Knapp zwei Monate nach den Parlamentswahlen steht sowohl die Regierung als auch das Koalitionsabkommen. Das am Dienstag von Staatsminister Xavier Bettel präsentierte Regierungsprogramm verpackt das Koalitionsabkommen neu, inhaltlich gibt es aber kaum neue Momente.
Ambitiös, ambitiöser noch als das vorige – so sieht der Staatsminister, der solche Pflichttermine wie die Regierungserklärung mittlerweile mit einer Ruhe und Routine bewältigt, die ihm zu Beginn der Dreierkoalition noch fehlte, das neue Regierungsprogramm. Es setze die richtigen Akzente, sei klar, deutlich, präzise und werde den Anforderungen der nächsten fünf Jahre und darüber hinaus gerecht.
Sozial, liberal, ökologisch
Zudem sei es ausgewogen und berücksichtige die Prioritäten der drei Koalitionsparteien – und dennoch sei es mehr als ein Kompromiss und mehr als die Summe der Wahlprogramme: „Ein starkes Stück Eisen aus einem Guss.“ Luxemburg sei ein Ort, an dem die politischen Kontrahenten ihre Ideen diskutierten und auch streiten, dies allerdings ohne persönliche Attacken und ohne in Demagogie zu verfallen – etwas, das auch so bleiben solle.
Ehe er die Teilbereiche des Programms vorstellte – wofür er etwas länger als eine Stunde brauchte –, erwähnte er die Prioritäten der Erklärung, die vom Schutz der Ressourcen über den Erhalt der Lebensqualität, ein Bekenntnis zur Unterschiedlichkeit der Menschen, die Mehrsprachigkeit, das geschichtliche Patrimonium, die Landesgeschichte und Sprache bis hin zu einem starken Sozialstaat und einer gerechten Verteilungspolitik reichten. Die Diversifizierung der Wirtschaft und Anstrengungen bei der Digitalisierung sowie hohe Investitionen in Mobilität und Infrastruktur könnten nicht nur einer Partei zugeordnet werden, sondern seien Fundamente der ganzen Regierung.
Bettel umriss des Weiteren die Rahmenbedingungen, die teils dem wirtschaftlichen Erfolg des Landes geschuldet seien: Allein während der vergangenen 15 Jahre habe die Bevölkerung um fast 160.000 Einwohner zugenommen, in den letzten 70 Jahren hat sie sich quasi verdoppelt und täglich kommen rund 200.000 Grenzgänger ins Land, um hier zu arbeiten. Einerseits habe die wirtschaftliche Entwicklung für hohen Lebensstandard, für intakte Infrastruktur und für eines der weltweit besten Sozialsysteme gesorgt, andererseits habe diese Entwicklung aber auch ihre Spuren hinterlassen. Besonders in den Schulen, im Gesundheitswesen sowie bei der Mobilität und der Wohnungslage werde dies deutlich. Auf diesen Gebieten liegen denn auch die politischen Schwerpunkte dieser Regierung.
Hervorragende Haushaltszahlen
Dass die Vorhaben gelingen werden, dafür stehe auch das Wirtschaftswachstum, das für das kommende Jahr auf 3 Prozent geschätzt wird, sowie der Überschuss bei den öffentlichen Verwaltungen, der statt der geschätzten 333 Millionen bei 1 Milliarde Euro liegen werde. Hinzu kommt, dass das Defizit beim Zentralstaat im laufenden Jahr auf 350 Millionen statt der vorgesehenen Milliarde geschätzt wird.
Die öffentliche Schuld Luxemburgs liege zurzeit bei nur 21,6 Prozent des BIP. Bettel sieht also gute Voraussetzungen für die Legislatur, anders als die neue Fraktionssprecherin der größten Oppositionspartei CSV, Martine Hansen, die finanztechnische Skepsis äußerte, einen finanziellen Klimawandel befürchtet und Visionen bei dieser Regierung vermisst.
Das sagen die Fraktionen zum Regierungsprogramm:
Sammelsurium ohne Plan
„Das Koalitionsabkommen ist ein Sammelsurium von vereinzelten Maßnahmen ohne roten Faden“, so die Kritik von CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen (CSV). Die Regierung behauptet, das Abkommens sei nicht „ambitiös“, sondern „voluminös“. Doch vor allem vermisst die CSV-Politikerin ein klares Finanzierungsmodell. Die Regierung hat einen „Schönwetterkatalog“ mit kostspieligen Maßnahmen erstellt, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, wie diese finanziert werden sollen. Zudem habe man sich mit der Verschuldung bis 30 Prozent des BIP einen allzu großzügigen Spielraum gegeben. Nach einem „wirtschaftlichen Klimawandel“ sei das Abkommen nichts mehr wert.
Ein Beweis der Transparenz
Im Gegensatz zu Martine Hansen (CSV) meint LSAP-Fraktionspräsident Alex Bodry, dass es einen roten Faden gibt, der sich durch das Regierungsprogramm zieht. Ein Aspekt hiervon sei die Transparenz, die wohl dazu geführt haben soll, dass die Erklärung keine Überraschungen beinhaltete, da das detaillierte Koalitionsabkommen bereits publik gemacht worden sei. Dies unterscheide die aktuelle Regierung von der CSV-geführten.
