Jaceline Mouraud hervorging und die am 17. November vor allem Kreisverkehre sperrte, hat sich zu einer strukturierten Bewegung entwickelt, die sowohl radikale als auch moderate Gruppen umfasst. Medien und diese Professionalisierung haben die Sichtweise und die Forderungen verändert.
Bisher waren es vor allem Fernsehteams der vier Nachrichtensender, die rund um die Uhr senden. Bei den Samstags-Demonstrationen in Paris, Toulouse, Bordeaux, Marseille, Valence, Rennes und anderen Städten flimmern Demonstrationszüge, Nebelschwaden von Tränengasgranaten, Steinwerfer und schießende Polizisten auch schon einmal acht Stunden lang über den Bildschirm. Bilder, wie die des Amateurboxers, der einen Polizisten als Punchingball benutzt oder auf einen anderen am Boden liegenden eintritt, prägen sich dabei ein. Die Polizei als Opfer, das war bisher das Bild.
Die Demonstranten haben Wochen benötigt, um zu begreifen, wie sich eine Kundgebung abspielen sollte. Dann meldeten sie sie an, schufen auch ihren eigenen Ordnungsdienst. Die Aufmerksamkeit der Medien richtete sich auf sie, als sie ihren eigenen medizinischen Dienst gründeten: Ärzte und Krankenschwestern in weißer Kleidung mit großen roten Kreuzen darauf, gekennzeichnet wie in Krisengebieten, die in den Demonstrationszügen mitliefen.
Mehr Mitsprache bei den politischen Entscheidungen
Frankreichs Nachrichtensender, die bei ihrer Finanzierung durch Werbung im harten Wettbewerb stehen, überfluten die Zuschauer mit Diskussionssendungen, in denen Experten Sachlagen erläutern sollen, in Wirklichkeit aber selten zur Aufklärung beitragen. In diesen Sendungen tauchen mehr und mehr Gelbwesten auf.
Es wird deutlich, dass sich die Bewegung verändert hat. In den Kreisverkehren stehen die Westen der ersten Stunde, die ein höheres Einkommen verlangen und geringere Steuern. In den Fernsehsendungen finden die politischen Forderungen statt. Ein Bürger-Referendum oder eine deutlich höhere Besteuerung der Reichen, die allerdings längst nicht mehr in Frankreich wohnen. Mehr Mitsprache bei den politischen Entscheidungen wird gefordert. Basisdemokratische Elemente werden ins Spiel gebracht und von Zeit zu Zeit auch die Bürgeraktionen der Französischen Revolution. Letztere ist auch 230 Jahre später wieder präsent.
Nach und nach hat sich die Gewalt der Polizei in die Themen eingeschlichen. Die Gelbwesten verfügen über etwas, gegen das die Regierung machtlos ist. Die vielen Filme, die mit Handys gemacht und in die Redaktionen geschickt werden, geben ihnen die Hoheit über das Bild. Da werden auf einmal Bilder gezeigt, wie ein Polizeikommissar einen bereits Festgenommen brutal schlägt oder wie in Toulouse die Bereitschaftspolizei Jagd auf davonlaufende Demonstranten macht.
Schwerste Verletzungen bei Demonstranten
Das französische Innenministerium veröffentlicht Zahlen: Es gibt Mitte Januar 2.000 verletzte Demonstranten, 1.000 verletzte Polizisten. Die verletzten Demonstranten sind teilweise schwer verletzt. Es gibt Augenverletzungen bis hin zum Totalverlust eines Auges. Es gibt Schwerstverletzungen an Händen und Füßen bis hin zu abgerissenen Händen, Fingern oder Füßen. Unter den Verletzten auch Kinder, die den Weg der Demonstranten kreuzten.
Die als Brutalität angeklagte Verfahrensweise hat ihren Grund. Französische Ordnungskräfte stehen wie im 18. und 19. Jahrhundert als Kette oder auch als Mauer vor den Demonstranten. Die französischen Ordnungskräfte begleiten Protestkundgebungen nicht, lenken sie nicht und kommunizieren nicht mit den Demonstranten. Sie greifen nicht ein, wenn Scheiben zerschlagen werden oder wenn Autos angezündet werden. Die Gendarmerie ist eine Militäreinheit, die wie die Bereitschaftspolizei CRS hierarchisch geführt wird und auf Kommando eines Offiziers arbeitet. Innenminister Christophe Castaner hat zwar als Reaktion auf „schwarze Zerstörer und Schläger-Blöcke“ mobile Einheiten eingesetzt, aber das Grundproblem bleibt: Die Mauer der Polizisten schießt auf Demonstranten mit Waffen, die so nur noch in Polen, Ungarn, Portugal, in der Türkei, in Griechenland und in den baltischen Staaten genutzt werden. Es sind Gewehre mit Gummigeschossen.
