Headlines

Eine engagierte Nacht der Ideen

Eine engagierte Nacht der Ideen
Der Schriftsteller und Künstler Camille de Toledo (Foto: Christian Schaack)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ins Leben gerufen wurde die Nacht der Ideen in Paris im Jahre 2016. So schuf damals das «Institut français» diesen kulturellen Austausch, um anhand von öffentlichen Diskussionen zu einem vorgegebenen Thema breit gefächert neue Ansätze zu entwickeln. Jedes Jahr wechselt das Thema und geht stets über rein kulturelle Aspekte hinaus. Anerkannte Redner leiten die Debatten, indem sie systematisch die Teilnehmer zu Wort kommen lassen. 2017 wurde diese Form des Ideenaustausches bereits in über 50 Länder exportiert und findet in Städten wie Teheran, Khartum, Kinshasa, Almaty oder Kathmandu am gleichen Tag statt.

Damals organisierte die französische Botschaft das Ereignis in Luxemburg, bevor es dann 2018 ins Mudam übersiedelte. Mit-Organisator ist ebenfalls das Institut Pierre Werner. Als Thema wurde dieses Jahr «Der Gegenwart gegenüber» auserkoren. Dazu spannten die Organisatoren unter anderem die Journalisten Florence Aubenas und Najem Wali, die Theaterregisseurin Leyla-Claire Rabih, den Schriftsteller/Künstler Camille de Toledo neben lokalen Persönlichkeiten wie Marianne Donven, Marc Elvinger, Lars Schmitz oder Tom Nisse als Diskussionsleiter ein. Angegangen wurde das Gegenwartsthema während 13 Rundtischgesprächen, bei denen die Debatte sich auf folgende Bereiche fokussierte: Kultur, Politik, Umwelt und Gesellschaft.

Im Abendprogramm wurden daneben mehrere Vorlesungen angeboten, die das Thema Engagement behandelten. Das Musikerkollektiv Herrmutt Lobby ließ in Echtzeit per Körperbewegungen und Touchscreen elektronische Musik entstehen. Das Programm wurde dann von Mudam-Direktorin Suzanne Cotter in ihrer Begrüßungsansprache mit sterilem Zähfluss abgelesen. Daraufhin begnügte sich die Direktorin des «Institut français» in Saarbrücken, Valérie Deshoulières, damit, den Eröffnungskonferenzredner Camille de Toledo anhand einer umständlichen Auflistung seines Schaffens vorzustellen. Anstatt eventuelle Zielsetzungen des Abends mit ansteckender Begeisterung vorzutragen oder das Wesen der Werke de Toledos genauer zu erläutern, musste man sich in beiden Einführungen neben einer trivialer Nüchternheit mit einer sterilen Fantasielosigkeit begnügen.

De Toledo gelang es jedoch schlagartig, die mittlerweile intellektuell stark unterkühlten Zuhörer aufzuwärmen. Seine Rede „Parler au-delà de nous“ bot neben Wortspielen und Alliterationen puren Wortwitz vom Feinsten. Mal benutzte der Redner subtile Poesie, mal reine Wortgewandtheit, um unzählige Aspekte des Gegenwartwandels eindringlich zu erwägen. Insgesamt war dieser Vortrag mit literarischem Charakter jedoch einen Deut zu trist. In der Tat verhallte die melancholische Botschaft mit einem wahrhaftig depressiven Weltuntergangston. Mit monotoner Mattigkeit vorgetragen erzeugte dieses lyrische Wort leider auch eine erschöpfende Wirkung.

Begeisterung und Charisma

Beim Rundtischgespräch «Die Gesellschaft im Angesicht der Gegenwart» war mit Florence Aubenas ein Tapetenwechsel angesagt. Mit großer Begeisterung und viel Charisma ging die Monde-Reporterin immer locker und fachkundig auf die Befragungen der Zuhörer ein. Sie erläuterte eingangs anhand der Gilets-jaunes-Bewegung, weshalb sich die französische Presse heute so schwertut, um die Komplexität der Aktualität zu meistern. In der Tat stellten die Journalisten die Protestierenden anfangs als schmutzige Mitläufer von Marine Le Pen dar. Erst später korrigierten sie diese krasse Fehleinschätzung nur zögernd. Zudem haben sich die Zeiten für die Journalisten gewaltig verändert. Solange man in den 90ern in Ruanda als Reporter ein Pressezeichen trug, senkten sich die Gewehre vor einem. Doch bereits im Irakkrieg wurde man dank desselben Zeichens zur Zielscheibe, die es zu treffen galt. Im gleichen Atemzug betonte Aubenas, dass die Gewalt, der die Journalisten nun überall ausgesetzt sind, zum Teil durch hausgemachtes Fehlverhalten selbst verschuldet sei.

