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Anti-Brexit-Aktivisten sehen Europa „vor einer Achterbahnfahrt“

Anti-Brexit-Aktivisten sehen Europa „vor einer Achterbahnfahrt“
Never surrender! (Foto: AP)

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Die britische Nichtregierungsorganisation Open Britain kämpft für ein zweites Referendum über den Brexit. Ein Ziel ist fast erreicht: Bis Donnerstag haben 312.000 Briten die Petition für ein Referendum unterzeichnet, 350.000 sind angepeilt. Thomas Cole, Leiter der Politischen Abteilung von Open Britain, ist angesichts der chaotischen Entwicklung zunehmend optimistisch, auch das eigentliche Ziel zu erreichen, ebendieses zweite Referendum.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Tageblatt: Die Parteitage von Labour und Tories sind vorbei. Was ist ihr Resümee?
Thomas Cole: Bei der Labour-Partei ist es zu einer Revolution gekommen. Sie könnte jetzt doch ein Referendum am Ende des Prozesses unterstützen, was ein großer Wandel ist.

Aber Labour will das Referendum nur als letzte Option und hätte lieber Neuwahlen.
Ja, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Konservativen ihre Premierministerin stürzen. Aus unserer Sicht ist es gut, dass Labour jetzt die Option Referendum auf den Tisch gelegt hat.

Und wie beurteilen Sie den Tory-Parteitag?
Theresa May hat die vier Tage überlebt, aber in zwei Wochen ist der EU-Oktobergipfel. Die Premierministerin ist immer noch der Meinung, dass sie ihren Chequers-Plan durchkriegen könnte. Es ist aber hundertprozentig klar, dass Chequers von den EU-27 nie und nimmer akzeptiert wird. Man hört jetzt, dass May Kompromisse machen würde und sogar vorschlagen könnte, dass Großbritannien als Ganzes in der Zollunion bleibt und die Regeln des Binnenmarktes akzeptiert, damit es nicht zu Kontrollen an der irisch-nordirischen Grenze kommt.

Labour wird nicht den Mehrheitsbeschaffer spielen, die Konservativen sind ohne eigene Mehrheit und auch nach dem Parteitag völlig zerstritten. Wie soll May für diesen Plan im Unterhaus den Sanktus bekommen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das im Parlament durchbekommt. Es ist undenkbar, dass Labour mit der Regierung stimmt. Das heißt, selbst wenn es am 18./19. Oktober zu einem Abkommen mit der EU kommt, wird es vom Unterhaus einfach nicht akzeptiert werden.

Andererseits hört man auch Kritik, dass die EU zu wenig Entgegenkommen zeigt. Ist die EU zu hart mit May?
Nein, überhaupt nicht. Er gibt hier bei uns Medien, die immer gegen die EU waren. Die wollen gern Schlagzeilen, dass Großbritannien irgendwie schlecht behandelt wird von Ratspräsident Donald Tusk oder vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Es ist einfach eine Realität des Brexits, dass Großbritannien sich in einer schwächeren Position befindet. Wenn es zum Brexit kommt, muss sich das Land damit abfinden. Geopolitisch gesehen ist die EU-27 nun einmal stärker als Großbritannien.

Wie es ausschaut, steuert Europa nun sehenden Auges auf einen No-Deal-Brexit zu. Sehen Sie noch einen Ausweg aus der Sackgasse?
Was wir gerne hätten, ist, dass May oder das Parlament sagt: Wir haben versucht, ein Abkommen zu erreichen, wir haben das nicht hingekriegt. Der Brexit-Prozess hat begonnen, weil es 2016 dieses Referendum gab. Vielleicht sollte man dem Volk die Möglichkeit geben, noch einmal abzustimmen.

Im April sagten Sie in unserem letzten Interview, die Chancen für eine solche zweite Abstimmung stünden bei 55 zu 45 Prozent. Sind Sie angesichts der chaotischen Entwicklung des Brexit-Prozesses nun optimistischer?
Ja, ich bin positiver als im April. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir eine Achterbahnfahrt erleben. Je näher wir zum EU-Gipfel kommen, desto spannender wird es. Wir sehen uns jetzt in einer besseren Lage. Aber wir wissen auch, dass es schiefgehen könnte. Wenn es nicht zu einem Abkommen mit der EU kommt, ist die große Frage: Was macht die Regierung dann? Es gibt nur noch eine kleine Minderheit im Parlament und in der Bevölkerung, die an einem No-Deal-Szenario, das hierzulande wirklich schlimme wirtschaftliche und soziale Konsequenzen hätte, interessiert ist.

Wenn es wirklich ganz ernst und die Katastrophe absehbar wird, könnte dann die Stimmung endgültig zugunsten Ihrer Kampagne für „People’s Vote“, also das zweite Referendum, kippen?
Das könnte so kommen. Aber bis zum 29. März bleibt nicht mehr viel Zeit.

Sollten es sich die Briten noch einmal anders überlegen, wird es wohl nicht an dem fixen Datum scheitern?
Wenn es zu einem Referendum kommen sollte, haben wir von Macron oder von Präsident Tusk und auch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gehört, dass die Tür noch eine Zeit lang offen bleiben könnte. Das wäre eine Option. Theresa May hat zwar ein Referendum immer wieder ausgeschlossen, aber wir (Open Britain; Anm.) sind der Meinung, dass es im Parlament eine Mehrheit für ein Referendum geben könnte. Wir haben gesehen, dass sich nicht nur Politiker von Labour, sondern auch schon welche von den Konservativen für unsere Kampagne einsetzen. Die Zahl derer, die ein Referendum unterstützen, steigt jedenfalls.

Hätten Sie schon diese Mehrheit, wenn es darauf ankommt?
Wenn heute abgestimmt würde, hätten wir diese Mehrheit noch nicht. Aber die Tendenz geht in unsere Richtung.

Es gibt einige Umfragen, die eine wachsende Skepsis gegenüber dem Brexit signalisieren. Dämmert den Briten allmählich, wofür sie da im Juni 2016 gestimmt haben?
Derzeit würden 53 für einen Verbleib in der EU stimmen, 47 dagegen. Das ist natürlich besser als im Juni 2016, als 51,9 Prozent für den Austritt aus der EU gestimmt haben. Eine Differenz von nur sechs Prozent ist noch immer knapp. Aber wir müssen da realistisch sein: Wenn es zu einem zweiten Referendum kommt, werden wir uns natürlich für einen großen Sieg einsetzen, eine Mehrheit von 75 Prozent für den EU-Verbleib werden wir aber sicher nicht bekommen.