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Seit dem Brückenbau über die Meerenge von Kertsch haben Spannungen zugenommen

Seit dem Brückenbau über die Meerenge von Kertsch haben Spannungen zugenommen

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Kriegsschiffe beeinträchtigen den Schiffsverkehr im Asowschen Meer. Dazu kommen lange Wartezeiten und russische Kontrollen. Dies schadet vor allem den beiden ukrainischen Hafenstädten Berdjansk und Mariupol. Auch militärisch ist nun die Lage wieder gefährlich eskaliert.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Mariupol/Berdjansk

«Achtung Gefahr! Zutritt verboten» steht am Quai unter dem Frachter «Peace» (Frieden). Es ächzen die Kräne, Metallbehälter klirren in der Sonne. Tausende von Tonnen türkische Tonerde muss an diesem Vormittag schleunigst entladen und in offene Güterwagen gefüllt werden. Der in Burgas gemeldete 15.000-Tonnen-Frachter hat sie aus der Türkei in die Ukraine gebracht. Sobald diese Ladung gelöscht ist, schwimmt der Friedensbote unter bulgarischer Flagge auf die andere Hafenseite und lädt vor Ort produzierte Metallplatten, die nach Italien müssen. «Die russischen Grenzschützer waren freundlich, aber wir mussten drei Tage auf sie warten», erzählt der wachhabende Schiffsoffizier der «Peace».

«Vor dem Krieg habe ich keine Angst», sagt der Schiffsoffizier, der wie ein Großteil der Besatzung aus den Philippinen stammt, «der russische Präsident und mein Präsident sind gute Freunde».

Anders sieht die Lage für die Ukraine aus. Bis zu 15.000 Dollar koste ein Tag Wartezeit bei Kertsch, rechnet Aleksandr Olejnik, der Hafendirektor von Mariupol, vor. Mindestens drei Tage dauere heute die Wartezeit alleine bei der Einfahrt, in Extremfällen könne sie auch sieben Tage betragen. Vor dem Brückenbau vom russischen Festland auf die ukrainische Halbinsel Krim ab August 2017 habe die Wartezeit 10-12 Stunden betragen. Dieselbe Warterei kommt noch einmal bei der Ausfahrt. «Das bedeutet einen großen Verlust für den Schiffseigentümer», rechnet Olejnik vor. Daran leidet auch der Hafen. «Solch lange Wartezeiten diskreditieren die ukrainischen Häfen am Asowschen Meer, in der Folge kommt es zum Arbeitsplatzabbau und sozialen Problemen; und das will Russland offensichtlich», vermutet der Hafendirektor.

Russisch-ukrainischer Konflikt erneut eskaliert

Gerade ist der Güterumschlag im Hafen zum zweiten Mal massiv eingebrochen. «Zuerst kam 2014 der Krieg und nun die mit nur 33 Meter über dem Meeresspiegel tief hängende Krim-Brücke», fasst Olejnik in seinem Büro über dem Hafen zusammen. Größere Schiffe können sie nicht mehr passieren. Verglichen mit 2013 hat sich der Güterumschlag halbiert. Nun habe der Hafen Kurzarbeit eingeführt, die Belegschaft von 3.800 aber behalten. Im benachbarten Berdjansk, wo der Hochseehafen der bei weitem größte Arbeitgeber ist, wurden die ersten paar Hundert Angestellten im Herbst entlassen.

