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Die Macronie zeigt Risse

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Nach 17 Monaten Amtszeit gerät der französische Staatspräsident ins Schlingern. Seine Regierung weicht auf, Minister verabschieden sich auf seltsame Weise.

Der Skandal kam vor der Sommerpause und überlebte den Sommer: Ein Mitarbeiter des Präsidialamtes hatte seine Funktion als Sicherheitskoordinator mit der der Polizei verwechselt. Bei einer Demonstration am 1. Mai griff er hart gegen Demonstranten durch. Er wurde von seinem Amt für zwei Wochen entbunden und später entlassen. Die politischen Gegner von Emmanuel Macron glaubten, nun endlich den politischen Skandal entdeckt zu haben, und zogen die Affäre über die Sommerpause insbesondere mit einem Untersuchungsausschuss im Senat durch.

Nach der Sommerpause verkündete einer der wichtigsten Minister morgens um 9 Uhr in einem Interview mit einem Radiosender, dass er zurücktrete. Er sei es leid, dauernd Entscheidungen vertreten zu müssen, die gegen seine Überzeugung gingen und wolle «nicht mehr lügen».

Am vergangenen Montag erlebte Staatspräsident Macron Ähnliches. Der Staatsminister für Inneres teilte ihm seinen Rücktrittswunsch mit. Gérard Collomb ist ein Mann der ersten Stunde für Macron. Er war es, der ihm sagte, dass er für die Präsidentschaft kandidieren solle. Er war es, der mit seinen Reden die Säle anheizte, bevor Macron das Podium betrat. Am Tag der Amtsübernahme standen ihm die Tränen in den Augen. Und jetzt? Aus und vorbei. Der 71-Jährige geht nach Lyon zurück, will dort seinen alten Posten als Bürgermeister zurückerobern. Am Montag sprach er mit Macron. Der bat ihn, zumindest noch einige Wochen zu bleiben. Über ein Interview in der Zeitschrift Express und vorab veröffentlichte Auszüge erfuhr der Präsident dann, dass Collomb seinen Rücktritt aufrechterhält. Seine Verabschiedung im Hof des Innenministeriums am Mittwoch verlief eisig.

Einiges läuft schief

Laura Flessel hingegen, Olympiasiegerin im Fechten und Sportministerin, trat ganz konform nach einem Gespräch mit dem Präsidenten aus «privaten Gründen» zurück. Die Pariser Gerüchteküche dichtet ihr Klärungsbedarf mit dem Fiskus an. Sie selbst äußert sich nicht.  In der vergangenen Woche spielte die Ex-Ministerin als Sportlerin beim Prominenten-Golf-Turnier vor dem Ryder-Cup-Wochenende mit.

Was ist los in der «Welt der Macronie»? Denn es ist nicht so, als ob dem Staatspräsidenten nun einfach so die Minister wegliefen. Er selbst zeigt ungewohnte Schwäche. Mit Beginn des kommenden Jahres wird Frankreich eine Reform des früheren Präsidenten Hollande durchführen. Dann sollen die Steuern monatlich gezahlt und direkt vom Bruttogehalt abgezogen werden. Frankreich hätte diese Reform nicht gebraucht. Weniger als die Hälfte der Bewohner Frankreichs zahlt überhaupt Einkommensteuer. Die anderen zahlen nach aktuellem System monatliche Abschläge, rechnen dann mit einer Steuererklärung zu Beginn des Jahres die zu zahlende Gesamtsumme ab. Macron verschob die Reform, ließ sie dann mehrfach prüfen, und selbst als sein Fachminister ihm versicherte, dass alles bereit sei, zögerte er öffentlich und zweifelte, ob er das neue System einführen sollte, sprach sich dann aber für die Einführung der Reform seines Vorgängers aus.

