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„Ich bin in allem mittelmäßig“: Warum Premierminister Bettel nicht am Amt klebt

„Ich bin in allem mittelmäßig“: Warum Premierminister Bettel nicht am Amt klebt

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Montag, vor einer Woche: Xavier Bettel liegt mit dem Rücken auf seiner Couch im Büro. Die Krawatte liegt über der linken Schulter. Der Premierminister hat gerade einen langen Interview-Tag hinter sich: «Sie sind der letzte Journalist für heute.» Ein Gespräch über Bettels politischen Stil, sein Image sowie seine Zukunftspläne.

Tageblatt: Herr Bettel, in letzter Zeit hat man Sie oft auf dem internationalen Parkett gesehen – mit Politikern wie Emmanuel Macron, Sebastian Kurz, Bruno Le Maire oder auch vor der UNO in New York. Sind Sie dabei, für Ihr neues Amt zu üben?

Xavier Bettel: Als UN-Politiker? Dort ist aktuell kein Posten zu vergeben.

Ich spiele vielmehr auf den Außenministerposten an. Auch von Parteikollegen heißt es seit längerem, Sie könnten sich gut mit dem Amt anfreunden.

Ich stelle mir die Frage überhaupt nicht, wo ich nach dem 14. Oktober sitze. Selbstverständlich tritt man bei Wahlen an, um zu gewinnen. Aber es geht nicht um Xavier Bettel, sondern um die Politik. Zudem würde dieses Szenario ja bedeuten, dass wir eine Koalition mit der CSV eingehen würden …

Oder eine Dreierkoalition mit Etienne Schneider als Premier?

Das wäre die andere Alternative.

Beides ist denkbar?

Ich schließe nichts aus.

Also auch nicht, dass Sie Außenminister werden?

Nein. Bei den vergangenen Wahlen habe ich im Vorfeld gesagt, dass ich nicht Teil der Regierung werden will. Nach dem Wahlerfolg kam bekanntlich alles anders, und damit hatte ich schlichtweg nicht gerechnet. Ich habe daraus gelernt, mich nicht mehr im Voraus vor den Wahlen festzulegen. Alles ist möglich.

Bis jetzt sitzt Xavier Bettel geduldig auf seiner Couch, stellt sich den Fragen. Der Fotograf verabschiedet sich, Bettel springt auf. «Wollen Sie noch ein Bonbon? Ich bin schon in Halloween-Stimmung.»

Ist es nicht auch die große Kunst der Politik, sich alle Türen offen zu halten und im entscheidenden Moment opportun zu handeln?

Das würde ich nicht so sehen. Erst entscheidet der Wähler, dann die Partei und dann erst die Politiker.

 

Tatsächlich haben Sie in Ihrer politischen Karriere in den entscheidenden Momenten immer Machtinstinkt gezeigt; 2011 gegenüber Paul Helminger, als Sie ihm das Bürgermeisteramt weggeschnappt haben, oder auch 2013 gegenüber Jean-Claude Juncker und Charles Goerens. Oder war das alles purer Zufall?

Ich erzähle Ihnen, wie es richtig war: 2011 hatte ich einen enormen Stimmengewinn und lag 500 Stimmen vor Paul Helminger. Ich habe ihm deshalb ein Splitting fürs Bürgermeisteramt angeboten von jeweils drei Jahren. Darauf wollte er nicht eingehen, er wollte keine «Lame Duck» sein. Aber gänzlich auf das Bürgermeisteramt wollte ich auch nicht verzichten.

Und 2013?

Claude Meisch war der Erste, der nach der Wahl zu mir kam und sagte: «Du weißt schon, was das nun bedeutet?!» Und in der Tat haben wir uns zu dritt recht schnell geeinigt, mussten aber natürlich noch grünes Licht von den Parteigremien erhalten, um tatsächlich zu dritt und nicht mit der CSV zu verhandeln.

Warum sollte Ihnen 2018 nicht noch mal ein solcher Coup gelingen?

Mal sehen. Allerdings begegne ich in der letzten Zeit vielen CSV-Wählern, die meinen, dass es ihnen sowohl persönlich, aber auch dem Land doch eigentlich gar nicht schlecht gehe. Sie würden deshalb nicht so recht wissen, wen sie am Sonntag wählen sollten. Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber ich spüre eine andere Stimmung, als es die Umfragen der vergangenen fünf Jahre vermuten ließen.