Des Weiteren prophezeite die Reporterin, dass sich die nächste Revolte in Frankreich  mit großer Sicherheit gegen die Supermarktketten wenden wird. Auch erläuterte sie, dass jene Industriekapitäne, die eine Tageszeitung besitzen, keineswegs zur Zensur tendieren. Hingegen sei dies bei den Politikern schon eher eine Macke. Ohne das geringste Selbstmitleid zeichnete Aubenas ein interessantes Porträt ihrer Berufswelt im Kontext der aktuellen technologischen und gesellschaftlichen Verwandlungen. Vielleicht verblieb die Runde trotz allem etwas zu nah an einer Bestandsaufnahme, sodass kommende Tendenzen, notwendige Visionen oder unumgängliche Entwicklungen kaum thematisiert wurden.

Darauf folgend führte Lars Schmitz, Mitglied des Kollektivs Richtung22, ein Rundtischgespräch mit Augenmerk auf die Kultur. Dieses Kollektiv erregte schon mehrmals hierzulande die Gemüter, sei es mit Filmen wie «Ons Identitéit» oder «Ons Educatioun», sei es mit berechtigten Provokationen, wie eine neue Nationalhymne mit Kreide vor die Philharmonie zu sprayen, oder durch das Theaterstück «Lëtzebuerg, du hannerhältegt Stéck Schäiss». Schmitz bemängelte erwartungsgemäß, dass es wegen des vorherrschenden sozialen Drucks sehr schwierig sei, als junger Künstler Fuß zu fassen. Aus diesem Grund sollten weitere öffentliche Ensembles entstehen: Diese werden mehr Eigenproduktionen erzeugen. Zudem sollten die öffentlichen Gelder brüderlicher verteilt werden.

Die Macht der Algorithmen

Als Kernfrage wollte der Redner jedoch vor allem klären, welche Position die Kunst in unserer Gesellschaft einnehmen sollte. Da die sozialen Medien die staatlich unterstützte Presse abstürzen lassen, wird die Luft auch für die öffentlich geförderte Kunst immer dünner. Aus diesem Grund wenden die Mitglieder von Richtung22 professionelle PR-Strategien an. Auf diese Weise konnten beispielsweise vor anderthalb Jahren die Pin-up-Fotos von der RTL-Webseite definitiv verbannt werden. Doch auch die Journalisten stehen Schmitz zufolge den Politikern zu nahe. Deswegen müsste man das Image der Künstler ins rechte Licht rücken. Nichtsdestotrotz sehe er selbst die Welt nicht so düster wie de Toledo: Algorithmen können tatsächlich unseren Lebensraum genauso gut schützen wie zerstören.

In einem Kurzinterview erläuterte Schmitz auch noch, wie eine ideale Kunstwelt hierzulande aussehen sollte. Demnach passen sich die Nachwuchskünstler aus Überlebenszwang den öffentlichen Strukturen, dem Publikum oder dem Kunstmarkt zu stark an. Man sollte die Künstler folglich von diesem Zwang befreien, dies würde schon sehr viel Positives bewirken. Daneben sollten lokal relevante Themen sich wieder viel stärker in der Kunst niederschlagen. Somit könnte man das Publikum konkreter berühren. Alltagsprobleme sprechen halt stärker an als losgelöste Themen. Eine einmalig gestiftete Börse, ohne jegliche staatliche Auflagen, die jedem Nachwuchskünstler direkt nach seinem Studium zukommt, würde in dieser Frage effizient Abhilfe leisten.

Diese treffsichere Analyse eines eingefleischten Weltverbesserers lieferte viele lobenswerte Ansätze. Wir brauchen definitiv mehr kritische Kunst. Doch nicht nur. Jeder sollte weiterhin die Kunst frei erschaffen, so wie sie ihm am Herzen liegt. Es gibt hierzulande auch ein Publikum für jede Art von Kunst, man muss es nur gezielt ansprechen und erreichen. Schmitz› Aussage, dass man das Niveau einer Theaterproduktion senken muss, damit das Publikum sie nachvollziehen kann, ist eine Frechheit an sich. Es gibt auch hierzulande Zuschauer, die ausreichend gebildet und offen sind. Mit genau diesem Publikum muss man halt mittels effizienterer PR die Ränge füllen. Einen roten Teppich für provokative Kunst wird es sowieso nie geben, nicht hier und auch nicht anderswo. Mehr Zuschauer kann man jedoch mittelfristig heranzüchten, dank gleich bleibender Werkqualität und einer besseren Sensibilisierung in unseren Schulen. Knackpunkt bleibt folglich die Qualität und nicht so sehr die Art der Kunst.

Christian Schaack