Macron, das zeigt sich, ist verunsichert. Er zeigt Nerven. Die Medien springen auf jede Aussage von ihm, analysieren jedes Foto, suchen förmlich nach Patzern, die sie ausschlachten können. Hinzu kommt, dass auch seine parlamentarische Mehrheit nicht mehr einig ist. Bei der Wahl der Vizepräsidenten der Nationalversammlung war sie so gespalten, dass es der republikanischen Opposition gelang, den ersten und den zweiten Vizepräsidenten durchzubringen. Die Opposition war so verdutzt, dass sie nicht wagte, in Siegesjubel auszubrechen.

Emmanuel Macron ist seit 17 Monaten Staatspräsident. Es dies die Zeit, in der alle Präsidenten ihre ersten Niederlagen hinnehmen, Regierungen sogar ausgetauscht werden mussten. Nur: bei Macron durfte man den Eindruck von Stabilität haben. Er selbst erweckte den Anschein, langfristig mit seiner Mannschaft arbeiten zu wollen. Diese Idee kann er nun abhaken.

Vorwärts? Aber mit wem?

Macron ging mit einer falschen Vorstellung in das Präsidentenamt. Er hatte die Wahl mit einer Gruppe junger, brillanter Frauen und Männer bestritten, auf die er auch im Präsidentenpalast setzte. Er hatte seine Regierung mit Fachleuten besetzt und nicht mit Politikern. Und: Er hatte auf Freundschaft und Loyalität gesetzt. Nach 17 Monaten zeigt sich, dass man mit Freunden keine Politik machen kann. Seine psychologischen Annahmen waren falsch und bringen ihn nun in Schwierigkeiten.

Der Pfeiler in der «Macronie» ist derzeit Premierminister Edouard Philippe. Der hatte Macron schon beim Rücktritt des Umweltministers Nicolas Hulot davon überzeugen wollen, seine Regierung völlig umzubauen. Macron hatte stattdessen punktuell ausgetauscht und den ausgewiesenen grünen Parlamentspräsidenten François de Rugy zum Umweltminister gemacht.

Nach dem Rücktritt des Innenministers kommt er nun in Schwierigkeiten. Würde man in der Fußballersprache reden, dann müsste man anerkennen, dass Macron in seiner Bewegung «En marche» (Vorwärts) zwar gut 400 Abgeordnete hat, es ihm aber an der Tiefe der Mannschaft fehlt, um über genügend Ersatzleute für die Regierung zu verfügen. Die Folge: Premierminister Edouard Philippe übernahm am Mittwoch interimistisch für einige Tage das Amt des Innenministers zusätzlich. Philippe, der bei den sich zeigenden Rissen in der «Macronie» zur eigentlichen starken Persönlichkeit geworden ist, wird ohne Zweifel jetzt sehr stark auf Macron einwirken.

Leben wie Gott in Frankreich? 

Es ist nicht nur die Regierung, die dem Präsidenten Kopfzerbrechen bereitet. Er steht unter Beschuss, weil den Franzosen die Kaufkraft durch Steuererhöhungen verloren geht. Der Liter Diesel kostet in Frankreich zwischen 1,47 Euro und 1,50 Euro und soll noch teurer werden. Während die städtische Bevölkerung auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen kann, ist das auf dem Land nicht möglich. In der Bucht von Mont-Saint-Michel fährt sechs Stunden lang kein Zug nach Caen oder Rennes oder Saint-Malo. Busse zu einem 20 Kilometer entfernten Einkaufszentrum gibt es nicht. Ohne Auto kommt hier die Landbevölkerung nicht aus. Die aber zahlt im Dieselbereich für eine Tankfüllung je nach Auto mittlerweile zwischen 60 und 100 Euro. Die Menschen haben hier den Eindruck, dass die Regierung in Paris ihnen das Geld aus der Tasche zieht.