Gemäß einem bilateralen Abkommen zwischen Russland und der Ukraine aus dem Jahr 2003 gilt das Asow-Meer, der nordöstlichste Teil des Schwarzen Meeres, als Binnengewässer. Russische wie ukrainische Schiffe haben das Recht, bis vor die jeweilige Küste zu fahren, beide Staaten können überall Schiffe kontrollieren. Gebrauch davon macht vor allem der russische Grenzschutz, der seit April Handelsschiffe aller Herren Länder festsetzt. Rund 200 Schiffe haben die Russen angeblich aus Sicherheitsgründen alleine seit der Eröffnung der Brücke von Kertsch angehalten, um Mannschaft und Ladung zu kontrollieren. Beeinträchtigt wird der Schiffsverkehr zusätzlich durch Kriegsschiffe, die sich durchaus feindlich gegenüberstehen, wie der russische Beschuss dreier kleiner ukrainischer Kreuzer am Sonntagabend gezeigt hat. Die Situation im Asow-Meer ist damit außer Kontrolle geraten und der ukrainisch-russische Konflikt erneut eskaliert. Im Zentrum steht nun das flachste Meer der Welt, und nicht die nahe Donbass-Front, die sich 15 Kilometer östlich des Hafens den einstigen Erholungsgebieten von Mariupol entlang zieht.

In der rund 70 Kilometer westlich von Mariupol gelegenen ukrainischen Hafenstadt Berdjansk kann man die Patrouillenboote des russischen Grenzschutzes und zum angeblichen Schutz der Brücke verlegte Kriegsschiffe bereits von der Küste aus beobachten. Wer den Schiffsverkehr stören will, kontrolliert am besten hier. Denn nur wenige Kilometer vor der Hafeneinfahrt zweigt die Fahrrinne für Handelsschiffe nach Mariupol ab. Diese erlaubt es Hochseeschiffen, sich in dem flachsten Meer der Welt sicher zum Zielhafen zu bewegen. Die Präsenz russischer Kriegsmarine im Asowschen Meer provozierte in den vergangenen Monaten eine Verlegung ukrainischer Sicherheitskräfte. Die Konflikte nehmen seitdem zu. Im März brachten ukrainische Grenzwächter den russischen Fischkutter «Nord» auf und schleppten ihn zu Abklärungen in den Hafen. Russland antwortete ein paar Wochen später mit der «Verhaftung» eines Fischkutters aus Berdjansk. Die Mannschaft kam zwar Anfang November frei, doch inzwischen haben die Russen unweit ihres südlichen Asow-Hafens Jelsk einen weiteren ukrainischen Fischkutter geentert und abgeschleppt.

Helikopter donnern über die 110.000-Einwohner-Stadt Berdjansk, während Bürgermeister Wladimir Tschepurnoi hoffnungsfroh davon berichtet, dass diesen Sommer fünfmal mehr Touristen in seine Stadt gekommen seien als vor der russischen Annexion der Krim. Der Lärm der Rotoren bedeutet für die Stadt neue Sorgen gepaart mit neuem Ruhm. Die ukrainische Armee hat Berdjansk nämlich zum zweitwichtigsten Flottenstützpunkt nach Odessa auserkoren. Zwei fabrikneue kleine Kreuzer wurden inzwischen in Berdjansk gewässert; dazu ließen die Russen einen Schlepper und das Rettungschiff «Donbass» weitgehend ungehindert durch die 18 Kilometer lange, felsige Meerenge von Kertsch passieren.

Den gleichen Weg wollten auch die drei am Sonntagabend geenterten ukrainischen Panzerschiffe beschreiten. Doch diesmal kam es zum Beschuss. Drei ukrainische Matrosen wurden verletzt, darunter ein Militärgeheimdienstoffizier, wie Kiew am Dienstag zugab. «Ein zweites Krim-Szenario am Asow ist nicht mehr möglich», gibt sich Tschepurnoi im Gespräch mit dem Tageblatt überzeugt. Diesmal sei die Ukraine gewappnet: «Diese Marinebasis gibt uns Sicherheit.»