Die DP hat doch vor kurzem noch selbst Umfragen erhoben, die ein ähnliches Bild vermitteln …

Dazu will ich mich nicht äußern.

Das Smartphone des Premiers klingelt. Es liegt auf seinem Bürotisch. Der Staatsminister springt erneut auf, spurtet um den Schreibtisch herum zum Telefon und blickt auf den Bildschirm. «Es ist meine Mutter», so Bettel. – «Gehen Sie ruhig ran.»

Viele behaupten, Etienne Schneider sei der eigentliche Regierungschef – der «Schattenpremier» der Dreierkoalition. Stört Sie das nicht?

Nein. Denn ich weiß, dass es nicht stimmt. Ich bin vielleicht nicht so dirigistisch wie andere, sondern eher ein Teamplayer. Und als Premierminister verkünde ich auch nicht die Ergebnisse von anderen Ministerkollegen, mische mich weniger ein. Bereits als Bürgermeister habe ich genauso Politik betrieben. Ich spiele nicht Chef, um Chef zu sein, sondern bin Kapitän eines Teams.

Dadurch haben Sie aber auch das Image als «Mister Nice Guy».

Manche nennen es «Mister Nice Guy», andere bezeichnen mich als oberflächlich. Ich bin, wie ich bin, und das ist auch gut so. Ich entdecke die Menschen eben nicht erst im Wahlkampf. Eine Bekannte hat mir einmal gesagt: «Xavier, du bist wohl die einzige Person, die ältere Menschen über die Straße bringt, obwohl die das überhaupt nicht wollen.»

Aber liegt gerade darin nicht die Quelle Ihres Erfolgs? Die Menschen denken bei Xavier Bettel nicht an den Politiker, sondern an die Person …

Ich glaube, Politiker und Person sind nicht zu trennen. Ich kann mit dieser Interpretation nichts anfangen.

Dennoch: An Ihnen scheint nichts Negatives haften zu bleiben. Sie schütteln alles ab. Der Preis für diese Leichtigkeit ist im Umkehrschluss, dass an Ihnen allerdings auch wenig Positives haften bleibt.

Das kann ich halt nicht ändern. Ich bin jedoch zufrieden mit der Regierungsbilanz: von Pressehilfe über Reform des Staatsrats bis hin zur Trennung von Staat und Kirche. Und ich glaube, Emmanuel Macron und Angela Merkel sowie andere politische Leader der Welt kommen ja nicht nur nach Luxemburg, weil ich der «Nice Guy» bin. Ich störe mich daran, dass man entweder knallharter Politiker sein muss oder eben «Nice Guy».

Sie sind sowohl als auch?

Exakt. Das Motto in unserem Programm gefällt mir also gut.

Der Premier zückt sein Smartphone aus der Tasche. Er müsse nun unbedingt seinen neuesten Wahlwerbespot zeigen, der gerade mal einen Tag alt sei. Er werde dort genauso porträtiert: als Person, die alle gern hat, und als Person, die alle gern haben.

Bedeutet eine «Sowohl-als-auch»-Politik, wie sie im Wahlprogramm der DP steht, denn nicht, dass man allen alles verspricht?

Nein. Ein Beispiel: Wir wollen sowohl Luxemburgisch stärken als auch die Mehrsprachigkeit. Ich finde es ja furchtbar, dass die Debatte sich hier nach rechts verlagert hat und manche Parteien versteckt auf dem Rücken von Grenzgängern und Ausländern auf Stimmenfang gehen.

Aber instrumentalisieren Sie diese Debatte denn nicht auch? Ein Wahlwerbespot, der Sie ohne Worte zeigt, mit der Nationalhymne hinterlegt – das wäre doch 2013 noch nicht vorstellbar gewesen …

Ach, ich weiß nicht. Ist Ihnen die Diversität im Video denn nicht aufgefallen? Es sind ja nicht nur weiße Katholiken im Clip, sondern unterschiedliche Menschen, die das Luxemburger Modell repräsentieren. Und wir sollten in Luxemburg stolz auf diese Vielfalt sein.

Klopf, klopf. – Der Pressesprecher tritt ein, blickt in Richtung des Premiers: «Ich unterbreche ungern, Chef, aber wir müssen los.» Der Premier blickt lächelnd zum Journalisten. «Pardon. Ich muss zu den Jungwinzern.»