Macron steht aber auch unter Druck, weil die Europawahlen bevorstehen. Der überzeugte Europäer muss sich dabei mit einer Flüchtlingsdebatte auseinandersetzen, in der er keine klare Position bezieht und sich auf Gesetze und auf Europa bezieht, wenn es sich darum handelt, 58 Flüchtlinge aufzunehmen. Macron merkt, dass die Europawahl in Frankreich von innenpolitischen Themen bestimmt werden wird und er nicht sicher sein kann, die Mehrheit der 74 französischen Sitze im Europaparlament zu erzielen.

Letztlich stehen Kommunalwahlen im kommenden Jahr an. Hier liegt die eigentliche Gefahr für Macron. Nicht wenige seiner Weggefährten wollen Bürgermeister werden. Innenminister Gérard Collomb hatte mental Lyon nie verlassen und hat sich nun dorthin auch abgesetzt. Finanzminister Gérald Darmanin würde gerne Bürgermeister von Tourcoing werden. Regierungssprecher Benjamin Grivaux bereitet sich auf den Wahlkampf in Paris vor. Der Chef der Vorwärts-Partei, Christophe Castaner, wollte in Marseille kandidieren, hat den Gedanken zwischenzeitlich aber wieder aufgegeben. Selbst bei Premierminister Edouard Philippe, Ex-Bürgermeister von Le Havre, weiß man nicht so genau, ob er nicht mit zumindest einem Auge in seine alte Stadt blickt. Und das sind bei Weitem nicht alle Regierungsmitglieder, die nach Europa oder in irgendwelche Rathäuser blicken. Macron steht vor der Frage, ob er jetzt reinen Tisch macht und eine neue Mannschaft bildet, die schlagkräftig in die Wahlkämpfe geht oder ob er weiter in einer Verteidigungsposition verharrt, in der er zuschaut, wie nach und nach die Spieler seiner Mannschaft das Spielfeld verlassen. Einfach ist seine Position so oder so nicht. Seine Umfrageergebnisse sind dramatisch abgerutscht und liegen bei einer Zustimmung von 39 Prozent im Keller.

Jacques Zeyen
6. Oktober 2018 - 12.15

Der Liter Diesel kostet in Frankreich zwischen 1,47 Euro und 1,50 Euro und soll noch teurer werden.
Dass die Franzosen von ihrem Auto abhängig sind wenn sie auf dem Land wohnen ist klar. Keine öffentlichen Verkehrsmittel.Autos die oft 15 Jahre und mehr auf dem Buckel haben.Oft sind diese Menschen arbeitslos oder haben kleine Renten,brauchen aber ihr Auto um über die Runden zu kommen.Oft sieht man an den Zapfsäulen Dieselbeträge von 15 oder 20 Euro. Damit muss man dann bis zum nächsten Monat auskommen. Das Taxigeschäft floriert weil ältere oder kranke Menschen sonst nicht zum Arzt oder in die Klinik kommen.Und die nächste Klinik liegt oft über 50 Km weit entfernt. Macron hat ja schon den Hebel beim Militär angesetzt. Während die Menschen rechnen wie sie über den nächsten Monat kommen,fliegen ihnen täglich Kampfflieger über den Köpfen und jagen die Wolken. Es scheint schwer eine "Grande Nation" zu sein,zumal für die eigenen Bürger.

Consti F.
5. Oktober 2018 - 10.03

En Marche = EM = Emmanuel Macron :-) .
La République En Marche = LRM = Le Roi Emmanuel Macron :-))
(Satire)

roger wohlfart
4. Oktober 2018 - 19.36

Macron ist ein " beau parleur ", ein Blender und ein Opportunist, der jetzt allmählich durchschaut wird und die Retourkutsche bekommt. Wer auf ihn baut, baut auf Sand.

R.Pogutke
4. Oktober 2018 - 18.08

Die Macronie zeigt Risse,sagen die Medien und der Leser reibt sich verwundert die Augen.
Waren es nicht die Medien die Macron hochgejubelt haben und den Bürgern den Eindruck
Vermittelten,Macron könne über das Wasser wandeln.
Man sieht wie schnell Freundschaften vergehen.p