Damals (immerhin war Bodry auch mal Minister einer solchen Koalition) habe die CSV darauf gehalten, einige Aspekte im Vorfeld diskret zu behandeln, um dem Premier die Show nicht zu stehlen. Für ihn ist das Programm kohärent, sozial und ökologisch.
Im Zeichen der Gerechtigkeit
Im Gegensatz zur Opposition macht DP-Fraktionschef Eugène Berger sehr wohl klare Visionen im Regierungsprogramm aus, das im Zeichen der Gerechtigkeit stehe und die Sorgen der Menschen im Lande ernst nehme. Berger nannte die Individualisierung der Besteuerung, die besseren Möglichkeiten in Bezug auf die Teilzeitarbeit und die hohen Investitionen als Teil dieser visionären Politik.
„Ein Potpourri“
„Wir vermissen jegliche Linien im Abkommen“, meint Marc Baum („déi Lénk“). „Es wirkt wie ein Potpourri von sämtlichen Punkten der drei Parteien ohne gemeinsames Projekt.“
Am meisten stört Baum, dass die gesamte Wachstumsdebatte keinen Einschlag im Abkommen findet. „Die Vorstellungen der Regierung beruhen auf dem quantitativen Wachstum, das wir bisher in Luxemburg hatten.“
Zwar steige der Mindestlohn, aber von einer Verteilungsgerechtigkeit sei man immer noch weit entfernt. Im Gegenteil: Die reichsten Luxemburger würden weiter entlastet werden. „Alles soll so weiterlaufen wie bisher, nichts wird infrage gestellt“, so Baum diesbezüglich.
Auf Augenhöhe
Für Josée Lorsché, Fraktionssprecherin der Grünen, war es wichtig zu betonen, dass die Verhandlungen, die zu dem Koalitionsabkommen und somit auch zum Regierungsprojekt für die kommenden fünf Jahre führten, zwischen den drei Parteien auf Augenhöhe geführt wurden. Die Umweltfragen würden noch stärker in Ressorts wie Gesundheit und Schule einfließen. Die Umweltmedizin zum Beispiel sei in dem Programm expressis verbis genannt.
Auf Kosten der Nächsten
„Bettel hat alles und nichts gesagt“, so Gast Gibéryen (ADR). Der Premier habe von Studien von Plänen und Debatten geredet, aber in den großen Fragen finde man nichts Konkretes. Ähnlich wie Baum vermisst er vor allem, dass es in der Wachstumsfrage keine neuen Ansätze gebe – dass Luxemburg weiter auf Autopilot fahre, ohne das gegenwärtige Modell ansatzweise infrage zu stellen. „Die Regierung setzt weiterhin auf strammes Wachstum für kurzfristige Politik.“ Es sei eine Politik „auf Kosten der zukünftigen Generationen“.
Nachhilfe von Piraten
Sven Clement vermisst grundsätzlich die Substanz in Bettels Regierungserklärung. Er habe sich erwartet, dass Bettel nach der Kritik am Koalitionsabkommen etwas Gehaltvolleres liefern würde – mehr Details zum Abkommen oder auch Modelle der Finanzierung. Es sei leicht, einen Maßnahmenkatalog zu erstellen. Jeder habe Ideen, wie man Luxemburgs Zukunft gestalten kann. „Jeder kann das Blaue vom Himmel versprechen.“ Allerdings erwartet Clement mehr von einer Regierung: „Sie muss klar sagen, wie sie ihre ambitionierten Ziele umsetzen will.“ Das Abkommen lese sich nicht wie ein Regierungs-, sondern wie ein Wahlprogramm. Sein Tipp an die Dreierkoalition: Nachhilfestunden in realer Politik.
Die wichtigsten Eckpunkte des Regierungsprogramms:
Wohnen und Bauen
Seit Jahren geht in den Wahlprogrammen der unterschiedlichen Parteien von „großen
Wohnungsbauoffensiven“ die Rede. Eine Antwort auf das Problem der hohen Nachfrage bei geringem Angebot und daraus resultierenden hohen Preisen konnten sie nicht finden. Doch die Regierung will das Problem der Wohnungssituation mit unterschiedlichen Maßnahmen angehen: Erhöhung des „bëllegen Akt“ von 3 Prozent (liegt aktuell bei 20.000 Euro), neues Gremium für Bauland, einen„Pacte logement 2.0“, um soziale Wohnungen zu fördern, sowie einen Fonds für Bauland. Zudem soll das Mietgesetz reformiert werden, um die Rechte der Mieter zu stärken. Auch kündigte Bettel an, dass die Investitionen in Infrastrukturprojekte weiter hochgehalten werden sollen. Bis zum Ende der Legislaturperiode soll die Tramverbindung zwischen Cloche d’Or und Findel bestehen.