Doch gilt dies auch für eine wirtschaftliche Ausblutung der Asow-Region? In Berdjansk, das noch zur Oblast Zaporosche gehört, boomt sichtbar der Tourismus. In Mariupol hingegen ist nicht nur die Luft wegen der beiden Eisenhütten schlecht, auch die Front ist gefährlich nah. Je nach Windrichtung ist das Artilleriefeuer nachts zu hören. Keine gute Voraussetzung für den Tourismus. Bei der Fahrt durch die Innenstadt von Mariupol kommt man dazu immer wieder an dem Anfang Mai 2014 ausgebrannten Stadtparlament vorbei. Pro-russische Aktivisten hatten damals auch in der wichtigsten Hafenstadt des Donbass zum Aufstand gegen Kiew aufgerufen. Rund 30 Todesopfer forderten die Auseinandersetzungen, in deren Folge Mariupol gut einen Monat lang zur «Volksrepublik Donezk» (DNR) gehörte. Dann wurde sie vom ukrainischen Freiwilligenbataillon «Asow» zurückerobert. Mitentscheidend dabei war, dass die lokalen Oligarchen – erschreckt von der Rechtlosigkeit unter den Separatisten – die Seite wechselten.

Nicht zuletzt deswegen ist der russische Zorn auf Mariupol groß. Im Januar 2015 wurde von den pro-russischen Separatisten gar ein Wohngebiet beschossen. 30 Zivilisten kamen damals ums Leben. Heute wird nicht nur an der Frontlinie, sondern auch auf dem Meer gekämpft. Die Früchte dieser neuen russischen Politik erntet Enver Tkitischwili jeden Tag. Der Ukrainer georgischer Abstammung ist seit 2010 Direktor von Azovstal, einem der größten Stahlwerke der Ukraine. Seine Eisenschmiede bildet mit dem ebenfalls von Rinat Achmetow besessenen Iljitsch-Werk das wirtschaftliche Rückgrat der Halbmillionenstadt Mariupol. Noch 10.000 Arbeitsplätze bietet Azovstal, welches laut Firmendirektor die Löhne dauernd anhebt. «Wir wollen zeigen, dass es sich lohnt, hier zu bleiben und für die Ukraine zu arbeiten», gibt sich Tkitischwili im Gespräch patriotisch. Allerdings musste auch Asovstal die Belegschaft seit 2014 um 2.500 Arbeiter zurückfahren. Sein Werk arbeite noch mit 60 Prozent der Vorkriegskapazität, gesteht Tkitischwili unumwunden ein.

Häfen sterben einen langsamen Tod

Im Gespräch mit dem Tageblatt lässt der mächtige Firmendirektor schnell durchblicken, dass der Hafen von Mariupol für ihn nur noch eine Notlösung ist. «Viele Käufer wollen den Hafen Mariupol nicht mehr riskieren, da die Lieferzeiten zu unstabil geworden sind», begründet Tkitischwili. Russland setze bisher noch keine vollständige Blockade im Asowschen Meer durch, aber die Häfen stürben einen langsamen Tod, sagt Anders Aslund im persönlichen Gespräch am Rande des von der Victor-Pinchuk-Stiftung organisierten «Yalta European Strategy Forums» in Kiew.

Der schwedische Ukraine-Kenner ist seit kurzem im Verwaltungsrat der ukrainischen Eisenbahn. Er schätzt, dass alleine die beiden Stahlwerke in Mariupol zwei Drittel ihrer Produktion beim Export auf andere Schwarzmeerhäfen umleiteten. Hatte die Bahn im Donbass nicht so viel Rollmaterial und Lokomotiven verloren, wären es noch mehr, sagt Aslund. Dem widerspricht an der Universität von Mariupol der Politologe Mykola Trofimenko.

In Kiew sei ihm gerade versichert worden, dass der heimische Hafen nicht fallen gelassen werde, sagt der lokale Berater des Gouverneurs von Donbass, der im entfernten Kramatorsk, heute auch Hauptquartier der ukrainischen Regierungstruppen, sitzt. Russland wolle mit der Asow-Blockade vielleicht die Wiederaufnahme der ukrainischen Wasserlieferungen auf die besetzte Krim erzwingen, wird gemunkelt. Trofimenko gibt sich dazu verschlossen: «Niemand kennt Putins Plan.»

(Foto: Ukraine, Berdjansk: Die Kaianlagen des Hafens in Berdjansk liegen im Regen.)