Ausgebrannte Autos, kaputte Schaufenster, verwüstete Geschäfte: Die Bilanz der heftigen Proteste in Paris bewegt das ganze Land. Staatschef Macron und die Regierung suchen Auswege aus der verfahrenen Lage.
Nach den schweren Krawallen in Paris und Massenprotesten der «Gelben Westen» in ganz Frankreich steht Staatschef Emmanuel Macron vor einer riesigen Herausforderung. Der konservative Oppositionspolitiker Laurent Wauquiez verlangte, die im Januar geplanten Steuererhöhungen zu streichen. «Eine Geste der Beruhigung ist sofort nötig», sagte der Parteichef der bürgerlichen Republikaner im Nachrichtensender BFMTV. Französische Medien sprachen von der bisher schwersten Krise in der Amtszeit Macrons – der 40-Jährige regiert seit Mai 2017.
Demonstranten hatten sich am Wochenende Straßenschlachten mit der Polizei in der Hauptstadt geliefert, Autos gingen in Flammen auf, Geschäfte wurden geplündert. Die Polizei nahm über 400 Menschen fest – ein Niveau, das in den vergangenen Jahrzehnten nicht erreicht wurde. Der Pariser Polizeichef Michel Delpuech sprach von einer «beispiellosen Gewalt». Die Proteste der «Gelben Westen» hatten sich an Steuererhöhungen für Diesel und Benzin entzündet, die im kommenden Monat geplant sind.
Premierminister Edouard Philippe suchte einen Ausweg aus der Krise und traf in Paris neben Wauquiez auch andere Toppolitiker. Wauquiez brachte ein Referendum ins Spiel, um die Franzosen entscheiden zu lassen.
Premierminister will Wogen glätten
Philippe plant nach Medienberichten rasch neue Entscheidungen, um die aufgeheizte Lage zu beruhigen. Er will sich laut Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch der Nationalversammlung stellen, dem Unterhaus des Parlaments. Das Kollektiv «Freie gelbe Westen», das zum Dialog aufgerufen hatte, werde am Dienstag aber nicht zu Philippe kommen, berichtete die Agentur. Mitglieder seien bedroht worden.
Macron verschob unterdessen seinen für Mittwoch und Donnerstag geplanten Besuch in Belgrad, wie sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vucic dem Staatssender RTS sagte. Macron kam am Montag bei einem unangekündigten Besuch in einer Kaserne mit Polizisten zusammen, wie BFMTV berichtete. Am Abend habe es dann ein Krisentreffen im Elyséepalast gegeben. Unterdessen kursierten bereits Aufrufe zu neuen Protesten an diesem Samstag in Paris.
Die Rechtspopulistin Marine Le Pen schrieb die Gewalt in Paris vor allem den extremen Linken zu. Bei einer Pressekonferenz in Nanterre sagte sie laut AFP in Richtung der Regierung: «Geben Sie (den «Gelben Westen») Regelungen, die in der Lage sind, alle zu beruhigen!» Die Regierung und Macron seien verantwortlich dafür, dass die Wut zugenommen habe. «Und leider ist Gewalt oft eine Folge der Wut.»
Der Schock bei Pariser Gewerbetreibenden sitzt nach dem Ausbruch der Gewalt tief. Ein Apotheker, dessen Geschäft verwüstet worden ist, sagte BFMTV: «Es war ein Tornado, der in die Apotheke gekommen ist.» Dem Bericht zufolge zerstörten und plünderten die Randalierer 80 Prozent der Vorräte. Der Inhaber eines Einrichtungsgeschäfts, dessen Schaufenster eingeschlagen wurde, zeigte sich wütend. Er sehe keinen Zusammenhang zwischen der Zerstörung seines Ladens und den Forderungen der «Gelben Westen», sagte er. Wie der Sender RTL unter Berufung auf das Rathaus berichtete, könnten die Schäden eine Summe von drei bis vier Millionen Euro erreichen.
Schäden werden noch abgeschätzt
Der bei den Krawallen stark beschädigte Triumphbogen in Paris blieb zunächst geschlossen. Am Samstag hatten sich Randalierer im Zuge der Proteste Zutritt zu dem nationalen Wahrzeichen am Ende der Prachtstraße Champs-Elysées verschafft und massive Zerstörungen angerichtet. Derzeit versuche man, den Schaden zu ermessen und zu entscheiden, welche Arbeiten durchgeführt werden müssen, sagte eine Sprecherin der französischen Behörde für Nationaldenkmäler. Erst am 11. November hatte Macron rund 70 Staats- und Regierungschefs am Triumphbogen versammelt, um an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren zu erinnern.
Der Staatssekretär im Innenministerium, Laurent Nuñez, sagte dem Sender RTL, eine Wiedereinführung des Ausnahmezustandes stehe nicht auf der Tagesordnung. Der Ausnahmezustand war nach den schweren islamistischen Terroranschlägen verhängt und Ende 2017 wieder aufgehoben worden.
Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire stellte indessen Steuerentlastungen in Aussicht. «Die Steuersenkungen müssen beschleunigt werden.» Dafür müssten aber auch die öffentlichen Ausgaben im Land sinken. Eine Abkehr von der umstrittenen Steuererhöhung auf Benzin und Diesel kündigte er jedoch nicht an. Im Einzelhandel seien aufgrund der Proteste mancherorts Umsatzrückgänge von bis zu 40 Prozent zu beklagen, Restaurants müssten je nach Ort Einbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen, Hotelreservierungen seien um bis zu einem Fünftel zurückgegangen.
Seniorin stirbt durch Tränengasgranate
Eine 80 Jahre alte Frau starb am Wochenende in Marseille nach einer Operation – zuvor war sie am Fenster ihrer Wohnung im Stadtzentrum von einer Tränengasgranate ins Gesicht getroffen worden, wie Sicherheitskreise der Deutschen Presse-Agentur berichteten. Ein Zusammenhang zwischen der Verletzung und dem Tod der Frau wurde aber zunächst nicht bestätigt, eine Untersuchung laufe. Im Zuge der Proteste der «Gelben Westen» waren bisher bereits drei Menschen ums Leben gekommen.
Auch an Gymnasien im Land kam es zu Protesten, Schüler wehrten sich gegen Reformen im Bildungsbereich, berichtete AFP. Über 100 Oberschulen seien gänzlich oder teilweise blockiert worden.
In Paris protestierten unterdessen Krankenwagenfahrer mit ihren Fahrzeugen unweit der Nationalversammlung. Ihr Protest wendet sich gegen eine Reform zur Finanzierung der Krankentransporte. Fahrer hatten bereits im November auf der Stadtautobahn protestiert, die Paris umschließt.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können