Kostenloser öffentlicher Verkehr
2020 soll es so weit sein: Der gesamte öffentliche Personenverkehr in Luxemburg soll kostenlos werden. Die Nachricht ist dabei in den vergangenen Tagen um die Welt gegangen. Eine positive Werbung für ein progressives Luxemburg, die sich Bettel selbstverständlich zuschreibt. „Genau das war unsere Überlegung hinter der Maßnahme“, so der Premier. Der kostenlose öffentliche Verkehr als Teil der „Nation Branding“-Kampagne? Nur als Mittel, um das Image im Ausland zu verbessern? Der leichte Anfall eines Grinsens deutet darauf hin, dass Bettel dieser Auffassung selbst kaum Glauben schenken mag.
Über die Gegenfinanzierung sagte Bettel übrigens nichts. Ob es sich jetzt um 30 Million handelt, wie im DP-Programm stand, 66 Millionen, wie es das Nachhaltigkeitsministerium angegeben hat, oder 40 Millionen, wie Pierre Gramegna im Interview mit RTL in Aussicht gestellt hat …
Auch die offene Frage, ob die Senkung der Kilometerpauschale zur Gegenfinanzierung gedacht ist (Etienne Schneider) oder eben nicht (Félix Braz), ließ Bettel unbeantwortet im Raum stehen.
Mindestlohnerhöhung
Der Koalitionsvertrag sieht eine Erhöhung des Mindestlohns um 100 Euro netto ab
Januar 2019 vor. Damit konnte die LSAP ihre Forderung durchsetzen. Die Mehrkosten sollen laut Tageblatt-Informationen zwischen Staat und Ar-beitgeber aufgeteilt werden: 40
Euro durch eine zweiprozentige Erhöhung des realen Lohns, 60 Euro über eine Steuergutschrift („Crédit d’impôt“) des Staates. Das Gesetz wird wohl erst im Frühling des kommenden Jahres verabschiedet, die Erhöhung wird sich aber rückwirkend auf den 1. Januar beziehen.
Verfassungsreform
Kein präzises Datum, aber ein Beschluss: Das Volk wird per Referendum über die neue Verfassung abstimmen. Am Verfassungstext, der bereits fertig in den Schubladen liegt, soll sich nichts mehr ändern. Denn schließlich hätten sich die Parlamentsparteien noch vor den Wahlen darauf geeinigt, so der Premier. Das Referendum wird wie bereits 2015 vom Parlament organisiert. Bettel kündigte dabei eine große Kampagne mit Gewerkschaften und Zivilbevölkerung an. Sie soll nach den Europawahlen im Mai 2019 beginnen.
Atomkraft ist keine Alternative
Luxemburg soll bis zum 31. Dezember 2020 glyphosatfrei werden. Das hochumstrittene Unkrautvernichtungsmittel steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Die EU-Kommission hatte die Zulassung allerdings noch 2017 um fünf Jahre verlängert. Luxemburg plant demnach einen nationalen Alleingang. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Landwirtschaftsminister Fernand Etgen stets betont, dass solche nationalen Alleingänge nicht möglich seien.
Bis 2025 sollen zudem 20 Prozent der luxemburgischen Landwirtschaft biologisch sein, bis 2050 will man hier gar zu 100 Prozent auf biologische Produktion umgestiegen sein – zudem bekennt sich Luxemburg zu den Pariser Klimazielen mitsamt einer klimaneutralen Bilanz bis 2050.
Bettel gab der Atomkraft überdies eine klare Abfuhr. „Nuklearenergie ist keine Alternative“, so der Premier. Die Regierung wolle auf eine Schließung der Atomkraftwerke Tihange, Doel und Cattenom hinarbeiten.
Bildung und Familie
Die neue Regierung will die familienpolitischen Leistungen ausbauen. So sind mitunter eine Reform des Systems der „Chèques-service accueil“ und eine kostenlose Betreuung von Kindern im Grundschulalter in den „Maisons relais“ während der Schulperioden vorgesehen.
Eine weitere Maßnahme im Interesse der Kinder und somit der Familien ist die Einführung des Busangebots „Clubs enfants“(Kindervereinsbus).
Die öffentliche Schule soll außerdem gestärkt werden. So soll der versprochene Bildungstisch, der alle an der Schule Beteiligten versammeln soll, realisiert werden. Zudem sollen weitere Nachhilfekurse angeboten werden, um Schülern aus prekären sozialen Milieus im Sinne der Chancengleichheit eine Hilfe anzubieten.
Bettel betonte außerdem, dass Luxemburgisch die Integrationssprache im Großherzogtum sein soll. Auch in privaten internationalen Schulen soll die Sprache systematisch unterrichtet werden.
Von Pol Schock und Robert Schneider
" inhaltlich gibt es aber kaum neue Momente."
Die letzten 5 Jahre waren das Beste was wir seit gefühlten 50 Jahren hatten. Also,warum NEUE Momente.
Erst mal abschließen was begonnen wurde.Das ist vielleicht das Problem unserer Turbogesellschaft.
Neu,neu,neuer am neuesten. Und die Presse gießt da gerne Benzin ins Feuer. Aber das ist verständlich.NEUES
ist gefragt,Altes war gestern. Carpe Diem.