Benutzt werden dürfen sie nur auf einer Entfernung von mindestens zehn Metern. Aber: Es sind Waffen, mit denen gezielt auf Personen geschossen wird. Waffen, die nicht – wie etwa Wasserwerfer – auf die Gesamtzahl der Demonstranten ausgerichtet sind. Es darf nicht auf den Kopf oder die Geschlechtsteile gezielt werden. Tatsächlich aber sitzen in den Fernsehdiskussionen Männer mit Augenbinden, die ein Auge verloren haben, weil sie dort getroffen wurden.
Granaten im Einsatz
Die Bilder machen betroffen und bringen die Ordnungskräfte in die Defensive. Innenminister Castaner hat den Gendarmen nun Kameras an die Uniform geheftet, damit nachzuvollziehen ist, warum sie geschossen haben. Geholfen hat das nicht. Eine der Leitfiguren der Gelbwesten, Jérôme Rodrigues, filmt, wie eine Sprenggranate auf ihn zurollt und wie er dann von den Beinen geholt wird. Rodrigues ist doppelt getroffen und läuft seitdem mit einer weißen Augenklappe herum. Er ist Symbolfigur geworden und steht für 81 Ermittlungen der Justiz gegen Polizeibeamte, davon 31 wegen schwerer Verletzungen von Demonstranten.
Es ist nicht nur das Gewehr, das in der Diskussion steht. Frankreichs Polizei setzt Granaten ein, mit denen die Demonstranten zerstreut werden sollen. In ihnen sind 25 Gramm TNT enthalten. Ein Demonstrant hat seine Hand verloren, als er eine Granate wegwerfen wollte, die in diesem Augenblick explodierte, ein anderer einen Fuß. Am zwölften Demonstrationstag am vergangenen Samstag traf eine solche Granate den Vorsitzenden einer Schülergewerkschaft. Der rief noch am Abend über das Fernsehen die Schüler zu einer Blockade aller Gymnasien in Frankreich auf und beschuldigte den Innenminister, den Demonstranten gegenüber unsensibel zu handeln. Castaner aber kann sich auf das höchste französische Verwaltungsgericht berufen. Das lehnte ein Verbot der Gummigeschoss-Gewehre ab.
Derweil wird den Franzosen – wieder einmal – Deutschland als Vorbild hingestellt. Die deutsche Polizei kommuniziere mit Demonstranten, würde klare Anweisungen geben, würde sie leiten und die Demonstranten stetig informieren. Verletzungen wie die, die in Frankreich zur Überfüllung der Ambulanzen führten, gebe es in Deutschland nicht, wird der französischen Polizei von Sicherheitsexperten vorgehalten.
Einige Zahlen
9.228 Gummigeschosse sind von der französischen Polizei seit Beginn der Demonstrationen der Gelbwesten auf Demonstranten abgefeuert worden.
2.000 verletzte Demonstranten mit Augen-, Hand- oder Fußverletzungen hat es bisher gegeben.
1.000 Polizisten sind bei den Demonstrationen überwiegend durch Wurfgeschosse der Demonstranten verletzt worden.
81 Ermittlungsverfahren der internen Polizei und der Justiz wegen Körperverletzung sind bis Mitte Januar gegen Polizisten eingeleitet worden.
31 davon beziehen sich auf schwere Körperverletzung.
13 davon stehen in direktem Zusammenhang mit Einwirkungen von Gummigeschossen.
18 sind wegen direkter Gewalt von Polizisten oder wegen der Wirkung von Sprenggranaten oder Tränengasgranaten eingeleitet worden.
Gewalt generiert Gewalt.
Wer mit Steinen wirft und Vandalismus betreibt ist eben kein Bürger mehr der von seinem Streikrecht gebrauch macht. Zivilisten die mit Maske und Helm bei einer Demo antreten sind sofort verdächtig. Das Vermummungsverbot in Deutschland kommt nicht von Ungefähr. Schläger und "Casseurs" haben die Gelbwesten-Bewegung geschädigt. Die Volkesmeinung ist am Kippen. Wie gesagt: Ghandi hat mit seinem gewaltlosen Protest die Engländer aus Indien vertrieben. Das übergeordnete Ziel der Unabhängigkeit hat damals die Inder zusammengeschweißt und die Religionen haben sie wieder getrennt. Aber das ist ein anderes Thema.Die Gelbwesten haben auf die Situation im Land hingewiesen und die Politik zum Einlenken gebracht. Es dürfte genügen.Bis auf Weiteres.