Herr Bettel, am Schluss würde ich Sie gerne noch darum bitten, Ihr Talent in unterschiedlichen Rollen einzuschätzen. Von null Punkten, minimalem Talent, bis zu zehn Punkten, maximalem Talent. Ihr Talent als Moderator?

Fünf.

Als perfekter Schwiegersohn?

Fünf.

Als Anwalt?

Fünf.

Außenminister?

Fünf.

Spitzenkandidat der ALDE, der Europäischen Liberalen?

Fünf. Überall fünf. Ich bin in allem mittelmäßig.

Und als Königsmörder von Juncker?

Null.

Consti F.
13. Oktober 2018 - 8.45

Sieht so aus, als würde Herr Bettel von einem NLP (Neuro-linguistisches Programmieren) Spezialisten beraten!

roger wohlfart
12. Oktober 2018 - 18.10

Er ist in erster Linie ein Mensch geblieben, hat nicht abgehoben und zeigt Gefühle. Letzteres ist ja in den Zeiten in denen wir leben eher verpönt . Cool ist in.

Josée R.
12. Oktober 2018 - 15.55

Hien ass dé beschte Premier, dé mer di lescht 30 Joer haaten. Just vill ze bescheiden.

Jacques Zeyen
12. Oktober 2018 - 9.28

...und einen mittelmässigen Polterer wie Spautz oder die Riege der ADR wählen die noch immer nach Mittelmässigkeit strebt?!

roger wohlfart
12. Oktober 2018 - 0.24

Aber achtung, Bettel ist intelligent und berechnend, er stapelt nicht umso so tief wenige Tage vor den Wahlen. Das ist taktisch klug.

Nomi
11. Oktober 2018 - 18.36

@ Hurt : Ech haett de Bettel 2008 an der Finanzkriis gaeren gesinn mat senger Mettelmei'ssegkeet !

Le républicain
11. Oktober 2018 - 18.17

An der "médiocrité moyenne" ist nichts auszusetzen wenn der Wille besteht es zumindest zu versuchen es zu verbessern...das wir jedoch abhängig vom Wähler am 14 Oktober sein denn der kann auch einen mittelmäßigen Politiker in die Wüste schicken...

Hurt
11. Oktober 2018 - 18.00

@Nomi

Mëttelmooss ass super no Dekade vu Mannerwäertegkeet vum 'starker Raucher und Trinker' dee mer hu missen erausgeheien.

roger wohlfart
11. Oktober 2018 - 15.04

Es ist ein Zeichen der Stärke , wenn jemand seine Grenzen einsieht und zugibt, dass er " nur " mittelmässig ist. Dazu gehört auch Demut und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und gegenüber den andern. Ein Dummer sieht seine Beschränktheit und seine Fehler nicht ein. Er zweifelt nicht an sich. Wie Trump, der überzeugt ist, er sei der Grösste , entsprechend auftritt, redet und handelt. Man sieht, was dabei herauskommt und wie lächerlich er sich macht, zum Gespött der ganzen Welt wird. Wie auch immer man politisch gegenüber Herrn Bettel eingestellt ist, Respekt vor seiner Offenheit!

Jacques zeyen
11. Oktober 2018 - 9.43

Einmal ein Politiker der Bescheidenheit. Bescheidenheit kann eine Zierde sein.Angesichts seines Alters ist Bettel im Vergleich zu seinem österreichischen Pendant Kurz eine angenehme Erscheinung.Nicht das Aussehen ist gemeint,sondern der Auftritt. Versteckte Schlauheit ist besser als offene Dummheit. Sieht man sich die Poltergeister Trump oder Salvini an so kommt einem ein Bettel oder Obama angenehm vor.Und Mittelmäßigkeit ist keine Schande.Währen viele Politiker wenigstens mittelmäßig,dann sähe die Welt anders aus.Man schaue auf "the Donald",dem würde ein wenig Mittelmäßigkeit gut tun.
Aber bei aller Bescheidenheit,vielleicht schicken die Luxemburger ihn am Sonntag noch einmal ins Rennen.

Nomi
11. Oktober 2018 - 9.31

Mettelmei'sseg ass net gutt genuch als Premier !