Die Heilige Messe am Vortag der orthodoxen Weihnachten am orthodoxen Bischofssitz von Istanbul war so feierlich wie schon lange nicht mehr: Das hatte einen Grund, denn trotz heftiger Moskauer Proteste anerkannte Papst Bartholomäus I während des Gottesdienstes eine neue orthodoxe Kirche, diejenige der Ukraine nämlich.
Vor Gläubigen präsentierte der Ehrenvorsitzende über 300 Millionen Orthodoxe im Beisein des ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko ein entsprechendes Unabhängigkeitsdekret. Poroschenko verglich diesen Schritt in einer kurzen Ansprache mit der Unabhängigkeit der Ukraine von 1991.
Weltliche Auswirkungen schwer abschätzbar
Der Patriarch von Moskau, Kyrill I., erklärte hingegen das päpstliche Dekret sofort vor Wut schnaubend für nichtig. Papst Bartholomäus I. habe nicht das Recht, über die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche zu entscheiden. Diese war nämlich zuvor jahrhundertelang dem Patriarchen von Moskau unterstellt; ihre Unabhängigkeit kommt für Kyrill, und mit ihm die ganze russische Führung, einer großen Niederlage gleich.
Rechtgläubigen Orthodoxen in der Ukraine sei künftig die Teilnahme an Messen der neuen unabhängigen orthodoxen Kirche verboten, warnte Kyrill I. gestern Nachmittag.
Die Autokephalie der orthodoxen Kirche war ein seit dem Zerfall der Sowjetunion in der Ukraine geforderter Schritt. Doch erst Poroschenko hatte beim zuständigen Papst der Ostkirche, Bartholomäus I., 2018 Unterstützung für dieses von Moskau seit je bekämpfte Begehren erhalten. Ein sogenannter «Tomos», eine kirchenrechtlich sanktionierte Autokephalie-Erklärung aus Konstantinopel (Istanbul) war seither über Monate hinweg in Vorbereitung.
Die weltlichen Auswirkungen dieses Schrittes sind schwer abschätzbar. Immerhin 65 Prozent der orthodoxen Kirchengemeinden in der Ukraine gehörten bisher dem Moskauer Patriarchat an.
Pessimisten befürchten nun nach dem «Tomos» einen Kampf um Gotteshäuser, Klöster und zugehörige Immobilien. Die Gläubigen, die in Kirchen des Moskauer Patriarchats beten wollten, genössen den Schutz des Kremls, drohte Russland bereits Ende November.
Man könnte gezwungen sein, neben der Krim weitere Landstriche der Ukraine unter Russlands Schutz zu stellen, ließ gar Putins Außenministerium vernehmen. Damit zielt Moskau auf eine weitere Spaltung innerhalb der Ukraine ab.
Laut einer Umfrage des Kiewer Razumkow-Instituts unterstützen nämlich in der mehrheitlich russischsprachigen Ostukraine und im Süden entlang der Schwarzmeer- und Asowküste nur jeder siebte Ukrainer die Kirchenspaltung. Darauf kann Moskau bauen, wenn es die Lage in der Ukraine weiter destabilisieren will. Vorbilder gibt es bereits: Im Frühjahr 2014 wurde die Sprachenfrage in der Ukraine vom Kreml derart aufgebauscht, dass dies im Donbass zur Gründung zweier prorussischer «Volksrepubliken» führte. Ein blutiger Stellungskrieg mit über 10.300 Toten, der bereits viereinhalb Jahre dauert, ist die Folge. Auch deswegen haben sowohl Papst Bartholomäus I. wie das neue Kirchenoberhaupt, Metropolit Epiphanius, die Gläubigen zu Mäßigung und Gewaltverzicht aufgerufen. Die jeweiligen Kirchengemeinden sollten ungehindert selbst entscheiden können, welchem Patriarchat – dem neuen Kiewer oder dem Moskauer – sie sich unterstellen wollten, hieß es dort.
Laut dem neuen ukrainischen Metropoliten Epiphanius wollen dies rund 7.000 Kirchengemeinden tun, was in etwa jeder zweiter Gemeinde des Moskauer Patriarchats gleichkäme. Allerdings ist unklar, ob dies das Moskauer Patriarchat einfach so hinnehmen wird. In der Ukraine kursieren derweil bereits wilde Gerüchte über orthodoxe Popen des Moskauer Patriarchats aus Donbass, die schon seit Wochen orthodoxe Klöster auf Regierungsgebiet infiltrieren würden. Auch sollen bereits wertvolle Ikonen nach Russland abtransportiert worden sein.
Weltliche Auswirkungen schwer abschätzbar
Den Wechsel bereits rechtskräftig beschlossen haben in der Ukraine erst vereinzelte Kirchengemeinden. So entschieden vor Silvester die Kirchengemeinden der Dörfer Karpatschew und Borjanuk in der Nähe von Tschernowcy (dt.: Tschernowitz) an der ukrainisch-rumänischen Grenze mit je einer Mehrheit von 80 zu 20 Prozent für den Wechsel vom Moskauer zum neuen Kiewer Patriarchat. Dies dürfte konfliktlos über die Bühne gehen.
Doch erste Konflikte wurden bereits vor ein paar Wochen vom Zaun gebrochen. Anfang Dezember etwa durchsuchte der ukrainische Geheimdienst SBU das Wohnhaus von Pater Pavlo, dem Abt des Kiewer Höhlenklosters. Das Unesco-Weltkulturerbe steht unter der Obhut des kremltreuen Moskauer Patriarchats.
Pater Pavlo wird die Anstachelung von Hass unter den Nationen vorgeworfen, weil er sich immer wieder gegen die Emanzipation der ukrainisch-orthodoxen Kirche von Moskau ausgesprochen hat. «Es war eine politisch inspirierte Hausdurchsuchung», klagte er danach. Er rechne künftig mit weit mehr Gewalt, warnte er. Dies dürfte Wasser auf Putins Mühlen gewesen sein.
Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können